Löcher in der Geschichte

What Did the Biblical Writers Know and When Did They Know It?

William G. Dever. William B. Eerdmans, Grand Rapids, Michigan. 313 pages.

The Bible Unearthed: Archaeology’s New Vision of Ancient Israel and the Origin of Its Sacred Texts

Israel Finkelstein and Neil Asher Silberman. 2001. The Free Press, New York. 385 pages.

The Lost Testament: From Eden to Exile: The Five-Thousand-Year History of the People of the Bible

David Rohl. 2002. Random House, London. 513 pages.

Ein neuer Krieg ist im Nahen Osten entbrannt, doch diesmal heißt das Schlachtfeld Archäologie und Geschichte. Und im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht die Glaubwürdigkeit der Bibel als akkurater Bericht über die Geschichte der Region. Für die Besprechung der drei Bücher über dieses Thema ist es von Bedeutung, dass sich keiner der Autoren als tief religiös bezeichnet, mit einem Glauben, den es zu schützen gälte. William Dever geht dennoch mit missionarischem Eifer an die Archäologie heran. Er hat tief über die philosophischen Hintergründe des Themas nachgedacht. Israel Finkelstein ist ein führender israelischer Archäologe, den Dever als Revisionisten oder Minimalisten bezeichnen würde, weil er behauptet, die Bibel sei eine späte Erfindung hellenistischer Juden. David Rohl ist dagegen eindeutig ein Maximalist – einer, der glaubt, die Archäologie könne die Geschichtsschreibung der Bibel weitgehend bestätigen.

ARCHÄOLOGIE UND BIBEL 

In vielen westlichen Ländern hat die Bibel das Fundament für Gesellschaft und Zivilisation gelegt. Doch ihre Historizität und ihr Wert als eine Quelle von Wahrheit geraten zunehmend unter Beschuss. Die eifrigsten Kritiker sind Minimalisten und Revisionisten.

Ein Teilnehmer an der Debatte ist William G. Dever mit seinem Buch What Did the Biblical Writers Know and When Did They Know It? (Was wussten die Autoren der Bibel, und wann wussten sie es?). Dever bekennt sich dazu, als Kind mit der Bibel gelebt zu haben: Sein Vater war ein fundamentalistischer Prediger. Obwohl Dever dessen Fundamentalismus nicht teilt, räumt er doch ein, dass einiges davon auf ihn abfärbte. „Ich höre noch immer die Kadenz seiner dröhnenden Stimme, wenn er auf der Kanzel aus der Schrift vorlas; und ich fürchte, ein Teil meines eigenen Lehrstils beim Unterrichten und bei öffentlichen Vorträgen kommt von ihm.“

Als junger Mann hatte Dever Bedenken, sich auf ein kritisches Studium der Bibel einzulassen, vor allem weil er seinen Glauben in Gefahr sah. Doch schließlich brachte ihn seine Liebe zum Wissen dazu, an der Universität Harvard in biblischer Theologie zu promovieren. Danach verbrachte er als Leiter mehrerer Forschungsinstitute elf Jahre in Israel. Er entwickelte eine Leidenschaft für die Biblische Archäologie und stieg zum Direktor des angesehenen archäologischen Instituts Albright School auf. „Ich fing an zu erkennen, wie die Realien der Archäologie Licht auf das alte Israel werfen konnten. Und ich träumte von einem Dialog zwischen Archäologie und Bibelforschung.“

Warum hat er dieses Buch geschrieben? „Weil ich musste“, antwortet er, „nicht nur um dem ,revisionistischen‘ Missbrauch der Archäologie etwas entgegenzusetzen, sondern um zu zeigen, wie bestechend die moderne Archäologie ein reales,Israel‘ in der Eisenzeit erhellt [die im Nahen Osten um 1200 v. Chr. begann], und auch als Beitrag zum Dialog zwischen Archäologie und Bibelforschung, den ich mir immer vorgestellt hatte.“

Das Buch widmet sich in der ersten Hälfte einer Geschichte der Archäologie, den Wandlungen, die sie durchgemacht hat sowie den Herausforderungen, denen sie heute zu begegnen hat. Dever vergleicht die Herausforderungen der biblischen Archäologie im Raum Syrien-Palästina oder der Südlichen Levante mit denen der alttestamentlichen Bibelforschung. Beide Disziplinen haben in der Welt der nichtfundamentalistischen Wissenschaftler an Glaubwürdigkeit eingebüßt. An ihre Stelle traten die literarische Erforschung des Alten Testaments und eine minimalistische Geschichtsforschung, die der Archäologie ebenso wenig gerecht werden wie der Bibel.

