Ein Erdzeitalter der anderen Art

Wie stark der Mensch die Umwelt beeinflusst hat, ist noch strittig, aber es lässt sich nicht leugnen, dass wir sie beeinflussen; deshalb wird unser Erdzeitalter, das Holozän, auch Anthropozän genannt. Die Aufrufe, den Trend umzukehren und die Erde zu retten, werden lauter und beharrlicher, aber überschätzen wir die Macht des Menschen, den Planeten und seine Systeme zu kontrollieren?

In der Welt der Primaten sind wir vergleichsweise haarlosen Wesen „der nackte Affe“. Doch Nacktsein bedeutet auch Ausgesetztsein, Verletzlichkeit und damit verbundene Unsicherheiten: Wir sind dem Wetter und der näheren Begutachtung schutzlos ausgesetzt, können dadurch Schaden nehmen. Wir können uns eigentlich nicht verstecken – und trotzdem versuchen wir genau das – uns zu verstecken.

Eine Möglichkeit, uns zu verstecken, besteht darin, uns eine Schicht Bekleidung überzuziehen – eine zweite Haut, mit der wir uns gleichzeitig eine Identität überstreifen. Sie bildet einen sowohl körperlichen als auch psychischen Schutz. Im Garten Eden versteckte sich der Mensch vor Gott, indem er seine Blöße mit Feigenblättern bedeckte. Wie zur Zeit des Turmbaus zu Babel fühlen wir uns heute sicher unter der Haut unserer Strukturen und Kulturen. Unsere zweite Haut gewährt uns sogar Zugang zu Regionen, in denen wir ohne sie nicht überleben könnten. Wir haben Mittel entwickelt, mit denen wir uns wie jede andere Spezies ausstatten können, wir können alles sein und überallhin gelangen, vom luftleeren Raum bis zur erdrückenden Tiefsee – und an jeden Ort dazwischen.

Diese Möglichkeiten scheinen zu bestätigen, dass uns in vielerlei Hinsicht keine Grenzen gesetzt sind. Wir haben das Gefühl, alles kontrollieren zu können wie kein anderes Lebewesen, über ein weit offenes Potenzial zu verfügen, das schon früh in unserer Geschichte erkannt wurde: „Nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun“ (1. Mose 11, 6b). Deshalb überrascht es auch nicht, dass die Entwicklung dieser zweiten Haut uns die Möglichkeit verschafft hat, einen immer weitreichenderen Einfluss auf die Erde selbst zu erlangen.

Was aber werden wir nun tun, da uns die unbeabsichtigten Folgen dieses Einflusses zunehmend bewusst werden?

DAS ZEITALTER DES MENSCHLICHEN EINFLUSSES 

Geologen zufolge wurde die Spezies Mensch in dem Erdzeitalter dominant, das sie Holozän (griechisch „das ganz Neue“) nennen und als die letzten rund 11.700 Jahre definieren. Das Holozän bildet innerhalb der Erdgeschichte einen sehr kurzem Abschnitt; es folgt auf das Ende der letzten Eiszeit, des Pleistozäns, das weitere 2,5 Millionen Jahre zuvor begonnen haben soll.

Im Lauf des Pleistozäns gab es vielleicht 20 Zyklen größerer Abkühlung und Erwärmung. Auch heute noch gibt es Fluktuationen, doch das insgesamt stabile Klima des Holozäns gilt als entscheidender Faktor für die Blüte der Zivilisation. Die Vorhersehbarkeit eines freundlicheren und verlässlichen Klimas war von großer Bedeutung für die Entwicklung von Landwirtschaft und Sesshaftigkeit in einem stabilen Dorfleben. Dies ist einer der Gründe dafür, dass globale Temperatur- und Klimaveränderungen – gleich welcher Art – heute als schwerwiegende Gefahren für die Stabilität der Gesellschaft und der Umwelt gesehen werden.

Neuartige Werkzeuge, insbesondere mit Metallteilen, ermöglichten es dem Menschen, eine neue, zunehmend sichere und regelmäßige Lebensweise zu entwickeln. So wurde die menschliche Population allmählich immer größer; mit dem Aufkommen der naturwissenschaftlichen Forschung und ihrer praktischen Anwendung in Form neuer Technologien im 18. Jahrhundert beschleunigte sich ihr Wachstum zusätzlich.

