Unser Appetit auf Aggression

Sage mir, was Du isst, und ich sage Dir, was Du bist“, schrieb der französische Politiker und legendäre Gastronom Jean Anthelme Brillat-Savarin.

Seit er im frühen 19. Jahrhundert diese Weisheit zu Papier brachte, ist das Zitat zu dem bekannten Sprichwort geworden: „Man ist, was man isst.“ Alle Eltern wissen um die grundsätzliche, wörtliche Wahrheit dieses Prinzips. Wenn man seinen Kindern ungesundes Essen gibt, werden sie wahrscheinlich nicht gesund bleiben.

Natürlich hat das Sprichwort nicht nur mit unserer Ernährung zu tun. Es wird auch im Zusammenhang mit unserer geistigen Entwicklung verwendet – mit dem, was wir in unseren Sinn aufnehmen. Ob leichte Unterhaltung oder strukturierte Bildung: Was wir auf unseren Sinn einwirken lassen, hat Auswirkungen auf unsere seelische Entwicklung, unseren Charakter, unser emotionelles und geistiges Wohlbefinden. Diese Deutung des Sprichwortes ist ebenso richtig und wichtig wie die wörtliche.

So ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen sich über die „geistige Nahrung“ unserer Kinder Sorgen machen. Ein kurzer Blick auf die aktuellen Kinofilme, Fernsehprogramme oder Videospiele zeigt deutlich genug, dass Kindern die ernste Gefahr droht, in dieser Hinsicht fehlernährt oder gar vergiftet zu werden.

REIZÜBERFLUTUNG 

Am 5. November 2001 veröffentlichte die Amerikanische Akademie für Pädiatrie (AAP) einen Bericht, in dem behauptet wird, es bestehe eine stärkere Korrelation zwischen Gewalt in der Unterhaltung und aggressivem Verhalten als zwischen der Kalziumaufnahme und der Knochenmasse oder dem Passivrauchen und Lungenkrebs.

Die Studie zeigte (und dies ist inzwischen ein nahezu weltweites Problem), dass „amerikanische Kinder im Alter zwischen 2 und 18 Jahren durchschnittlich 6 Stunden und 32 Minuten pro Tag mit Medien (Fernsehen, kommerzielle oder selbst aufgenommene Videos, Filme, Videospiele, Druckerzeugnisse, Radio, Musikkonserven, Computer und Internet) verbringen.“ Durch diesen hohen Grad an Einfluss sind es mehr die Medien, die das Denken und Handeln junger Menschen formen, als die Eltern und Lehrer und diese treten somit an deren Stelle als Erzieher, Rollenvorbilder und wichtigste Vermittler von Informationen über die Welt und das richtige Verhalten in ihr. Diesem Bericht zufolge hat die Forschung einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Gewalt in den Medien und einer Vielzahl körperlicher und geistiger Störungen bei Kindern und Jugendlichen erkannt, darunter aggressives Verhalten, Abstumpfen gegenüber Gewalt, Angst, Depressionen, Albträume und Schlafstörungen.

Im September 2000 schloss die US-amerikanische Handelskommission (Federal Trade Commission, FTC) eine eineinhalbjährige Studie ab, die bestätigte, was viele Eltern und andere bereits befürchtet hatten – dass Hollywood und Videospielhersteller nicht nur versäumten, den Zugang Minderjähriger zu Gewaltspielen und -filmen zu beschränken, sondern dass Kinder bei der Herstellung und Vermarktung von Unterhaltung mit gewaltsamem Inhalt sogar eine Zielgruppe waren. In einem 104-seitigen Bericht mit dem Titel „Marketing Violent Entertainment to Children (Die Vermarktung Gewalt beinhaltender Unterhaltung an Kinder)“ zeigte die Kommission die Vermarktungspraktiken der Film-, Musik- und Videospielindustrie auf. Der Kongress veranstaltete Anhörungen, um den Bericht auszuwerten und eine Vorgehensweise zu beschließen, die diesen -- laut dem FTC-Vorsitzenden Robert Pitofsky – „besonders beunruhigenden“ Marketingtechniken ein Ende bereiten sollten.

In seinen einleitenden Ausführungen vor dem Handelskomitee des Senats sagte Pitofsky: „Unternehmen der Unterhaltungsindustrie unterlaufen routinemäßig die Bestimmungen ihrer eigenen Selbstkontrolle, indem sie Filme, Platten und Videospiele, die Gewalt beinhalten, gezielt an junge Konsumenten vermarkten.“

Seiner Aussage zufolge haben zwar alle drei Branchen Systeme zur freiwilligen Selbstkontrolle, nach denen ihre Produkte indiziert werden, angeblich um Eltern zu helfen, über die Unterhaltung für ihre Kinder zu entscheiden – doch die FTC habe festgestellt, dass Unternehmen in allen drei Branchen mit der Werbung und dem Marketing für Unterhaltungsprodukte, die Gewalt beinhalten, routinemäßig direkt auf Kinder zielen.