Dever glaubt, dass sowohl die Archäologie als auch die Bibel einen Beitrag leisten können. Er meint allerdings, die archäologischen Befunde und der Text der Bibel müssten den gleichen Deutungsstandards unterworfen werden, damit sie miteinander kommunizieren könnten. Zu diesem Zweck unternimmt er es, das revisionistische Bild der Geschichte Israels zu widerlegen, indem er Texte und Artefakte gleichwertig und gemeinsam benutzt.

REVISIONISTEN BLOSSGESTELLT 

Dever stellt die Existenz eines realen Israel in der Eisenzeit recht plausibel dar. Beginnend mit dem Buch Richter und bis hin zur Periode des „Vereinigten Königreichs“ unter David und Salomo entlarvt seine Rekonstruktion dieser entscheidenden Epoche den Missbrauch archäologischer Daten durch die Revisionisten und offenbart die Schwäche ihrer Geschichtsklitterung.

Dever stellt die Existenz eines realen Israel in der Eisenzeit recht plausibel dar. 

Das strittige Thema, das er angeht, ist die Verwendung einer Schriftsprache durch die Bevölkerung Israels vor dem 7. Jahrhundert v. Chr. – den Revisionisten zufolge dem frühesten Zeitpunkt, zu dem die Bibel geschrieben worden sein könnte. Dies ist die zentrale These in Israel Finkelsteins Buch The Bible Unearthed (Die Bibel ausgegraben). Dever schreibt: „Mehrere einzelne Ostraka [Scherben von Schrifttäfelchen aus Ton] sind . . . heute bekannt, genug, um zweifelsfrei zu belegen, dass im alten Israel tatsächlich umfangreiches schriftliches Material auch außerhalb offizieller Archive existierte, d.h., dass viele außerhalb der Eliten lesen und schreiben konnten.“

Ein Ostrakon, das in den 1980er-Jahren im Osten der Wüste Negev gefunden wurde, ist von besonderer Bedeutung. Es stammt aus dem 7. Jh. v. Chr. und trägt eine Inschrift in hebräischer Sprache, aber auch eine Liste ägyptischer hieratischer Zeichen für Zahlen. Aus irgendeinem Grund wurde das ägyptische Zahlensystem in ganz Israel und Juda vorgezogen und verwendet. Dever merkt an, der Professor für jüdische Geschichte Nadav Na'aman habe „kürzlich erklärt, dass dieses System spätestens im 10. Jh. von Ägypten übernommen worden sein muss; von Israels semitischen Nachbarvölkern kann es nicht stammen, da keines es verwendete. Und es ist auffallend, dass es in Ägypten selbst im 8. und 7. Jahrhundert nicht belegt ist; somit muss es aus einer früheren Zeit stammen.“ Na'aman, der kein Bibelforscher ist, kommt zu dem Schluss: Aufgrund dieser Beweislage „muss der Historiker den biblischen Begriff eines davidisch- salomonischen ,Königreichs‘ ernst nehmen.“ Im Gegensatz zu den Revisionisten glaubt Dever, dass archäologische Befunde eindeutig auf eine Schrifttradition seit David hindeuten, wenn auch noch keine konkreten Beweise dafür gefunden wurden.

Darüber hinaus enthält die in der Bibel aufgezeichnete Geschichte Einzelheiten über andere Völker und Ereignisse, die bei einer Niederschrift im 7. Jh. oder der nachexilischen Periode (nach 538 v. Chr.) nicht bekannt gewesen wären. Die geschichtlichen Ereignisse müssen von Zeitgenossen aufgezeichnet worden sein. Auch die frühen Propheten geben einen Einblick in das Leben des Volkes Israel, und dieser stimmt mit den archäologischen Befunden überein.

Devers Schlussfolgerungen sind kaum zu ignorieren. Für ihn ist die hebräische Bibel zwar nicht „Geschichte“ im modernen Sinn, aber doch ein Umriss mit vielen Einzelheiten der Geschichte eines realen „alten Israel“ in der Eisenzeit. Er fügt hinzu, wir sollten Theologie, Religion und Moral voneinander trennen und einsehen, dass sie nicht ein und dasselbe sind.