Um 1800 war die Menschheit auf eine Milliarde angewachsen und bereits in den 1870er-Jahren sahen einige Beobachter diesen Anstieg und seine potenziellen Auswirkungen als bedenklich an. Der italienische Geologe und einstige Kleriker Antonio Stoppani schrieb: „Wir sind erst am Anfang der neuen Ära; doch wie tief ist der Fußabdruck des Menschen auf der Erde schon!“ (Corso di Geologia, 1873).

Stoppani ist heute dafür bekannt, dass er sich schon früh dafür aussprach, das Holozän entsprechend dem menschlichen Einfluss umzubenennen; er fand, dieser Einfluss sei im Bereich des Materiellen ebenso bedeutend wie der der Geburt Christi im Bereich des Spirituellen: „In genau diesem Sinne zögere ich nicht, das anthropozoische Erdzeitalter zu verkünden. Die Erschaffung des Menschen konstituiert die Einbringung eines neuen Elements in die Natur – mit einer Stärke, die alten Welten in keiner Weise bekannt war.“

Obwohl Stoppani glaubte, dass der Mensch Gottes besondere Schöpfung sei, sah er voraus, dass er von Natur aus destruktiv sein werde, weil es ihm an gottgemäßer Weisheit fehle: „Nichts ist letztlich sicher vor diesem Eindringling, der seinen Raub ausübt und seine Macht über Land, Luft und Wasser ausdehnt.“ Moderne Wissenschaftler haben Stoppanis „Anthropozoikum“ in „Anthropozän“ geändert; sie teilen zwar nicht seine Sicht von der Schöpfung, aber seine Sorge um unseren langfristigen Einfluss auf die Umwelt. Will Steffen vom Climate Change Institute der Australian National University formuliert dies so: „Der Einfluss des Menschen auf die globale Umwelt ist jetzt so groß und so aktiv geworden, dass seine Auswirkungen auf das Funktionieren des Systems Erde einigen der großen Naturgewalten Konkurrenz machen.“

Die Ausweisung einer Epoche als Anthropozän ab Beginn der industriellen Revolution, ab 1950 oder jedem anderen sehr jungen Datum kann die irrige Prämisse verstärken, dass der vorindustrielle Mensch in Harmonie mit der Natur lebte.“

Todd J. Braje und Jon M. Erlandson, „Humans, Anthropogenic Change, and the Anthropocene“

Die Forscher Todd Braje und Jon Erlandson erachten „die Ausweisung [der] Epoche als Anthropozän“ als überaus zutreffend: „Es lässt sich schwer vertreten, dass wir derzeit nicht in einem ,Zeitalter der Menschen‘ leben.“ Sie behaupten jedoch, unsere Einwirkung habe lange vor dem Industriezeitalter begonnen: „Es ist immer offensichtlicher geworden, dass frühe menschliche Populationen ihre lokale und regionale Umwelt erheblich beeinflusst haben; dies umfasst auch eine große Vielfalt von Pflanzen- und Tiergesellschaften.“

Der Ackerbau, das Roden von Land, die Forstwirtschaft und die Jagd auf große Tiere bis hin zu deren Ausrottung waren die ersten Beiträge des Menschen zur Veränderung unseres Planeten. In der modernen Zeit ist der menschliche Einfluss mit der Zahl der Menschen gewachsen: 1930 waren es zwei Milliarden, 1960 schon drei Milliarden und heute über sieben Milliarden. Die Wachstumsrate der Weltbevölkerung mag in den letzten Jahren rückläufig sein, trotzdem werden wir noch immer jedes Jahr 80 Millionen mehr. Bis 2050 könnten auf der Erde 9,5 Milliarden Menschen leben.

Die Weltbevölkerung ist exponentiell gewachsen, und mit ihr jeder Faktor, der dazu beiträgt, die Nacktheit zu überwinden und zu bekleiden. Die „J-Kurve“ bzw. das „Hockeyschlägerdiagramm“ beschreibt die Entwicklung fast aller menschlichen Aktivitäten, nicht nur der Weltbevölkerung. Dies ist im Wesentlichen nicht überraschend; eine exponentiell wachsende Bevölkerung muss einen langen Schatten werfen, da ihr Bedarf an Ressourcen ebenfalls mitwächst. Die Frage ist: Wie weit kann dieses Wachstum auf der endlichen Erde noch gehen?

