Der Sinn des Lebens

Drei Bücher untersuchen aus naturwissenschaftlicher Sicht, was es bedeutet, Mensch zu sein und was der Zweck unseres Daseins sein könnte.

The Meaning of Human Existence

Edward O. Wilson. 2014. W.W. Norton & Company, Liveright Publishing Corporation, New York. 208 pages.

Eclipse of Man: Human Extinction and the Meaning of Progress

Charles T. Rubin. 2014. Encounter Books, New York. 200 pages.

The Island of Knowledge: The Limits of Science and the Search for Meaning

Marcelo Gleiser. 2014. Perseus Books Group, Basic Books, Philadelphia. 368 pages.

Das Leben ist voller bleibender Fragen. Sind wir bald da? Was gibt es zum Essen? Macht mich das dick? Die tiefgründigsten Fragen dringen in zeitlose, wahre Mysterien ein, aber die grundlegendste lässt sich ganz einfach ausdrücken: Hat menschliches Leben einen Sinn? Hat mein Leben einen Sinn?

Im biblischen Buch Prediger beschreibt König Salomo unser Leben immer wieder als eine Zeit nutzloser Intrigen, voll von Ungerechtigkeiten, schwerer Arbeit, schlechten Entscheidungen und am Ende dem Tod – der Rückkehr zum Staub. Das ist schon ein deprimierendes Bild, aber er geht noch weiter hinunter. Als hätte er alle Hoffnung aufgegeben, scheint er zu implizieren, dass selbst Gott manchmal gegen uns ist. „Sieh an die Werke Gottes; denn wer kann das gerade machen, was er krümmt?“ (Prediger 7, 13). 

Salomos Haltung zur Sinnfrage ist nicht optimistisch – die Bürden des Lebens wiegen schwer und unsere Motivation ist unklar: „Ich sah alles Mühen an und alles geschickte Tun: da ist nur Eifersucht des einen auf den andern. Das ist auch eitel und Haschen nach Wind“ (Prediger 4, 4). Über zwei Dutzend Mal behauptet Salomo, alles menschliche Streben sei „eitel“ – sinnlos –, und neunmal beschreibt er die Sinnlosigkeit des Lebens als „Haschen nach Wind“. Sicher hat uns sein Buch noch mehr zu sagen, aber seine allgemeine Schwermut lässt wenig erkennen, was uns im Hinblick auf den Sinn des Lebens oder das Schicksal der Menschheit unmittelbar zu Optimismus inspiriert. 

Fast 3.000 Jahre später bestätigte die führende naturwissenschaftliche Theorie über die Herkunft der Menschheit Salomos offensichtliche Verzweiflung. Charles Darwins Origin of Species (Die Entstehung der Arten) von 1859 trieb der Vorstellung, das menschliche Leben habe einen Sinn, die naturwissenschaftlichen Nägel in den Sarg. Es gebe nur biologisches Dasein, erklärte er – irdisch, nicht transzendent. Es gebe keinen „Plan“, keinen teleologischen Zweck oder Endpunkt, den die Natur für die Schöpfung irgendwie angestrebt hätte. Die Menschheit sei nicht das Ziel oder das Höchste der Natur (oder auch Gottes); wir seien einfach ein spät geknospter Zweig an dem großen Baum der gemeinsamen Abstammung. 

Edward O. Wilson schrieb 1978: „Keine Spezies, unsere eingeschlossen, besitzt einen Zweck jenseits der Notwendigkeiten, die durch ihre genetische Geschichte geschaffen wurden.“ Unser Dilemma sei, „dass wir keinen bestimmten Zielort haben“ (On Human Nature). 

Dieses evolutionäre Weltbild bringt uns zurück zum Buch Prediger. Salomo verwendet zwar keine darwinistischen Begriffe, aber auch seine aus der Antike überlieferte Synthese fasst das Menschenleben als Erfahrung willkürlicher Ereignisse in einer gnadenlosen Welt zusammen. „Es sind nicht immer die Schnellsten, die das Rennen machen. Auch die tapfersten Krieger siegen nicht in jedem Kampf. Bildung ist keine Garantie für sicheren Broterwerb, Klugheit führt nicht unbedingt zu Reichtum und Können findet nicht immer Beifall. Denn schlechte Tage und schlimmes Geschick überfallen jeden“ (Prediger 9, 11, Gute Nachricht Bibel). 