Die Autoren der Bibel, schreibt er, machten Aussagen, die auf ihrem Glauben beruhten. Wir dürften nicht vergessen, dass es in der Bibel nicht in erster Linie um die Geschichte oder die Historizität gehe, sondern um die Hauptperson Gott: „Die eigentliche Frage ist“, so Denver, „ob der Glaube der Autoren der hebräischen Bibel noch der unsere sein kann. Für einige kann er es, für andere nicht.“

Wie Dever anmerkt, ist es für Fundamentalisten, seien sie Christen oder Juden, eine heikle Angelegenheit, Dinge auszugraben, die Beweise gegen ihren Glauben sein könnten. Wenn nicht bewiesen wird, dass die Bibel zu 100% Recht hat, könnten solche Menschen sich fragen, wie „eine so betrügerische Literatur die Grundlage für irgendein System des Glaubens, der Moral oder der kulturellen Werte sein kann“.

Dem setzt er entgegen, selbst wer der Ansicht sei, dass einige der biblischen Autoren Fakten überspitzt darstellten und die zeitliche Abfolge verwechselten, sollte nicht die gesamte Botschaft der Bibel vorschnell beurteilen. Man könne sich in der Sprache, dem Kontext und der wörtlichen Bedeutung verlieren und die größere Wahrheit aus den Augen verlieren, die die Autoren der Bibel letztlich vermitteln wollten.

Devers Buch ist mehr als eine Widerlegung der minimalistischen und der revisionistischen Schule. Es ist ein bahnbrechendes Werk über das Wesen und die Herausforderungen der Archäologie, wie sie sich in den letzten 200 Jahren entwickelt hat, und über den Weg, den sie nehmen muss, wenn sie im 21. Jahrhundert relevant bleiben will. Ihn treibt eine Vision für die Zukunft einer Disziplin, die er eindeutig liebt und mit der er sich identifiziert.

GESCHICHTE UMGESCHRIEBEN 

The Bible Unearthed ist ein umstrittenes Buch, das seinen Autoren viel Aufmerksamkeit beschert hat. Kürzlich ist eine Ausgabe auf Hebräisch mit einer erweiterten Einführung erschienen, in der die Autoren die Bedenken, dass Behauptungen von Archäologen dem Glauben der Leser schaden könnten, zu beschwichtigen suchen.

Israel Finkelstein leitet das Sonia and Marco Nadler Institute of Archaeology an der Universität Tel Aviv. Sein Mitautor ist Neil Asher Silberman, Leiter des Bereichs Historische Deutung im Ename Center für Public Archaeology and Heritage Presentation in Belgien sowie Redakteur der Zeitschrift Archaeology. Finkelstein ist derzeit Leiter einer Ausgrabung der Universität von Tel Aviv in Tel Megiddo; weil dort seit so langer Zeit gegraben wird, bietet ihm dies Gelegenheit, die Arbeit einiger der größten Archäologen des 20. Jahrhunderts kritisch zu überprüfen.

Finkelstein unterbreitet eine eigene, revidierte Version der biblischen Geschichte, beruhend auf seiner Sicht der Ausgrabungen des letzten Jahrhunderts. Er sieht den Tag gekommen, an dem die Archäologie auf eigenen Füßen stehen kann – als Naturwissenschaft, nicht als eine Art Kunst –, und glaubt, sie könne ganz allein die Wahrheit über die Entwicklung des Volkes Israel und seiner Religion liefern.

Vor allem, behauptet Finkelstein, sei es an der Zeit, dass die Archäologie bei der Festlegung von Zeitrahmen ihre Bindung an die Bibel löse.

Vor allem, behauptet er, sei es an der Zeit, dass die Archäologie bei der Festlegung von Zeitrahmen ihre Bindung an die Bibel löse. Als Beispiel nennt er die Verbindung der Tore von Megiddo mit König Salomo aufgrund von 1. Könige 9, 15. Seiner Meinung nach stammen die Tore aus dem 8. Jahrhundert, rund 200 Jahre später. Sie aufgrund der Schrift zu datieren sei schlicht ein Zirkelschluss.

Das Buch präsentiert in erster Linie Finkelsteins Rekonstruktion der Geschichte Israels und Judas sowie seine These, die Bibel sei im 7. Jh. v. Chr. geschrieben worden. Er behauptet, die Geschichte von dem „Vereinigten Königreich“ mit Jerusalem als glorifizierter Hauptstadt, überragt von einem heiligen Tempel von monumentaler Größe und Bedeutung, sei ein Mythos. Dieser sei im Rahmen der religiösen Reformen unter König Josia kurz vor dem Babylonischen Exil geschaffen worden, um Jerusalems Bedeutung zu erhöhen und die Existenz des Königreichs Juda im 7. Jahrhundert zu bestätigen. Den eigentlichen Wohlstand und die politische Fortüne habe das nördliche Königreich Israel gehabt. Juda sei immer der arme Verwandte im Süden gewesen. Finkelstein bezweifelt, dass im 10. Jh. v. Chr. – der Zeit, in der David und Salomo herrschten – in Jerusalem überhaupt etwas existierte.