UNTERSTÜTZUNG DURCH ÖKOSYSTEME 

In der Hektik unseres Alltags vergessen wir leicht, dass alles, was wir tun, etwas kostet – nicht nur im Sinn menschlich-wirtschaftlichen Denkens. All die Technik, die wir realisiert haben, um unsere Bedürfnisse (Wasser, Nahrung, Unterkunft) und die meisten unserer Wünsche (Mobilität, Unterhaltung, Freizeit) zu erfüllen, bleibt mit den Prozessen der Erde selbst verbunden. Die größeren Ökosysteme der Erde dienen der Zivilisation durch sogenannte „Ökosystemleistungen“, so der UNO-Bericht „Millennium Ecosystem Assessment, 2005“. Dazu gehören Bereitstellungsleistungen (Nahrung, Fasern), Regulierungsleistungen (Klima, natürliche Filtrierung von Niederschlag, Schädlingsbekämpfung), Unterstützungsleistungen (Bodenformation, Fotosynthese, Nährstoffkreisläufe) sowie kulturelle Leistungen, die Erholung, Naturtourismus, ästhetisches Vergnügen und spirituelle Erfüllung fördern.

Nur solange die Wechselwirkungen des Ökosystems gesund bleiben, sind wir in Sicherheit. Der Bericht erinnert uns daran: „Die Spezies Mensch ist trotz der Abschirmung gegen Umweltveränderungen durch Kultur und Technik fundamental abhängig vom Zustrom von Ökosystemleistungen.“ Weil auch Menschen Bestandteil von Ökosystemen sind, „existiert eine dynamische Wechselwirkung zwischen ihnen und anderen Teilen von Ökosystemen, wobei die sich wandelnden menschlichen Lebensbedingungen sowohl direkt als auch indirekt Veränderungen der Ökosysteme und dadurch Veränderungen für das Wohlergehen von Menschen bewirken“.

Wie reißfest ist dieses Geflecht von Zusammenhängen? Können durch unser Tun so viele Fäden reißen, dass diese Leistungen unmöglich werden?

Dies sind keine neuen Fragen. Der US-amerikanische Philologe und Umweltschutzvordenker George Perkins Marsh befasste sich mit ihnen, während er in etwa zu der Zeit, als Stoppani seine geologische Forschung betrieb, als Botschafter in Italien tätig war. Es ist nicht bekannt, ob sich die beiden Männer je begegnet sind, doch sie wären sich, was die Diskontinuität zwischen der Natur der Erde und ihrer Behandlung durch den Menschen anbelangt, sicher einig gewesen. Marsh schrieb: „Der Mensch hat zu lange vergessen, dass die Erde ihm nur zum Nießbrauch gegeben worden ist, nicht zum Verbrauch, geschweige denn zu hemmungsloser Verschwendung.“ Er kommentierte weiter: „Der Mensch ist überall ein Störfaktor. Wohin er seinen Fuß setzt, werden die Harmonien der Natur zu Disharmonien. Die Proportionen und Anpassungen, die die Stabilität bestehender Arrangements sicherten, werden umgestoßen.“

Von diesen mannigfachen Segnungen waren die Temperatur der Luft, die Verteilung der Niederschläge, die relative Anordnung von Land und Wasser, die Fülle des Meeres, die Zusammensetzung des Bodens und das Rohmaterial der primitiven Künste gänzlich frei geschenkte Gaben.“

George Perkins Marsh, Earth as Modified by Human Action 

EINWIRKUNG MESSEN 

Heute kommen die Warnungen vor diesem möglichen Umkippen oft von Organisationen und nicht mehr von einzelnen Personen. Auf die Stoppanis und Marshes folgte z. B. das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change/Zwischenstaatliches Expertengremium für Klimaänderungen). Seine Berichte, die allgemein als Informationen über die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft angesehen werden, thematisieren den „anthropogenen“ Beitrag zum Klima.

