Fukushima: Nur ein Holperer auf dem Weg zu sicherer Atomkraft?

Die Menschen, die seit Jahren eine Gedenkfeier für die Opfer von Tschernobyl planen, empfinden den Zeitpunkt, an dem die Katastrophe das Aus für Japans Kernkraftwerke brachte, als Ironie. Noch immer gibt es Schwierigkeiten, die beschädigten Reaktoren von Fukushima unter Kontrolle zu bringen, und die Gefahr der Kernschmelze ist nicht abgewendet; nun ist leider erwiesen, wie berechtigt die Warnungen waren ‒ ein weiteres Tschernobyl sei möglich und sogar wahrscheinlich. Natürlich ist niemand, der „Atomkraft – nein danke“ gesagt hatte, im Mindesten erfreut über diese Ereignisse. Doch dass sie so kurz vor dem 25. Jahrestag des Unfalls von Tschernobyl eingetreten sind, wird den bereits geplanten Veranstaltungen um den 26. April noch größere Legitimation verleihen. Auch ohne die jüngste Katastrophe wäre das Datum sicher ein Thema für die Nachrichten gewesen, höchstwahrscheinlich aber in der gleichen Schublade im kollektiven Gedächtnis der Welt abgelegt worden wie die tausendfachen Atombombentests, die die USA und die Sowjetunion im Kalten Krieg durchgeführt haben – eine Umwelttragödie, die von beiden Seiten anerkannt wurde, sie aber nicht weiter kümmerte.

In den vergangenen Jahren wurde die Kernenergie zunehmend als sichere, saubere Alternative zu fossilen Brennstoffen für unseren Energiebedarf akzeptiert. Sogar prominente Umweltschützer befürworten inzwischen die Kernenergie als Bestandteil des Klimaschutzes. Überraschenderweise haben einige diesen Wechsel vollzogen.

Nachdem der Tsunami am 12. März die Ersatzkühlsysteme der japanischen Kernreaktoren lahmgelegt hatte, schrieb George Monbiot, der bei manchen als der führende britische Autor zu Umweltschutzfragen gilt, für die Zeitung Guardian vom 22. März einen Artikel mit dem Titel „Why Fukushima Made Me Stop Worrying and Love Nuclear Power“ („Warum ich Atomkraft wegen Fukushima nicht mehr fürchte, sondern liebe“). Darin brach er eine Lanze für die künftige Entwicklung der Kernenergie: „Eine mistige, alte Anlage mit unzulänglichen Sicherheitsmerkmalen wurde von einem Monster-Erdbeben und einem riesigen Tsunami getroffen. Die Stromversorgung fiel aus, und mit ihr das Kühlsystem. Die Reaktoren begannen zu explodieren und zu schmelzen. Die Katastrophe deckte eine bekannte Altlast aus schlechter Konstruktion und allzu schnellen Lösungen auf. Doch soweit bekannt ist, hat noch niemand eine tödliche Strahlendosis bekommen.“

Diese neu bekehrten Atomkraftbefürworter argumentieren, was in Tschernobyl geschah, könne sich nicht wiederholen, weil jener Unfall nur durch einzigartige Umstände möglich wurde. Moderne Atomkraftwerke seien so konstruiert, dass sie viel widerstandsfähiger seien als das von Tschernobyl, und hätten so viele Ebenen von Sicherheitssystemen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses, das zur Zerstörung des Reaktorinneren führe, nahe null sei. Die Kombination aus Fehlbedienung, dem Wunsch der Sowjets, das Ereignis zu vertuschen, und der überholten Technik der Reaktoren von Tschernobyl war in der Tat eine ungewöhnliche Konstellation der sprichwörtlichen Dominosteine.

Dieses Szenario dürfte kaum noch einmal genau so ablaufen – dennoch erinnert die Argumentation an ein anderes Sprichwort: „Dicht dabei ist auch daneben.“ Mit anderen Worten: Wenn es um Atomkatastrophen geht, ist für eine Wahrscheinlichkeit von „nahe null“ kein Raum.

Abgesehen von dem Tschernobyl-Unfall, dem Störfall von Three Mile Island in den 1970er-Jahren und der aktuellen Krise in Japan ist die Sicherheitsbilanz der Kernkraftindustrie nahezu perfekt, wenigstens im Hinblick auf Großkatastrophen. Ob dies allerdings eine akzeptable Bilanz ist, sollte man einen der 300 000 Menschen fragen, die ihre Heimat bei Tschernobyl verloren, oder einen der Tausende, die dort Schilddrüsenkrebs bekamen.

Wir Menschen wollen glauben, dass wir alles erobern können, wie groß die Gefahren auch sind. So sind manche zuversichtlich, dass sie die enorme Energie im Inneren des Atoms gefahrlos freisetzen können – ganz gleich, mit welcher Kraft sich die Natur ihnen entgegenwerfen kann. Monbiot beschließt seinen Artikel mit den Worten: „Die Atomenergie wurde gerade einem der härtesten möglichen Tests unterzogen, und die Auswirkungen auf Menschen und die Erde sind gering.“

Doch ist es nicht möglich, dass ein noch härterer Test kommt, und dies bei einer Anlage, die noch weniger dafür gerüstet ist? Was geschieht, wenn das nächste Erdbeben noch stärker ist und sein Epizentrum nur einige Kilometer näher an einem Kernreaktor hat? Welche Folgen hätte ein erfolgreicher Terroranschlag auf eine Anlage in der Nähe eines Ballungsraums? Was bei bestimmten Reaktionen – nicht nur der Atomindustrie, sondern auch mancher Umweltschützer – auf Japans Krise am meisten beunruhigt, ist die Arroganz, sich nicht mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Können wir es uns leisten, Tschernobyl und Fukushima als bloße Holperer auf dem Weg zu sicherer Atomkraft abzutun?