DIE SCHRIFTLICHE ÜBERLIEFERUNG 

Ist Finkelsteins Hypothese haltbar? Untersuchen wir seine Behauptung, es gebe keine Belege dafür, dass in Jerusalem schon vor dem späten. 8. Jahrhundert geschrieben wurde.

Finkelstein schreibt: „Die königliche Zitadelle Jerusalem wurde in einer einzigen Generation aus dem Sitz einer eher unbedeutenden Lokaldynastie zum politischen und religiösen Nervenzentrum einer regionalen Macht.“ Dadurch „wurde es erst zu einem richtigen Staat“, und unter König Hiskia im späten 8. Jahrhundert wurde eine Staatsreligion etabliert. Unter Josia, ein Jahrhundert später, wurden die Reformen fortgesetzt, und die Niederschrift der Bibel habe begonnen.

Wenn aber die Bibel im 7. Jahrhundert geschrieben wurde, warum enthält sie dann Material aus Quellen, die manchen Forschern zufolge zu oft widersprüchlich sind, um die Geschichte Judas zu umreißen? Doch genau dies ist Finkelsteins These. Und warum enthält sie dann auch die Überlieferungen der nördlichen Stämme Israels, die sich im 10. Jh. v. Chr. von Juda getrennt hatten und ein selbstständiges Volk geworden waren? Konnte eine Gemeinschaft wie Jerusalem – Finkelstein zufolge ohne jede Geschichte oder schriftliche Überlieferung – ein Dokument vom Umfang der Bibel hervorbringen? Ohne eine kontinuierliche Schrifttradition, die die Geschichte und sonstiges Material in irgendeiner Form überlieferte, dürfte das eine unrealistische Vorstellung sein. Und auch wenn Gesellschaften ihre eigenen Traditionen mündlich überliefern können, wie überliefern sie Traditionen, die laut Finkelstein zu der ihren in Konkurrenz stehen, ganz zu schweigen von der Geschichte und den Traditionen eines anderen Volkes oder Stammes, mit dem sie nicht mehr verbunden sind?

Diese Schwierigkeiten offenbaren einen grundsätzlichen Fehler in Finkelsteins Logik. Wenn nicht die Bibel einen Zeitrahmen für die Archäologie im Nahen Osten liefern kann, muss etwas Anderes dazu dienen, die wichtigsten Koordinaten zu etablieren. Die Archäologie kann das nicht für sich selbst tun. (Daher Devers Appell, sowohl den biblischen Text als auch die archäologischen Befunde zu verwenden, wobei allerdings das Maß und die Methode der Deutung bei beiden gleich sein müssten.)

Finkelstein hat bewiesen (wenn auch vielleicht noch nicht sich selbst), dass Archäologie, auf sich allein gestellt, kein vollständiges Bild der Geschichte geben kann. 

So löblich Finkelsteins Wunsch sein mag, Zirkelschlüsse in seinem Fach zu vermeiden – an ihre Stelle eine unüberprüfbare persönliche Auslegung zu stellen, ist fragwürdig. Mit seinem Buch hat Finkelstein bewiesen (wenn auch vielleicht noch nicht sich selbst), dass Archäologie, auf sich allein gestellt, kein vollständiges Bild der Geschichte geben kann.

EINE FRAGE DER ZEIT 

David Rohl beteiligt sich von einer anderen Seite an der Auseinandersetzung – einer Seite, die für die gesamte Archäologie von Bedeutung ist. Er betrachtet eine frühere Epoche als Dever und Finkelstein.

Was unterscheidet The Lost Testament (Das verlorene Testament) von anderen Büchern über die Archäologie und Geschichte des Nahen Ostens? Die Chronologie, sagt der Autor. Rohls Prämisse ist, dass die zeitliche Abfolge der Ereignisse, die bisher etabliert wurde, um 350 Jahre von der Wahrheit abweicht. Seine neue Datierung nennt er „neue Chronologie“.

