Die Unantastbarkeit des Lebens

Ob wir die Abendnachrichten sehen oder nur eine Schlagzeile am Computer oder auf dem Smartphone lesen – wir werden mit so viel Mord, Selbstmord, rassistischer Gewalt, Krieg, Terrorismus, Völkermord und sonstigem Schrecken konfrontiert, dass wir gegenüber der bewussten Beendigung eines Menschenlebens abstumpfen könnten. Ist Leben nichts weiter als Massenware, die man wegwerfen kann?

Ein Menschenleben ist nicht viel wert – das scheint eine zutreffende Beobachtung zu sein, wenn wir uns in der heutigen Welt umsehen und dabei damit konfrontiert werden, wie leicht manche Menschen anderen das Leben nehmen.

Nahezu eine halbe Million Menschen (437.000) sind 2012 vorsätzlichen Tötungsdelikten zum Opfer gefallen.“

United Nations Office on Drugs and Crime, Global Study on Homicide 2013

WELTWEITE KONFLIKTE 

Denken wir nur an die endlosen Feindseligkeiten zwischen Völkern und ethnischen Gruppen, die immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen, an die ethnischen Säuberungen in mehreren Ländern Afrikas, an die Gräuel, die zu verschiedenen Zeiten in Europa und Asien begangen wurden. Auch in Irland, Großbritannien, den USA und anderen hoch entwickelten Ländern gipfelten seit Langem bestehende Spannungen in Blutvergießen. Reibungen zwischen Völkern, basierend auf ethnischen, religiösen, politischen und kulturellen Unterschieden, finden sich überall auf der Erde – und sie führen zur Ermordung und Ausbeutung derjenigen Gruppen, die schwächer sind. Dieses Verhalten scheint sich zu vervielfachen, wo sich Rassen und Religionen mischen und die Menschen deshalb verstärkt auf ihre eigene, separate Kultur pochen.

Die moralische Lehre von Matthäus 7, 12 „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ scheint in den heutigen Gesellschaften wenig oder gar keinen Widerhall mehr zu finden. Selbst in den wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern scheint es kaum möglich zu sein, dass Menschen verschiedener Überzeugungen oder Kulturen friedlich zusammenleben. In aller Welt leben Gesellschaften in Angst vor irgendeiner Ideologie oder religiösen Sekte, die sich in den Medien darstellen kann und anderen ihre Glaubensinhalte aufnötigt – egal, ob religiös oder politisch –, oft mit wenig Achtung vor dem Wert des Lebens.

Gegner zu töten, um sich selbst die religiöse und politische Vorherrschaft zu sichern, hat eine lange Tradition. In Nigeria mit seinem überwiegend muslimischen Norden und überwiegend christlichen Süden werden nach wie vor Christen getötet und Kirchen angezündet. Man könnte auch die Geschichte der großen christlichen Konfessionen über die Jahrhunderte hinweg betrachten, in der sowohl katholische als auch evangelische Christen ihre jeweiligen Gegner auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen pflegten, wenn diese sich nicht zu einem bestimmten Dogma oder Bekenntnis bekehren lassen wollten. Man denke auch an die Eroberung Nord- und Südamerikas durch die Europäer. Spanien entsandte seine Soldaten vor allem wegen der Reichtümer dorthin, aber auch mit dem Befehl, die indigenen Völker zur Bekehrung zu zwingen. Es ist kein Wunder, dass Atheisten die Religion als die Wurzel der meisten großen Übel seit Menschengedenken betrachten.

LEBEN – ETWAS EINZIGARTIGES? 

Die Unantastbarkeit des Lebens impliziert den Schutz des einzigartigen Seins anderer Menschen, das von solchem Wert ist, dass es nicht angetastet werden darf. Der Begriff der Unantastbarkeit der Person ist eine wichtige Überschneidung von religiösen Werten und den Rechtsgrundsätzen der meisten Länder. Für manchen religiösen Eiferer ist das Leben Andersdenkender jedoch nicht von großem Wert, geschweige denn unantastbar; sie sind stattdessen der Überzeugung, dass sie anderen ungestraft das Leben nehmen dürfen. Zum Beispiel Selbstmordattentäter: Es interessiert sie nicht im Geringsten, wer ihre Opfer sind. Meist kennen sie diese nicht einmal. Ihnen geht es ausschließlich darum, Aufmerksamkeit für ihre Sache zu erzeugen oder sich eine Belohnung im Jenseits zu sichern.