Für Salomos vorwissenschaftliche Weisheit war die Sinnfrage eine Herausforderung, und für uns heute ist sie das noch immer. Lässt uns die moderne Naturwissenschaft besser verstehen, wer und was wir sind und warum wir existieren?

DIE WILSON-ZENTRISCHE SICHT 

Wilsons Schriften sind seit 40 Jahren Standard für die Verfechter eines evolutionsbasierten Humanismus und der evolutionären Ursachen sozialer Strukturen. Weil unsere Wahrnehmung von Sinn eng mit unseren Beziehungen und unserem sozialen Wesen zusammenhängt, hat sein Werk wegen der Klarheit, mit der es die darwinsche Sicht vertritt, enorme Bedeutung erlangt; gleichzeitig dient es auch als Flammenschwert gegen die Kritiker der evolutionären Theorie von der Entstehung der Menschheit.

Für On Human Nature erhielt Wilson 1979 den Pulitzerpreis in der Kategorie Sachbuch. Es war seine erste Arbeit über das Wesen und die Zukunft der Menschheit und folgte seinem Sociobiology: The New Synthesis (1975), das ein Klassiker wurde – eine evolutionsbiologische Herleitung der Entstehung von Sozialstrukturen in Tiergesellschaften. Basierend auf seiner Arbeit über sozial lebende Insekten (vor allem Ameisen) führte Wilson den umstrittenen Gedanken ein, dass sich menschliches Sozialverhalten wenig von dem unterscheidet, was in der übrigen Natur zu beobachten ist. 

Die Existenz des Menschen könnte simpler sein, als wir dachten. Es gibt keine Prädestination, kein unergründetes Mysterium des Lebens, keine Dämonen und Götter, die um unsere Loyalität konkurrieren. Wir sind vielmehr aus uns selbst geworden, unabhängig, allein und anfällig.“ 

Edward O. Wilson, The Meaning of Human Existence (deutsch von Elsbeth Ranke, Der Sinn des menschlichen Lebens)

Wilson, inzwischen über 80 Jahre alt, kann auf eine steile Karriere als Taxonom, Autor und Harvard-Ökologe zurückblicken. Einmal fielen ihn mehrere Leute an, kippten eine Kanne Wasser über ihn und schrien: „Wilson, you’re all wet!“ (Wilson, du bist ganz nass/du bist auf dem Holzweg), doch er ist seinen Überzeugungen über die Jahrzehnte treu geblieben. Sein Buch von 2014 mit dem Titel The Meaning of Human Existence ist ein einladender, klar geschriebener Abschluss, eine Art Zusammenfassung seiner Argumentation für die menschliche Soziobiologie. 

Zum Thema Sinn gibt die Einleitung des Buches klar „die Weltsicht der Naturwissenschaft“ vor und damit die Sichtweise des Autors selbst: „Die Zufälle der Geschichte, nicht die Absichten eines Planers sind die Quelle von Sinn.“ Es ist noch immer Wilsons Mission, diese Zufälle herauszukitzeln und unsere evolutionäre Vorgeschichte auf das Niveau kultureller Wahrheit zu heben. Mit anderen Worten: Natur- und Geisteswissenschaften müssen zu einem gemeinsamen Verständnis darüber kommen, was Menschen sind und warum wir tun, was wir tun – basierend auf einer evolutionären Sichtweise. 