So wie das Human Genome Project ursprünglich dafür bestimmt war, eine sich verändernde Mutationsrate beim Menschen festzustellen (im Zusammenhang mit der Zunahme von Schadstoffen, Radioisotopen oder anderen Mutagenen, die durch unsere Aktivitäten in die Umwelt gelangt sind), wurde das IPCC damit beauftragt, die weltweite Temperaturentwicklung nachzuzeichnen. Genetische Mutationen sind wichtig für unsere persönliche Konstitution, das Klima ist von zentraler Bedeutung für unsere kollektive Zivilisation. Vegetationsperiode, Ernteerträge sowie die Verfügbarkeit und Erneuerung von Wasserressourcen – all diese entscheidenden Faktoren, die die Menschheit unterstützen, sind abhängig vom Klima. Wenn sie sich verändern, müssen wir darüber Bescheid wissen und erforschen, wie wir am besten darauf reagieren. Um die Einwirkung des Menschen auf das Klima zu messen, müssen vor allem die Zusammensetzung der Atmosphäre und der Treibhauseffekt überwacht werden.

Der Treibhauseffekt

CO2-Emissionen = Einwohnerzahl x (BIP/Einwohnerzahl) x (Energie/BIP) x (CO2/Energie)

Der Treibhauseffekt ist die natürliche Fähigkeit unserer Atmosphäre, Wärme zu reflektieren und zu absorbieren. Das Mischungsverhältnis der Gase, insbesondere die Konzentration von Kohlendioxid (und anderer Gase wie Methan und sogar Wasserdampf), hat Einfluss darauf, wie viel Wärme in den Weltraum abgeht oder wieder auf die Erdoberfläche reflektiert wird. Mit einem höheren CO2-Gehalt gehen höhere Temperaturen auf der Erde einher. Höhere Temperaturen verändern die Jahreszeiten, einschließlich der Niederschläge, die dann die Ressourcen für Menschen und die Ökosystemleistungen beeinflussen. Von diesem Wärmefluss ist das Klima unseres Planeten abhängig. Das Klima wiederum ist der wichtigste Faktor, an den wir, unsere Landwirtschaft und das übrige Leben angepasst sind. Diese Formel wurde entwickelt, um zu zeigen, dass unsere gesamten CO2-Emissionen das Produkt unseres Lebensstandards (BIP/Einwohnerzahl), der Energiemenge, die jeder von uns für diesen Lebensstandard verbraucht (Energie/BIP), und der CO2-Effizienz unserer Energiequellen (CO2/Energie) sind.

Eine gängige Formel für die Quantifizierung der menschlichen Einwirkung lautet I = PAT: Einwirkung (I, impact) ist eine Funktion von Weltbevölkerung (P, population), Wohlstand bzw. Ressourcennutzung (A, affluence) und Technologie (T, technology) zur Beschaffung und zum Verbrauch der Ressourcen. Weil immer mehr Menschen einen höheren Lebensstandard anstreben, werden anhand der Formel ein höherer Energieverbrauch und in der Folge eine zunehmende Einwirkung auf das Klima und die Erde prognostiziert. Ein 2013 in der wissenschaftlichen Zeitschrift PLOS One publizierter Artikel lässt keinen Zweifel an unserem Einfluss: „Menschen sind jetzt die Hauptursache von Änderungen in der Zusammensetzung der Erdatmosphäre und somit der Motor künftiger Klimaveränderungen. […] Es ist klar, dass es in sich gefährlich und töricht ist, das Weltklima weit außerhalb des Rahmens des Holozäns zu treiben.“

 

,Gib mir einen Punkt, wo ich sicher stehen kann, [einen Hebel, der lang genug ist,] und ich bewege die Erde‘ (Archimedes); aber wohin wird sie dann rollen?“~

Mechanics Magazine (1824)

In mancherlei Hinsicht hat sich in den letzten rund 100 Jahren also nichts geändert: Wir erkennen unseren Einfluss und messen und prognostizieren ihn mit immer größerer wissenschaftlicher Genauigkeit. Die zentrale Frage lautet unverändert: Wie können wir das Leben der Menschen verbessern? Gleichzeitig sollte sie heute um folgenden Vorbehalt ergänzt werden: „[…], ohne aus Unwissenheit das größere System zu gefährden, zu dem wir gehören?“

