Polykarp - das apostolische Vermächtnis

Polykarp von Smyrna nimmt in der Geschichte der christlichen Kirche einen ganz besonderen und vielleicht sogar einzigartigen Platz ein. Er wurde persönlich von dem Apostel Johannes unterwiesen und ist deshalb wichtig für die Kontinuität des Glaubens von der Zeit Christi durch die apostolische Epoche und darüber hinaus.

Polykarp wurde wahrscheinlich um das Jahr 69 oder 70 geboren. Von seiner Jugend sind nicht viele Einzelheiten bekannt. Maxwell Staniforths Early Christian Writings zufolge wird angenommen, dass er sein ganzes Leben in der römischen prokonsularischen Provinz Asia verbrachte, die nach dem Fall Jerusalems im Jahr 70 ein neuer Mittelpunkt der christlichen Welt wurde. Viele Anhänger Christi, möglicherweise auch Polykarps Familie, wanderten aus Judäa in die Städte dieser Provinz aus. Namentlich der letzte noch lebende Apostel, Johannes, hatte sich laut Staniforth „in Ephesus niedergelassen, und sein Name, sein Einfluss waren ein Magnet für alles geworden, das im Christentum am vitalsten war. Der junge Polykarp selbst war einer seiner Jünger, und in seinen späteren Jahren rief er sich gern seine kostbaren Erinnerungen an den Heiligen ins Gedächtnis.“

Polykarp diente etwa 60 Jahre lang als Bischof von Smyrna - von den letzten Jahren des 1. bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts. Im frühen 3. Jahrhundert schrieb der Theologe Tertullian in Kapitel 32 seiner Prozesseinreden gegen die Häretiker, den „Originalaufzeichnungen“ zufolge sei es der Apostel Johannes selbst gewesen, der Polykarp zum Bischof weihte.

Während seiner späteren Jahre als Bischof bahnten sich in der Kirche bedeutende Veränderungen an. W.H.C. Frend, ein prominenter Kirchenhistoriker des 20. Jahrhunderts, beschrieb die Epoche von 135-193 als eine Zeit „akuter Hellenisierung“ der Kirche, eine Zeit, die durch den „Siegeszug der Orthodoxie“ gekennzeichnet war. Aufgrund seiner Verbindung zum apostolischen Zeitalter stellte sich Polykarp entschieden gegen diese beiden Entwicklungen.

Polykarps Schüler Irenäus schrieb im 2. Jahrhundert seine Erinnerungen an seinen Mentor nieder. Der Theologe schrieb an einen Häretiker namens Florinus über Polykarps Engagement in der Weitergabe der Lehren der Apostel. Das Original dieser Schilderung ist verschollen, doch der Kirchenhistoriker Eusebius gibt einen Teil davon, einschließlich des folgenden Zitats, in Buch 5 seiner Kirchengeschichte wieder: „Denn als ich noch ein Knabe war, sah ich dich [Florius] im unteren Asien bei Polykarp. ...Daher kann ich auch noch den Ort angeben, wo der selige Polykarp saß, wenn er sprach, auch die Plätze, wo er aus und ein ging, auch seine Lebensweise, seine körperliche Gestalt, seine Reden vor dem Volke, seine Erzählung über den Verkehr mit Johannes und den anderen Personen, welche den Herrn noch gesehen, seinen Bericht über ihre Lehren, ferner das, was er von diesen über den Herrn, seine Wunder und seine Lehre gehört hatte. Alles, was Polykarp erfahren hatte von denen, die Augenzeugen waren des Wortes des Lebens, erzählte er im Einklang mit der Schrift.“

Polykarps unschätzbarer Wert für die Kirche lag darin, dass er im Unterschied zu seiner Umgebung den Lehren der Apostel offenbar vollkommen treu blieb. 