Wollen wir jemals eine allgemeine Einigung darüber erreichen, wie wir uns selbst und unsere Beziehungen auf diesem Planeten managen sollten, schreibt Wilson, so müssen wir uns umorientieren – von den in seinen Augen überholten Mythen unhistorischer Geschichte zu den Tatsachen der evolutionären Naturwissenschaft: „In herkömmlichen Erklärungen der Vergangenheit sind religiöse Schöpfungsgeschichten mit den Geisteswissenschaften vermengt worden, um der Existenz unserer Spezies einen Sinn zuzuschreiben.“ Für Wilson ist das psychologischer Ballast, lauter unechter Sinn, und es ist Zeit, ihn abzuwerfen: „Die Zeit ist gekommen, zu überlegen, was die Naturwissenschaft den Geisteswissenschaften und die Geisteswissenschaften der Naturwissenschaft geben können, wenn sie gemeinsam eine fundiertere Antwort auf das große Rätsel unserer Existenz suchen.“ 

EVOLUTION DES ALTRUISMUS 

Eine evolutionäre Erklärung für unser Sozialverhalten und unsere Wahrnehmung von Sinnhaftigkeit zu erarbeiten ist für die Naturwissenschaft ein altbekanntes Problem. Wie konnten z. B. Altruismus und Selbstaufopferung in vererbbarer Form entwickelt werden? Wie würde das Gen/Allel für ein solches Merkmal in einer Welt überleben, wo der am besten Angepasste („Fitteste“) überlebt? 

In The Meaning of Human Existence widmet Wilson seiner besten Erklärung dieses Rätsels ein Kapitel und auch den Anhang. Die derzeit vorherrschende Theorie, die „inclusive fitness“ (Gesamtfitness) genannt wird, erklärt Altruismus als unbewusste Kooperationsbereitschaft zum Wohl eines nahen Verwandten, der die gleichen Gene hat wie man selbst. Wilson schreibt, diese Vorstellung, die sogenannte Verwandtenselektion, sei ihm früher „bezaubernd“ vorgekommen, doch jetzt finde er sie unzulänglich. Stattdessen schlägt er den Gedanken vor, dass es nicht allein die Gene sind, sondern eine Synergie aus Kultur, Genen und Epigenetik, die eine wechselseitige Abhängigkeit in der Gruppe bewirkt. Diese nennt er „Eusozialität“ und beschreibt sie als gemeinschaftliche Jungenaufzucht durch Gruppenmitglieder vieler Generationen. 

Nachdem die Menschen die gleiche angenommene Evolution des Sozialverhaltens durchlaufen hatten wie Insekten, meint Wilson, sprangen sie aus den Gleisen der individuellen Anonymität, um ein Gruppenbewusstsein zu entwickeln. „Die Entstehung von Gruppen durch persönliches und intimes gegenseitiges Kennen“, mutmaßt er, „war die einzigartige Errungenschaft der Menschheit. […] Der Ursprung der menschlichen Wesensart lässt sich am besten durch die natürliche Selektion zugunsten sozialer Interaktion erklären – der vererbten Neigung, zu kommunizieren, zu erkennen, zu bewerten, sich zu binden, zusammenzuarbeiten, zu konkurrieren, und durch das tiefe, warme Behagen der Zugehörigkeit zu dieser besonderen, der eigenen Gruppe, das all dies bewirkte.“

Das Gefühl der Zielgerichtetheit und Sinnhaftigkeit ist also eine durch angeborene Stammesverbundenheit bedingte Illusion; wir erzeugen Sinn durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe (einer erweiterten Familie, einem Team, einer Kirche, einer sozialen Gemeinschaft). Wilson bleibt absolut und konsequent materialistisch: Die Menschheit „entstand vollständig aus sich selbst durch eine gehäufte Serie von Ereignissen während der Evolution. Wir sind nicht dazu bestimmt, irgendein Ziel zu erreichen, und wir sind keiner Macht Rechenschaft schuldig, außer unserer eigenen.“ 

HOMO SAPIENS 2.0 

Diese Macht führt Charles Rubin in Eclipse of Man noch weiter. Im Mittelpunkt seines Buches steht der breite Begriff „Transhumanismus“ – die Vorstellung, dass die Technologie uns die Fähigkeit verleiht, sowohl uns selbst als auch die Natur neu zu erschaffen: „Manipulation der Natur ist einfach ein Teil dessen, was uns als Menschen definiert. Die wachsenden Fähigkeiten der modernen Naturwissenschaft und Technologie, die daraus erwachsen sind, geben uns die Macht, die Evolution selbst in die Hand zu nehmen; der ständige Wettbewerb wird uns zwingen, die technologische Evolution zu nutzen, um nicht nur das naturhaft Gegebene außerhalb unserer selbst, sondern auch uns selbst zu verbessern.“ 