Pitofsky identifizierte spezifische Äußerungen von Branchenvertretern, die er als empörend empfand. „Ein Dokument“, berichtete er, „betraf einen Film, der eine Fortsetzung eines R-Films war (,Restricted' – eingeschränkte Freigabe, unter 17 Jahren nur in Begleitung eines Erziehungsberechtigten). Das Marketing-Team erwartete, dass auch die Fortsetzung als ,R' indiziert werden würde. In dem Dokument stand: ,Es gibt Anzeichen dafür, dass das Alter der Besucher des ersten Films bis auf 10 Jahre hinunterreichte. Deshalb erscheint es sinnvoll, auch Zehn- bis Elfjährige zu befragen.' Ein zweites Dokument über ein Videospiel nannte als Zielgruppe ,Männlich 17--34, wegen der Indizierung M [,Mature' -- nur für erwachsene Zuschauer'],' und fuhr dann in Klammern fort: ,(die tatsächliche Zielgruppe ist Männlich 12--34).' Noch andere Dokumente weisen auf Pläne hin, für Produkte mit Altersbeschränkung unter anderem in Kindervereinen und bei einem Basketballspiel der Jugendliga zu werben.“

Als Folge der FTC-Studie und weiterer Kongressanhörungen wurde ein neues Freigabesystem für das Fernsehen, Filme und sonstige Unterhaltung eingeführt. Im vergangenen Juli kam der Kongress erneut zusammen, um die Ergebnisse des neuen Systems zu erörtern. Der Senat hörte Branchenvertreter, Eltern, Medienkritiker und Fachleute an, und sie alle berichteten von Problemen mit dem neuen System.

Es gibt zu viel Schund, zu viel Gewalt und übersteigerte sexuelle Aktivität ohne jede Rücksicht auf die Folgen, und das wird sich unweigerlich auf die Gesellschaft auswirken.“ 

Senator Joseph Lieberman

Es gibt zu viel Schund, zu viel Gewalt und übersteigerte sexuelle Aktivität ohne jede Rücksicht auf die Folgen, und das wird sich unweigerlich auf die Gesellschaft auswirken“, sagte der Ausschussvorsitzende Joseph Lieberman (Demokrat, Connecticut). Seiner Meinung nach müssen die derzeit angewendeten Freigabesysteme genauer und einheitlicher sein.

Assistenzprofessor für Pädiatrie Michael Rich von der Harvard Medical School ist einer der Autoren des Strategiepapiers der AAP zu Gewalt in den Medien. Er kommentiert: „Jede Mutter, jeder Vater, der zum Supermarkt geht und Nahrungsmittel für seine Kinder kauft, will die Dose ansehen und wissen, was darin ist. Wir haben kein Freigabesystem, das auf dem Inhalt beruht, und darum wissen wir nicht, womit wir das Denken unserer Kinder füttern.“

WIDERSPRUCH 

Während Hollywood immer unverblümtere Gewalt produziert, erkennt man dort zumindest an, dass ein Freigabesystem notwendig ist und dass Filme, die Gewalt zeigen, für junge Menschen nicht geeignet sind.

So überraschend das scheinen mag, sind jedoch nicht alle dieser Ansicht. Einige Gegenstimmen waren kühn genug, zu behaupten, Gewalt im Fernsehen sei sogar gut für Kinder. Zu ihnen gehört Jib Fowles, Professor für Kommunikation an der University of Houston in Clear Lake. In einem Interview mit Vision stellte Fowles jüngst die Behauptung auf: „Das Phantasie-Chaos auf dem Bildschirm – manchmal in Form von Trickfilmen, manchmal nicht – hilft dem Kind, Spannungen und Aggressionen abzureagieren.“ Fowles meint, das Fernsehen sei der „Prügelknabe“ in einem Konflikt geworden, der sich eigentlich zwischen der „hohen Kultur“, derjenigen, die die feinen Künste schätzen (klassische Musik, Oper, Bildungsfernsehen), und der „niederen Kultur“ der Liebhaber derberer Unterhaltung (Rambo und Smackdown!) abspiele. Fowles zufolge decken sich diese Kulturen im typischen Fall mit den Einkommensklassen; das Fernsehen sei der Sündenbock für den Konflikt zwischen den oberen und den unteren Gesellschaftsschichten geworden.