Religiöse und politische Konflikte sind ein wichtiger, aber nicht der einzige Bereich, in dem eine Entwertung des Lebens zu beobachten ist. Auch das Verbrechen in seinen verschiedenen Formen kann in Gewalt und Mord münden.

Ein besonders besorgniserregender Aspekt des Problems, wenn auch in den meisten Teilen der heutigen Welt weniger verbreitet, ist am besten mit dem Begriff Kindstötung zu erfassen. Natürlich wurde über Chinas unmenschliche Einkindpolitik, die in den 1970er-Jahren in Kraft trat, weithin berichtet, inklusive der herzzerreißenden Gräuel, die sie zur Folge hatte – von Zwangsabtreibungen bei fortgeschrittener Schwangerschaft bis hin zur Tötung neugeborener Mädchen, weil Familien, die nur ein Kind haben dürfen, Jungen als wertvoller ansehen.

Lediglich menschlich zu sein ist in sich selbst kein Grund, jemandem ein Recht auf Leben zuzuschreiben.“

Alberto Giubilini and Francesca Minerva, „After-Birth Abortion: Why should the Baby Live?“

Doch die Duldung der Kindstötung hat auch im Westen Befürworter. Für manche von ihnen sind Neugeborene noch keine richtigen Menschen. In einem Artikel, der 2012 im Journal of Medical Ethics erschien, argumentieren ein Philosoph und eine Bioethikerin wie folgt: „Der moralische Status eines Neugeborenen ist dem eines Fötus gleich, d. h., beide können in keinem moralisch relevanten Sinn als ,Person‘ gelten.“ Sie fahren fort: „Sowohl ein Fötus als auch ein Neugeborenes sind gewiss menschliche Wesen und potenzielle Personen, aber beide sind nicht ,Person‘ im Sinn von ,Subjekt eines moralischen Rechts auf Leben‘. Unter ,Person‘ verstehen wir ein Individuum, das fähig ist, seiner eigenen Existenz einen (mindestens) elementaren Wert beizumessen, sodass es einen Verlust erleidet, wenn ihm diese Existenz genommen wird“ („After-Birth Abortion: Why Should the Baby Live?“). Mit anderen Worten: Man muss über ein entwickeltes Bewusstsein verfügen, das in der Lage ist, den Verlust des Lebens als etwas Schlimmes zu erkennen, ehe man tatsächlich als Person behandelt werden kann.

Die Autoren kommen zu folgendem Schluss: „Was wir ,Abtreibung nach der Geburt‘ nennen (ein Neugeborenes töten), sollte in allen Fällen zulässig sein, in denen eine Abtreibung es ist, einschließlich der Fälle, in denen das Neugeborene nicht behindert ist.“ Außerdem solle es Eltern erlaubt sein, ein Baby töten zu lassen, wenn sich bei der Geburt herausstellt, dass es behindert ist.

Abtreibung ist generell ein heiß diskutiertes Thema. Besonders umstritten ist sie allerdings dann, wenn sie aufgrund des Geschlechts durchgeführt wird. Die Telegraph-Kolumnistin Allison Pearson berichtete vor wenigen Jahren, dass weibliche Babys in Teilen der Dritten Welt einfach verschwinden. In Indien wurden unerwünschte Mädchen früher gleich nach der Geburt getötet. Diese Praxis werde nun „missbilligt; Mädchen abzutreiben gilt als die zivilisierte, moderne Alternative“, schrieb Pearson („Third World ,Gendercide‘ Is Happening Here“, 24. Februar 2012). Aber wer das schon grausig fände, fuhr sie fort, solle sich einmal vorstellen, „dass heute in Großbritannien Babys wegen ihres Geschlechts beseitigt werden“. Bei einer verdeckten Recherche der englischen Zeitung wurden britische Ärzte heimlich dabei gefilmt, wie sie zustimmten, Föten allein wegen ihres Geschlechts zu töten. Ein Arzt erwiderte auf eine solche Bitte hin: „Das ist nicht fair. Es ist wie Femizid [gezielte Tötung weiblicher Kinder], oder nicht?“ Trotzdem stimmte er der Abtreibung zu, ohne anzumerken, dass der Grund, den die Mutter anführte, offiziell nicht akzeptabel war. „Ich schreibe zu jung für eine Schwangerschaft, okay?“ Ein anderer Arzt sagte nur: „Ich stelle keine Fragen. Wenn Sie einen Abbruch wollen, dann wollen Sie einen Abbruch.“