Angesichts der allgegenwärtigen Plagen und Wechselfälle des Lebens, die Salomo so prägnant formulierte, scheint es natürlich, dass wir unser zunehmendes naturwissenschaftliches Wissen über die Struktur der Welt und der Menschen einsetzen, um das Leben der Menschen zu verbessern. Das Problem, das mit einer solchen Nutzbarmachung verbunden ist, kommt in dem Untertitel des Buches zum Ausdruck: Human Extinction and the Meaning of Progress (deutsch: Die Ausrottung des Menschen und der Sinn des Fortschritts). Ist die Ausrottung unserer Spezies, wie wir sie heute kennen, für den Fortschritt am Ende notwendig? Ohne ein breiteres Verständnis davon, worum es im Leben geht, ist Fortschritt nicht leicht zu definieren. Ist der Sinn darin zu finden, dass wir darüber entscheiden?

Da Naturwissenschaft und Technologie als solche wenig Ressourcen (wenn überhaupt) für ethische Reflexion bieten, verstehen wir mit ihnen allein schmerzhaft wenig von der Gestalt menschlichen Lebens.“ 

Charles T. Rubin, Eclipse of Man: Human Extinction and the Meaning of Progress

Die „wesentliche Erkenntnis“ des Transhumanismus ist laut Rubin, dass unsere Fähigkeit, uns selbst umzukonstruieren, uns zu unserem eigenen Gott gemacht hat – unabhängig davon, ob das nun gut ist oder schlecht. Da es außerdem eine unbestrittene Tatsache ist, dass Menschen von Natur aus mangelhaft sind, fährt Rubin fort, bestehe die ultimative Lösung darin, uns selbst durch eine Art Homo sapiens 2.0 zu ersetzen: „Die Transhumanisten glauben, dass wir den Menschen umkonstruieren müssen, sodass unsere ruinösen Mängel eliminiert werden können, wenn wir verhindern wollen, dass einige der gängigeren apokalyptischen Visionen Realität werden.“ 

Alledem steht Rubin skeptisch gegenüber, doch ist es oft schwierig, seine eigene Stimme in seinen umfangreichen Zitaten und Verweisen zu entdecken. Der Leser muss die einleitende Warnung und Frage des Autors im Blick behalten: „Bewusst unsere eigene Ausrottung anzustreben stellt die extreme Grenze dessen dar, wie weit wir gehen könnten, um unsere gegebenen Bedingungen zu überwinden, und es wirft sehr deutlich die Frage auf, die in unserer Welt des raschen Wandels stets lauert: Was für eine Zukunft versuchen wir da zu erschaffen?“

Das, schreibt er, sei die moralische Frage, die er untersuchen wolle. Jedes seiner fünf Kapitel beschreibt einen bestimmten Abschnitt des transhumanistischen Marsches zu der sogenannten Singularität – der Konvergenz moderner Technologien, die, einfach ausgedrückt, die Wiedergeburt unserer Spezies ermöglichen wird. Entmenschlichung, um etwas zu werden, das über das Menschliche hinausgeht. Was wird dieses Etwas wohl sein, und wie wird es mit seinem eigenen Werden umgehen? 

IST DAS FORTSCHRITT? 

In der Folge untersucht Rubin die verschiedenen Zukunftsvisionen. Was ist es, das uns über das Menschliche hinausbringen wird? Werden Außerirdische herunterkommen und uns den Weg zeigen (Kapitel 2)? Wird der Reduktionismus, den die Nanotechnologie ermöglicht, unser Retter sein (Kapitel 3)? Werden wir unser Gehirn gentechnisch modifizieren und/oder seinen Inhalt downloaden können, um unsterbliches Fleisch oder Silikonchips zu werden (Kapitel 4)?

Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen Vignette, die das Thema und das zu untersuchende Problem illustriert. Rubin, der Professor für Politologie ist, nutzt außerdem geschickt ausgewählte Science-Fiction-Bücher und -Filme, um seine Gegenargumente zu formulieren. Beispiele hierfür sind ein langer Diskurs über Arthur C. Clarkes Childhood’s End (deutsch: Die letzte Generation), eine umfangreiche Untersuchung von K. Eric Drexlers Engines of Creation sowie eine aufschlussreiche Besprechung des Films Eternal Sunshine of the Spotless Mind (deutsch: Vergiss mein nicht!). Abschließend analysiert Rubin drei Gemälde, die den Mythos von Dädalus und dem Sturz des Ikarus darstellen.

Letztlich sieht Rubin all das als Schall und Rauch, als Fantasyzukunft, als Ablenkung von der Gegenwart und den realen Problemen, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen: „Die transhumanistischen Argumente vernebeln, was in dieser Welt vor uns gegenwärtig ist – so werden z. B. ihre Unvollkommenheiten und Störungen in einer Flutwelle von technologischem Determinismus fortgeschwemmt, die uns zu irgendeinem fernen Horizont imaginierter Möglichkeiten zieht. Diese transhumanistische Weitsichtigkeit bietet dann den besten Rahmen, um die Dinge der Gegenwart zu trivialisieren und abzutun.“

DICHTUNG UND WAHRHEIT UNTERSCHEIDEN 

Rubin kommt zu dem Schluss, dass ein richtig und hilfreich verstandener Fortschritt bestrebt wäre, die Welt von heute zu verbessern: „Die Art Bescheidenheit, die wir brauchen [die es uns ermöglichen würde, das Heute klar zu sehen, statt von einem imaginierten Morgen zu träumen], erkennt an, dass es vieles gibt, was getan werden kann und getan werden sollte, um unser menschliches Leben besser zu machen, und dass Naturwissenschaft und Technologie bei diesem Bestreben eine wichtige Rolle spielen werden.“ 

Marcelo Gleiser, Professor für Physik, Astronomie und Naturphilosophie, würde dem zustimmen. In The Island of Knowledge erkundet er die Geschichte der Naturwissenschaft, wie sie funktioniert und was sie erkennbar macht. Es ist Gleisers Ziel, eine realistische Sicht auf den Prozess und die Möglichkeiten der Erforschung der materiellen Welt zu präsentieren. Das „Land“, im Buchtitel die „Insel des Wissens“, ist das, was wir bereits wissen. Das „Wasser“ ist alles, was noch ein Geheimnis ist. Ironischerweise wird die Küstenlinie immer länger und wir sehen immer mehr Wasser, je mehr wir wissen. Mit anderen Worten: Je mehr wir wissen, desto mehr erkennen wir, dass wir nicht wissen. 

Nicht alle Fragen haben Antworten. Zu hoffen, dass die Naturwissenschaft alle Fragen beantworten wird, kommt dem Wunsch gleich, den menschlichen Geist klein zu machen, ihm die Flügel zu stutzen, seine vielgestaltige Existenz zu rauben. Und angesichts der Grenzen naturwissenschaftlichen Wissens, die dieses Buch untersucht, ist es obendrein eine irregeleitete Hoffnung.“  

Marcelo Gleiser, The Island of Knowledge: The Limits of Science and the Search for Meaning 

Während wir mehr über die Welt lernen, Theorien mit Daten vergleichen, tiefer und weiter vordringen“, schreibt er, „wird uns klar, dass die Antworten, die wir sammeln, Schritte sind – meistens nach vorn, aber manchmal auch zurück. Die Insel des Wissens wird größer und manchmal kleiner, wenn wir etwas Neues über das Universum lernen oder etwas zurücknehmen.“ 

Das Buch behandelt in drei Hauptteilen jeweils eines der großen Themen naturwissenschaftlichen Forschens. Der erste betrifft die Geschichte der Hilfsmittel zur Beobachtung und die Entwicklung der Astronomie und dann der Kosmologie, vom Teleskop bis hin zur Theorie vom Multiversum. 