Mindestens ein Umweltforscher erkennt an, dass diese Fragen mit anderen schwierigen Fragen zusammenhängen. H. H. Shugart bezieht sich auf Gottes „Wettersturmrede“ im biblischen Buch Hiob (Hiob 38-39) und schreibt: „Die Wettersturmfragen, mit denen Hiob von der Gottheit konfrontiert wird, die die Erde geschaffen hat und lenkt, sind Fragen an den Menschen, ob er versteht, wie die Erde funktioniert, auf der er lebt.“ Doch diese Fragen haben eine Bedeutung, die über die materielle Logistik der Schöpfung hinausgeht. Durch die Konfrontation mit ihnen lernt Hiob, dass er sich irrigerweise auf seine eigenen Annahmen über seinen Schöpfer verlassen und ihn nicht verstanden hat (Hiob 40, 8; 42, 1-6). Demnach ist Shugart zwar in dem Punkt zuzustimmen, dass Antworten auf die Fragen über die materiellen Realitäten der Erde „entscheidend für unsere Zukunft sind“. Ungeachtet dessen hat Shugart die größere, spirituelle Botschaft über die Hybris des Menschen übersehen.

GEOENGINEERING 

Bei der Frage, wie man innerhalb der Grenzen der Erde vorgehen kann, um das bestmögliche Leben für die meisten Menschen zu schaffen, geht es um mehr als nur Zahlen, Physik und Biologie. Es geht auch um Motivation und Kontrolle: Wie viel Kontrolle haben wir wirklich? Wie bewerten wir diese Kontrolle und wie üben wir sie aus? (s. „Der Kern der Sache“)  

Wenn irgendetwas unsere Ära kennzeichnet, ist es die Dominanz wirtschaftlicher Werte. Das Streben nach Fairness, Gerechtigkeit, Mitgefühl, Frieden, Trost oder Gnade wird tendenziell dem Streben nach Wohlstand und der Steigerung des Bruttosozialprodukts untergeordnet.“

Paul und Anne Ehrlich, Extinction 

Wir als Zivilisation gehen immer weiter in dem Wunsch, die wachsenden Bedürfnisse und Wünsche einer immer zahlreicher werdenden Weltbevölkerung zu erfüllen. Unsere Lösung für dieses Problem scheint darin zu liegen, die Prozesse der Erde in immer mehr Aspekten zu kontrollieren und zu steuern. Seit sich die Menschen nach der Sintflut daranmachten, ihr Schicksal selbst zu kontrollieren, indem sie einen Turm bauten, um einer weiteren Flut standzuhalten, ist das Streben nach Kontrolle wie in diesem Präzedenzfall typisch für den Menschen. Statt Gott zu vertrauen, dass er uns in unserer Anfälligkeit, unserer Nacktheit schützen wird, haben wir beschlossen, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen, getrennt von Gott. Wir betreiben Geoengineering, d. h., wir bauen die Erde um – nach Belieben, wie es scheint, und zum Besseren, glauben wir. Dabei fehlt es uns an jeder spirituellen Einsicht.

Das Problem Klima ist dafür nur ein Beispiel; es erinnert an die Vorstellung, wir könnten auch die nächste Flut durch menschlichen Erfindergeist besiegen: Statt Ziegel mit Teer wasserdicht zu machen, erfinden wir Sensoren und Computerprogramme, die uns informieren und warnen. Wir haben nicht nur ständig unsere Fähigkeit verbessert, Luftdruck, Temperatur und Niederschläge weltweit zu messen, sondern auch immer raffiniertere Algorithmen entwickelt, um Wetterentwicklungen immer früher vorhersagen zu können. Doch Vorhersagen sind grundsätzlich nicht genug. Der Partner der Wettervorhersage ist seit jeher die Wetterkontrolle, und jetzt, da offenbar folgenschwere Klimaveränderungen vor der Tür stehen, besteht unser nächster Schritt in der Klimakontrolle.