Rohl stellt fest, dass viele Forscher, die Ausgrabungen im Nahen Osten durchführen, einfach an der falschen Stelle oder in der falschen Schicht graben. Deshalb bestätige die Archäologie viele biblische Berichte nicht. Sie beruhe auf der „alten Chronologie“. Er schreibt: „Wer in den Schichten der späten Bronzezeit bei Tell es-Sultan (dies ist der moderne arabische Name des Ruinenhügels von Jericho) nach den gefallenen Mauern Jerichos sucht, wird sie nicht finden. Doch wenn man mehrere Meter tiefer gräbt, sind die gefallenen Mauern von Josuas Jericho da, um freigelegt zu werden. Tatsächlich sind sie schon teilweise freigelegt, nur wurden sie einfach noch nicht als das erkannt, was sie sind.“ Er glaubt, dass die Archäologie seiner Kollegen die biblischen Berichte über den Exodus, König David, König Salomo und andere nicht bestätigt, behauptet aber nicht, seine Kollegen seien Bibelgegner.

Rohl bezichtigt junge Forscher, die die Beweise der neuen Chronologie gesehen hätten und wüssten, dass sie ihren Forschungen entspricht, dass sie nicht den Mut hätten, den Status quo abzuschütteln. Er glaubt, sie fürchteten das Urteil ihrer Kollegen. Rohl zufolge ist Kenneth Kitchen, ein führender Ägyptologe, der früher an der Universität Liverpool lehrte, der Kopf der Desinformation gegen seine neue Chronologie. Einige von Kitchens israelischen Altersgenossen sähen die Widersprüche, täten jedoch nichts als „verdutzt dreinschauen, sich den Kopf kratzen, wieder zu ihren Grabungen gehen und weiter mit Kitchens Datierung arbeiten“. Und wer könnte ihnen das zum Vorwurf machen? Wie Rohl einräumt, würden sie 200 Jahre historischer Rekonstruktion über Bord werfen.

Den Kern des Problems sieht Rohl in der Identifizierung des Pharaos Scheschonq I. mit dem biblischen Pharao Schischak. Diese Identifizierung beruht nur auf der Ähnlichkeit der Namen, die der französische Archäologe Jean-François im frühen 19. Jahrhundert als Erster bemerkte. Rohl behauptet, es handle sich um zwei verschiedene Personen, die aus unterschiedlichen Gründen Krieg gegen Juda und das nördliche Königreich Israel führten. Auf Champollions Annahme beruhen jedoch alle Datierungen der Archäologie der Eisenzeit in Israel sowie die Datierung der ägyptischen Pharaonen.

Liefert Rohl denn Beweise für seine neue Chronologie und eine schlüssige Erklärung für die Zeitlücke von 200-350 Jahren? Er zitiert immer wieder seine früheren Arbeiten, um seine Theorie der falschen Zeitrahmen zu verifizieren. Um diese Frage zu klären, muss man also wohl ein wenig mehr Zeit investieren und ältere Bücher über dieses Thema lesen.

Gewiss fügt sich die neue Chronologie sauber in das Vokabular und das Denken derer ein, die die Bibel wörtlich nehmen. Sie scheint viele der Geschichten zu bestätigen, die die Arbeit zeitgenössischer Archäologen falsifiziert. Doch selbst einige von Rohls maximalistischen Kollegen lehnen seine Chronologie ab, weil sie in anderen Teilen der biblischen Überlieferung ein Chaos anrichtet – unter ihnen Bryant G. Wood, der behauptet, dass es archäologische Beweise für seinen eigenen Glauben gibt und Rohl im Hinblick auf die Mauern Jerichos Recht gibt. Tatsächlich würde das gesamte Spektrum der Archäologen von Maximalisten bis zu Minimalisten dagegen protestieren, Rohls Befunde für bare Münze zu nehmen.

Rohl räumt ein, dass er von der Gemeinschaft seiner Fachkollegen als Scharlatan und Spinner bezeichnet wird, meint aber, das sei zu erwarten, wenn man so altgediente Datierungsmethoden umwerfe. Was ist sein Rat? „Bitte bedenken Sie, dass all dies im Werden ist und nicht in Stein gehauen wie die herkömmliche Chronologie. Was die neue Chronologie so spannend macht, ist, dass sie nicht in ihrem eigenen Dogma festsitzt. Flexibilität und Anpassungsbereitschaft sind ein Qualitätsmerkmal . . . keine Schwäche.“

So verstanden, deckt das Buch eine Reihe biblischer Berichte aus historischer Sicht ab. Für seine Leser hofft er, dass sie „Freude daran haben werden, ein wenig tiefer in dieses faszinierende Forschungsgebiet einzudringen, das einmal als ,Sherlock-Holmes-Krimi mit 4000 Jahre alten Indizien‘ bezeichnet wurde.“ Das ist sicher ein lohnendes Ziel.