Hier gibt es keine Überraschungen, aber Gleiser nutzt das Material gut, um dieses Prinzip zu untermauern: „Was wir ‚real‘ nennen, hängt davon ab, wie tief wir in die Realität eindringen können.“ Doch unsere Wahrnehmung der Realität ist unvollständig. Wiederholt betont Gleiser, wie wichtig es ist, Folgendes zu bedenken: „Da wir mit unseren Hilfsmitteln und, auf subtilere Weise, mit unseren beschränkten Forschungsmethoden nur begrenzt Zugang zur Natur haben, ist unser Wissen über die Natur notwendigerweise begrenzt.“

Gleiser erklärt erfrischend ehrlich, was die Naturwissenschaft kann und was nicht. Fakten von Spekulationen zu trennen ist eine bedeutende Facette naturwissenschaftlichen Forschens und Berichtens. Theorien haben Grenzen, und dies wird oft übersehen, unerwähnt gelassen oder vertuscht, wenn aus Theorien breite Verallgemeinerungen abgeleitet werden, die diese Grenzen überschreiten. Gleiser warnt: „Das ist ein nicht unüblicher Trend in der Naturwissenschaft: Wenn eine faszinierende Idee zu schwächeln beginnt, wird fortschreitend immer manischer versucht, sie zu retten, selbst wenn das offenbar verzweifelte Maßnahmen erfordert.“

In diesem Zusammenhang bezeichnet er die Theorien der modernen Kosmologie als „ein fantastisches Konstrukt, das insofern ‚funktioniert‘“, als es im Abstrakten anscheinend zusammenhält. Doch er räumt ein: „Weder die Ausdehnung des Kosmos noch das Multiversum bringen uns näher daran, den letzten Ursprung aller Dinge zu verstehen.“ Die Theorie von der Ausdehnung des Universums ist z. B. mehr Hypothese als Theorie, mehr Hoffnung als Substanz. Schließlich, schreibt Gleiser, wurde diese Theorie ja „dafür konzipiert“, den Widerspruch zu Beobachtungen zu überwinden, die mit der standardmäßigen Urknallkosmologie nicht vereinbar waren. „Daher ist es keine große Überraschung, dass sie das tut.“

Wie arrogant es ist, zu behaupten, wir könnten alles wissen, wir würden einmal alle Geheimnisse der Natur aufhebeln können, eines nach dem anderen, wie ineinandergeschachtelte russische Puppen, bis wir das allerletzte enträtselt haben!“ 

Marcelo Gleiser, The Island of Knowledge: The Limits of Science and the Search for Meaning

Der zweite Teil des Buches behandelt das Problem Atome: Was sind sie? Woher kommen sie? Wie funktionieren sie? Wie ist die Beziehung zwischen Atomen und Energie? Der Abschnitt ist ein Minikurs in Quantenphysik. Der dritte Teil befasst sich mit dem menschlichen Denken. Erfinden wir oder entdecken wir? Ist Mathematik real oder ein Produkt unserer erstaunlichen Vorstellungskraft? „Wie die Diskussion um die Natur physikalischer Realität verweist die Diskussion darüber, ob Mathematik eine Erfindung oder eine Entdeckung sei, nicht so sehr auf schwer fassbare Wahrheiten, die in irgendeinem imponderablen, abstrakten Bereich geschrieben stehen, als vielmehr auf die Bedeutung des menschlichen Gehirns als seltene und wundersame Merkwürdigkeit im Universum.“ 

SINN – WO ER ZU FINDEN IST 

Die Entdeckungen der Wissenschaften sagen uns viel über uns selbst. Doch die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Menschen bleibt verborgen. Ist sie noch „da draußen“, kann man sie in Gleisers Ozean jenseits der Küste finden? Oder könnte sie ein Schatz sein, der direkt unter unseren Füßen vergraben liegt? „Nicht alle Fragen haben Antworten“, schreibt er. „Wir streben nach Wissen, immer mehr Wissen, aber wir müssen verstehen, dass wir von Geheimnis umgeben sind und bleiben werden.“

Weil die Reichweite unserer Geräte begrenzt ist, wird es vielleicht nie möglich sein, unter die Oberfläche zu schauen. „Es ist eine Sache, im Rahmen der Naturwissenschaft Antworten auf Fragen nach Anfang und Ende, Sinn und Zweck zu suchen – das müssen wir tun, immer. […] Eine andere Sache ist es, tatsächlich zu glauben, dass die Suche einmal ein Ende haben wird, dass der Ozean des Unbekannten Grenzen hat, und dass Naturwissenschaft allein ihn kartieren kann.“