Selbst James Hansen, der frühere NASA-Wissenschaftler, der 1981 erstmals vor weltweiter Erwärmung und von Menschen verursachten CO2-Emissionen warnte und sich entschieden für eine Senkung der Emissionen durch eineKohlenstoffsteuer einsetzte, glaubt, dass Geoengineering notwendig sein könnte: „Zwar sollten Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Kernkraft oberste Priorität sein, doch ist es sinnvoll, Geoengineering-Forschung zu treiben, um Optionen für den Fall zu definieren, dass eine Fortsetzung der bisherigen Energiepolitik einen globalen Notstand bewirkt, der rasche Veränderungen erforderlich macht.“

Zu diesem Zweck bietet die National Academy of Sciences acht fantasievolle Methoden an, „um die Wirkungen von Änderungen der atmosphärischen Chemie zu bekämpfen oder ihnen entgegenzuwirken“ – von Spiegeln im Weltall über künstliche Wolkenbildung bis hin zum Versprühen von Aluminiumschwebeteilchen in die Stratosphäre.

Bereits in den 1880er-Jahren schrieb der Klimatologe Daniel Ruggles, „der Allmächtige“ habe uns „die atmosphärischen Gesetze von Wolkenland“ in die Hand gegeben, damit wir fähig seien, sie zu „steuern, soweit es innerhalb der Sphäre der großen Interessen und Energien des Menschen praktikabel sein mag. […] Wenn wir die Triumphe des amerikanischen Erfindergeistes innerhalb unseres Jahrhunderts betrachten, haben wir allen Grund, unermessliche Fortschritte zu erwarten.“

Doch wie Shugart hervorhebt und auch der Wissenschaftshistoriker James Fleming berichtet, schwächt der Traum von der Kontrolle unseren Willen, wirklich etwas zu tun, um unseren Einfluss zu verringern; stattdessen entscheiden wir uns für das wissenschaftlich Fantastische. Fleming zeigt auf, dass dies schon seit geraumer Zeit der Fall ist. 1954 bemühte sich der Marinekapitän Howard Orville, Vorsitzender des amerikanischen Beraterausschusses über Wetterkontrolle, um zusätzliche Mittel für das „Impfen“ von Wolken. Er schrieb: „In diesem Zeitalter der Wasserstoffbombe und des Überschallfluges ist es durchaus möglich, dass die Wissenschaft Wege findet, um nicht nur beginnende Tornados und Orkane aufzulösen, sondern unser gesamtes Wetter in einem Maße zu beeinflussen, das die Vorstellungskraft ins Wanken bringt. […] Es ist sogar denkbar, dass wir das Wetter als Kriegswaffe einsetzen könnten, Stürme schaffen oder sie auflösen, wie die taktische Lage es erfordert.“ Er schloss: „Der Mensch könnte durchaus auf der Schwelle eines neuen Zeitalters stehen, in dem er die Redensart widerlegen wird, dass man das Wetter nicht ändern kann.“

SELBSTÜBERSCHÄTZUNG  

Obgleich vieles in diesem Beitrag im Zusammenhang mit dem Klima diskutiert wurde, betrifft unser tief sitzendes Gefühl des Kontrollierenkönnens das ganze Spektrum menschlicher Erfahrung: Von den Wissenschaften (Gentechnik, Lebensverlängerung) über Gesellschaftsformen (politische und wirtschaftliche Systeme) bis hin zur Religion (Pan-, Poly- und Monotheismus) sind wir Wesen, die sich selbst erfinden. Individuell und kollektiv neigen wir dazu, anzuschauen, was ist, uns auszudenken, was sein könnte, und voranzugehen, auf neue, innovative Weise von A nach B zu gelangen. Weil wir die enorme Fähigkeit haben, B zu erfinden, stellen wir uns vor, wir seien nur durch die Grenzen eingeschränkt, die wir selbst uns setzen, oder durch die physische Begrenztheit der Materie selbst. Selbst dann versuchen wir, auf Umwegen zum Ziel zu kommen, oft zuerst in Form von Science-Fiction.