Zwei Jahre nach dem Artikel im Telegraph liefern geschlechtsspezifische Abtreibungen in Großbritannien weiterhin Grund zur Sorge. Im April 2014 verlangten mehrere Mitglieder des Oberhauses eine Klärung des Abtreibungsgesetzes von 1967, um deutlich zu machen, dass Schwangerschaftsabbrüche aufgrund des Geschlechts gegen den Sinn des Gesetzes verstoßen.

Nachdem die Ergebnisse der Telegraph-Recherche veröffentlicht worden waren, meinte Telegraph-Kolumnist Theodore Dalrymple in einem Kommentar, „die Feststellung, dass geschlechtsspezifisch selektierter Abbruch in Großbritannien zu haben ist, sollte niemanden überraschen“. Er fügte hinzu: „Mehr als ein Arzt in meinem Freundeskreis hat mir erzählt, dass Schwangere um einen Abbruch gebeten haben, weil sie sich ihren Urlaub nicht durch die Schwangerschaft verderben lassen wollten – und dass er brav die Formulare unterschrieben hat.“

Wenn Ärzte den Hippokratischen Eid leisten, treten sie einen Beruf an, dessen Auftrag darin besteht, Leben zu erhalten und zu schützen, und keinesfalls darin, dessen Vernichtung zu ermöglichen.

AUS HÖHERER SICHT 

Gott hat das Leben in all seinen verschiedenen Formen gegeben – Vögel, Fische, Säugetiere, Menschen –, und jedes Leben hat einen gottgegebenen Sinn. Dem Menschen wurde zusätzlich ein Geist gegeben, dank dessen er sich seines Daseins bewusst ist, seine Umwelt verstehen und in Beziehung zu seinem Schöpfer treten kann (Hiob 32, 8-9). Jedes Baby, jedes Kind, jeder Jugendliche, jeder Erwachsene, jeder alte Mensch ist in Gottes Augen wertvoll. Keiner von ihnen ist zum Wegwerfen. In Gottes Augen haben sie alle einen Sinn, einen Wert und sollen bestimmte Ziele innerhalb seines Plans erreichen. Er bevorzugt niemanden aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Lebensalter oder Nationalität. Er liebt die ganze Menschheit, alle Nationen, alle Stämme, alle Völker.

Wir haben die Verantwortung, für unser eigenes Leben und für das Leben anderer zu sorgen, insbesondere das von Bedürftigen. Gottes Wort zeigt uns, dass wir unsere Mitmenschen so lieben sollen wie uns selbst. Dass ein Mensch einem anderen das Leben nimmt, ist vor Gott nicht akzeptabel.

Denken wir an 2. Mose 20, 13, eines der Zehn Gebote. Wie die anderen neun definiert es, wie wir leben sollen. Es lautet „Du sollst nicht töten“ – eine ganz einfache, direkte Ansage des Schöpfers, der alles Leben schenkt. Wer Leben vernichtet, der zerstört, was Gott gemacht hat, und handelt damit gegen Gott. Der größte Zerstörer ist Satan, der Widersacher, der sich Gott entgegenstellt und alle inspiriert, die andere Menschen ermorden, töten oder solche Taten bagatellisieren. Es ist möglich, dass wir Menschen das Wesen Satans annehmen, indem wir unser Denken seinen bösen Gedanken öffnen und zulassen, dass sie sich dort einnisten und entwickeln, und ihm damit erlauben, uns als Werkzeug des Frevels und des Bösen zu benutzen.