Wilson stellt das menschliche Dilemma als Reibung zwischen zwei interagierenden Systemen dar: Das eine führt uns zu tugendhaftem, gruppenorientiertem Verhalten, das andere zu Handlungen, die uns selbst nutzen, allerdings auf Kosten anderer. Rubin bezweifelt, dass wir je das richtige Gleichgewicht finden, um unsere Schritte nach vorn lenken zu können. Und Gleiser bezweifelt unsere Fähigkeit, mit den vielen Unbekannten zufrieden zu sein. 

Gleiser schließt: „[Jede] naturwissenschaftliche Erklärung ist notwendigerweise begrenzt. Ich verstehe, dass es manchen Menschen schwerfällt, zu akzeptieren, dass diese Begrenztheit die Schönheit und Deutungskraft der Naturwissenschaft nicht schmälert.“ Naturwissenschaft ist kein „Überwinder aller Mysterien“. Wir dürfen nicht das Ziel absoluten Wissens mit dem Drang verwechseln, weiter zu suchen, schreibt er. Naturwissenschaft ist nur menschlich: „beeindruckend, vielgestaltig und unvollkommen.“ 

Hängen wir also in einer Schleife fest, sodass alles, was wir entdecken, nur zu einer weiteren Frage führt? Wir sind auf Sinnsuche, erreichen aber nie das Ziel dieser Reise. Gleisers Sicht leuchtet deshalb ein; die Lösung eines Rätsels bringt ein weiteres zum Vorschein. Ist es wirklich „Haschen nach Wind“, wenn wir Ziel und Sinn suchen? 

Auch Salomo erkennt diese Verwirrung: „Lass dich warnen; denn des vielen Büchermachens ist kein Ende, und viel Studieren macht den Leib müde“ (Prediger 12, 12). 

Doch selbst in seinen Frustrationen erkennt er Gottes Herrschaft an und ist sich einer Sache sicher: Auch wenn Gottes Handeln in der Welt ein Mysterium ist – Gott ist real. Diese Überzeugung liegt Salomos Schlusswort zugrunde: „Lasst uns die Hauptsumme aller Lehre hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das gilt für alle Menschen“ (Vers 13). Obgleich ihm das menschliche Leben sinnlos erscheint, hält er fest, dass Gottes Gesetz zu halten Pflicht bleibt und eines Tages belohnt wird. Heute können die meisten Menschen nicht zu diesem Schluss kommen, und sei es nur, weil sie meinen, ein größerer Sinn sei ein bloßes Fantasieprodukt. 

Ohne den Glauben, dass es einen Schöpfer gibt und dass er einen Plan für seine Schöpfung hat, sind wir auf uns allein gestellt und müssen selbst einen Plan erfinden (s. „Was Salomo nicht wusste“).Dabei suchen wir Myriaden von Wegen ab, die angeblich den Sinn und Zweck des menschlichen Daseins offenbaren. Die Wege kreuzen und überschneiden sich, verbinden und trennen sich; Religion, Evolution, Psychologie, Eusozialität, Naturwissenschaft, Kultur, Ethnologie und Genetik – sie alle führen ein wenig weiter zu einem Verständnis, was unser Platz in der Welt ist – warum wir hier sind und was wir tun sollten. Und doch bleibt das Ziel für die meisten Menschen unerreichbar. 

Salomo bleibt insgesamt unfroh, aber er versteht, wo Wissen letztlich zu finden ist: „Die Furcht des HERRN ist der Anfang der Erkenntnis“ (Sprüche 1, 7). 

Um auf den richtigen Weg zu kommen, auf dem man den Sinn des Lebens findet, muss man eine Realität akzeptieren, die jenseits des einfach Sichtbaren liegt. Man muss zugeben, dass Gott existiert, um die Reise zu beginnen. 

Und so bleibt die ewige Frage: Sind wir bald da?