Wir haben großes Vertrauen in den menschlichen Intellekt – warum auch nicht? Unsere Leistungsbilanz sieht gut aus, jedenfalls oberflächlich betrachtet. Doch für jedes Gut existiert ein Übel, und bei all unseren Träumen und Verheißungen gibt es auch Alpträume und Enttäuschungen. Ein Problem wird durch ein weiteres verschlimmert; neue Technik löst eine Detailfrage, schafft gleichzeitig aber neue Schwierigkeiten. Doch wir sind langsam, wenn es darum geht, anzuerkennen, dass etwas gefährlich ist, und noch langsamer, wenn es darum geht, etwas zu ändern. Wir haben ein enormes Selbstvertrauen.

Wenn wir es ernst meinen mit der Bewahrung des Landes, dann werden wir aufhören müssen, unsere Arbeit als Abfolge spezialisierter, zeitlich begrenzter Reaktionen auf eine Abfolge spezialisierter, zeitlich begrenzter Notfälle zu verstehen.“

Wendell Berry, „Private Property and the Common Wealth“, in Another Turn of the Crank

Die Bibel erklärt die Bestimmung des Menschen so: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde“ (1. Mose 1, 28); uns wurde die Herrschaft über die Umwelt gegeben, damit wir für sie sorgen, Landwirtschaft betreiben, jagen und fischen. In einem Kontext des richtigen Gebrauchs, nicht des Missbrauchs, wurden wir nach dem Bild Gottes geschaffen, um zu gestalten und zu bauen. Doch vor lauter Selbstvertrauen haben wir diese Aufgabe aus den Augen verloren.

Als Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen aßen, beschlossen sie, den Anweisungen ihres Schöpfers nicht zu vertrauen. Dass sie keine Kleidung hatten, war plötzlich ein Problem, deshalb versteckten sie sich. „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist?“, fragte Gott (1. Mose 3, 7-11). Statt sich von ihm führen zu lassen, versteckte sich der Mensch und wählte einen Weg, der es ihm ermöglichte, selbst zu entscheiden, was gut und was böse, was Gebrauch und was Missbrauch ist. So gab Gott dem Menschen Kleidung und schickte ihn fort, damit er seinen Weg selbst finde. Der Baum des Lebens war nicht mehr zugänglich. Als Gott Hiob viel später fragte: „Wer bist du, dass du meinen Plan anzweifelst, von Dingen redest, die du nicht verstehst?“ (Hiob 38, 2, Gute Nachricht Bibel), wies dieser ihn nur darauf hin, wie weit wir alle von dem ursprünglichen Plan abgekommen sind.

Seither hat Gott nur wenig Zugang zum Baum des Lebens angeboten; die große Mehrheit der Menschen hat unter dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen gelebt und ist unter ihm gestorben. Anweisungen für einen liebevollen Umgang mit der Erde und unseren Mitmenschen sind nach wie vor das, was in unseren Beziehungen fehlt.

Heute beschreibt der Name Anthropozän unseren dominanten Fußabdruck auf der Erde. Er gibt Anlass, innezuhalten, über unser Einwirken nachzudenken und zu fragen: „Wie geht es weiter?“ Wird das Drumherum der modernen Zivilisation – aufgebaut auf Formeln, die die Fehlerhaftigkeit unseres Denkens und Planens immer deutlicher werden lassen – uns auch künftig Sicherheit bieten können? Oder werden wir umkehren und wieder auf ein anderes Zeitalter zugehen?

Mit allen Wahlmöglichkeiten sind Pflichten und Verantwortung verbunden. Gottgemäße Liebe bietet Sicherheit; sie ist ein Mittel gegen unsere Nacktheit, das keine unerwünschte Nebenwirkung, keine Angst und keinen Schaden verursacht. Aber um sie zu leben, müssen wir die geistlichen Prinzipien der Zehn Gebote bei all unseren Entscheidungen im Herzen haben. Noch haben wir die Chance, diese Liebe zu praktizieren, indem wir unser Handeln nach Gottes Gesetz der Liebe ausrichten. Was innerhalb unserer Kontrolle bleibt, ist die Entscheidung: Wir haben die Wahl, diese andere Art, zu leben, zu ignorieren oder sie demütig zu suchen (s. 5. Mose 30) und einen inneren Frieden zu finden, der jede menschliche Vorstellungskraft übersteigt.