Die biblische Überlieferung gibt Einblick in den Ursprung der Einmischung Satans bei den Menschen. Adam und Eva achteten das Leben nicht. Sie glaubten nicht wirklich, dass das, was sie empfangen hatten, einzigartig wertvoll, heilig, unantastbar war. Sie hörten stattdessen auf Satan und kamen zu der Überzeugung, das, was sie empfangen hatten, sei irgendwie minderwertig. Sie verloren die Einzigartigkeit und Heiligkeit des Lebens aus den Augen und wählten an seiner Stelle den Weg des Todes. Wie Eva Satan gegenüber erklärt, lautete Gottes Anweisung, dass weder sie noch ihr Mann vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen essen sollten. Als sie es dennoch tat, handelte sie in willentlichem Ungehorsam und nicht aus einem Zufall heraus. Sie wusste genau, was ihr geboten worden war, und verstieß bewusst dagegen – und Adam mit ihr.

Auch ihr Sohn Kain ging den Weg des Todes, indem er Gottes Herrschaft und die Unantastbarkeit des Lebens, das Gott seinem Bruder Abel gegeben hatte, nicht anerkannte. Er tötete Abel, weil er ihm die Fähigkeit neidete, das Richtige zu tun (1. Johannes 3, 11-12). Als Gott ihn fragte: „Wo ist dein Bruder Abel?“, versuchte er abzustreiten, dass er ihn getötet hatte, und sagte: „Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?“ (1. Mose 4, 9).

Seit diesen unwürdigen Ereignissen ist ein Leben wenig wert; Menschen zeigen ihre Einstellung gegenüber dem Leben, das Gott schenkt, durch Serien- und Massenmorde, Aufstände, Kriege und Terroranschläge – selbst durch Kindstötung. Ebenso unfassbar ist, dass im Namen Gottes oder der Religion getötet wird. Der Apostel Johannes hat hierzu etwas Profundes geschrieben: „Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?“ (1. Johannes 4, 20).

ACHTUNG VOR DEM LEBEN 

Das Leben der Menschen ohne Gottes Standards ist bis heute ein qualvoller, verzweifelter Kampf, und allzu oft ist es tragisch. Krieg, Bürgerkrieg, absichtliches Aushungern von Völkern, Hungersnöte, menschliche Exzesse haben das Leben unzähliger Männer, Frauen und Kinder unfassbar leidvoll gemacht.

Fehlende Achtung vor dem Schöpfer des Lebens ist etwas, was die meisten Menschen nicht zur Kenntnis nehmen; doch Gott sagt, dass es Mord ist, ein Menschenleben absichtlich zu beenden. Gott gibt das Leben, und für ihn ist wertvoll, was er gibt. Schließlich hat er den Menschen nach seinem eigenen Bild geformt (1. Mose 1, 27) und jeden als etwas Einzigartiges geschaffen. Es steht dem Menschen nicht frei, andere zu beseitigen. Wer Psalm 139, 13-16 liest, dem wird bewusst, dass Gottes Werk etwas ganz Besonderes ist: „Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele […].“

Das Leben, das Gott gibt, ist kein Wegwerfartikel, den man nach Belieben nehmen oder vernichten kann. Gott allein bestimmt über das Leben und dessen jeweilige Dauer. Wir sollten diese Dinge nicht selbst in die Hand nehmen, denn es ist Gottes Vorrecht, jedes Leben beginnen und enden zu lassen.

Wer weiß nicht, dass eines der Gebote „Du sollst nicht töten [d. h. morden]“ lautet? Selbst die Bildungsfernsten in der Gesellschaft wissen – manche würden sagen von Natur aus –, dass es unmoralisch ist, eine andere Person absichtlich zu töten.

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: […] Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“

Offenbarung 21, 4-6

Und doch ließ Gott bei Mördern, die in seinem Wort genannt werden, Gnade walten. Er hat solchen Menschen vergeben und wird noch weiteren vergeben. Was dazu nötig ist, ist ein Sinneswandel bei denen, die Unschuldige töten. Alles Leben ist gottgegeben und heilig. Und was Gott gegeben hat, darf kein Mensch wegnehmen.