Im 2. Jahrhundert war es immer entscheidender geworden, diese Linie der biblischen Lehre über Polykarp bis zu den Aposteln zu dokumentieren. Polykarps letzten Lebensjahre waren bereits von Problemen mit Änderungen der Lehre innerhalb der Kirche und mit der Verfolgung von außen beherrscht. Polykarps unschätzbarer Wert für die Kirche lag darin, dass er im Unterschied zu seiner Umgebung den Lehren der Apostel offenbar vollkommen treu blieb. So konnte Irenäus über Polykarps Engagement für das, was er gelernt hatte, schreiben:

Polykarp wurde nicht nur von den Aposteln unterrichtet und verkehrte nicht nur mit vielen, die noch den Herrn gesehen hatten, sondern wurde sogar von den Aposteln in Asien als Bischof der Kirche in Smyrna aufgestellt. Wir selbst haben ihn in unserer ersten Jugend gesehen. Er hatte nämlich ein sehr langes Leben und schied erst in hohem Alter nach einem ruhmvollen, bemerkenswert ertragenen Martyrium aus dem Leben. Er lehrte stets die Lehre der Apostel und die Überlieferung der Kirche, die allein wahr sind“ (Gegen die Häresien 3.3.4).

Polykarps Treue zur Lehre der Apostel wurde besonders deutlich, als er nach Rom reiste, wahrscheinlich im Jahr 154 oder 155. Der Häretiker Marcion hatte in seinem Bestreben, die Kirche von ihren jüdischen Wurzeln zu trennen, viele in die Irre geführt (siehe unseren Sonderdruck „Wurde das Christentum „entwurzelt?“). Polykarp bekehrte durch seine überzeugende Lehre eine große Zahl von Marcioniten von ihrem Irrglauben.

Die Unbeirrbarkeit des Bischofs konnte die Kirche in Rom jedoch nicht von einer unbiblischen Neuerung abhalten: Dort war an Stelle des Passafestes eine neue Art eingeführt worden, den Tod und die Auferstehung Jesu zu feiern, die heute als die Tradition des Karfreitags und Ostersonntags bekannt ist. Die Auseinandersetzung um diese Änderung - die „Quartodecimus-Kontroverse“ bzw. der Osterfeststreit - führte zu einem tiefen Bruch in der Kirche. Polykarp drängte den damaligen römischen Bischof Anicetus, zur Feier am 14. Tag des 1. Monats im hebräischen Kalender zurückzukehren, wie sie die Apostel gelehrt hatten. Polykarp wollte den Lehren treu bleiben, die er empfangen hatte, und dieses Fest so begehen, wie er es in seiner Jugend von dem Apostel Johannes gelernt hatte.

Anicetus weigerte sich jedoch, seinen Standpunkt zu ändern, und behauptete seinerseits, seinen unmittelbaren Vorgängern zu folgen. Trotz der dann folgenden Kirchenspaltung blieben die beiden Männer einander wohlgesonnen und einigten sich darauf, in dieser Frage uneinig zu sein.

In den sieben Sendschreiben an die Gemeinden der Provinz Asia hatte Jesus Christus der Gemeinde von Smyrna prophezeit: „... Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet. ... Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“ (Offb. 2, 10). Polykarp als Bischof von Smyrna hielt sich daran, als er um 155 verhaftet und vor Gericht gestellt wurde, weil er sich weigerte, Caesar ein Opfer darzubringen oder Christus abzuschwören. Der Bischof wurde kurzerhand bei lebendigem Leibe verbrannt und starb als Märtyrer für seinen Glauben. In seiner Todesstunde sagte er, er habe Christus 86 Jahre lang gedient.

Während dieser Jahre nahm Polykarp das kostbare Wissen, das ihm von Jesus Christus durch den Apostel Johannes überliefert worden war, und gab es getreu an seine eigenen Jünger weiter. Er verkörperte diese Lehren und stand unbeirrbar zu seinem Glauben, obwohl das den Tod bedeutete. Polykarp lebte wahrhaftig nach den Worten aus seinem einzigen erhaltenen Werk, seinem Brief an die Philipper: „Stehet also darin fest und folget dem Beispiel des Herrn, fest und unwandelbar im Glauben, Freunde der Brüderlichkeit, in gegenseitiger Liebe in Wahrheit geeint! Dienet einander mit der Sanftmut des Herrn, verachtet niemand!“