Dem Elternfernsehrat (PTC, Parents Television Council), einer überparteilichen, gemeinnützigen Bürgerorganisation, ist Fowles' Argument nicht unbekannt. Er erhält gelegentlich E-Mails und Briefe von Kritikern, die beweisen wollen, dass Fernsehen auf diese Weise nützlich sein kann. Andere meinen, das Fernsehen habe wenig oder gar keinen Einfluss auf das Verhalten von Kindern.

Das Argument ist lächerlich“, sagt Brent Bozell III., Gründer und Vorsitzender des PTC. „Anzeigenkunden pumpen jedes Jahr Milliarden von Dollar in Werbespots – wegen der nachgewiesenen Macht eines 30-Sekunden-Spots, die Einstellung und das Verhalten der Verbraucher zu beeinflussen. Wenn die Sender das Geld aufgrund dieser Voraussetzung annehmen, dann ist es unvernünftig und heuchlerisch von ihnen zu behaupten, das übrige Programm – das, was die Zuschauer tatsächlich freiwillig sehen – habe keinen Einfluss. Um diesen Punkt zu widerlegen, stellen Verteidiger anstößiger Unterhaltung oft eine Art Strohmann auf, um ihn dann umzustoßen: das Bild eines ansonsten vollkommen normalen und angepassten Menschen, der ein Programm anschaut und dann zum Killer wird. Dass es in Wirklichkeit so funktioniert, behauptet niemand.“

Von über 3 500 Untersuchungen zur Verbindung zwischen Gewalt in den Medien und gewalttätigem Verhalten zeigten laut AAP alle bis auf 18 einen Zusammenhang. Zwar bekennt sich nur eine winzige Minderheit derer, die sich für Fachleute in diesem Gebiet halten, offiziell zu Fowles' Pro-Gewalt-Theorie, doch angesichts dessen, was aus Hollywood kommt, fragt man sich, ob nicht in Wirklichkeit mehr seinen Standpunkt teilen. Nicht viele würden offen vertreten, Gewalt sei gut für unsere Kinder. Doch das Angebot an Gewalt, von dem die Zuschauer wählen können, scheint sich trotz wachsenden Drucks von Politikern, Elterngruppen und Medienexperten, es einzuschränken, zu vervielfältigen.

DIE RICHTIGEN FRAGEN STELLEN 

Das Zentrum für Medienerziehung (Center for Media Literacy) erhöht die Bedeutung des Problems, indem es eine andere Frage in den Mittelpunkt stellt. Auf seiner Webseite ist zu lesen: „Die endlose Diskussion über Gewalt in den Medien wurde durch eine Frage genährt, auf die es keine Antwort gibt: ,Wird jemand dadurch gewalttätig, dass er sich Gewalt ansieht?' Der Grund dafür, dass wir hierin seit 40 Jahren nicht weitergekommen sind, ist, dass dies nicht die richtige Frage ist, die man zur Gewalt in den Medien stellen muss. Die eigentliche Frage müsste lauten: ,Was ist die langfristige Wirkung auf unsere nationale Psyche, wenn Jahrzehnt für Jahrzehnt Millionen von Kindern in ihren prägenden Jahren mit sehr eindrucksvollen visuellen und verbalen Botschaften bombardiert werden, die Gewalt als geeignetstes Mittel zeigen, Probleme zu lösen, und die Angst und Gewalt als etwas normalisieren, das ,nun einmal so ist'?'“

Daphne White ist die Gründerin und Geschäftsführerin des Lion & Lamb Project (Projekt Löwe & Lamm), einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Washington, D.C., deren Hauptanliegen darin besteht, die Gewalt einzuschränken, der Kinder durch die Medien ausgesetzt sind. Im Gespräch mit Vision sagte sie: „Die Medien lassen die Welt viel gewalttätiger aussehen als sie ist. Und sie zeigen uns keine Alternative. Sehr wenige Filme zeigen Konfliktlösungen, Permutation oder die Klärung von Problemen im Gespräch. Menschen haben Probleme. Menschen können Gewaltimpulse verspüren. Die Frage ist, was wollen wir in kleinen Kindern fördern, wenn sie gewalttätige Gedanken haben oder Wut empfinden? Sollen sie losgehen und jemanden erschießen, oder sollen sie über andere Methoden verfügen, mit diesen Gefühlen umzugehen und mit dem Menschen, den Menschen oder den Dingen umzugehen, die diese Gefühle auslösen?“

Mehr denn je „erziehen wir diese Generation dazu, bessere Killer zu sein“, bemerkte Michael Gurian kürzlich in einem Interview mit Vision. Als Psychotherapeut, Dozent und Autor zahlreicher Bücher (darunter The Good Son: Shaping the Moral Development of Our Boys and Young Men [ Der gute Sohn: Wie wir die moralische Entwicklung unserer Jungen und jungen Männer formen] und Boys and Girls Learn Differently! [ Jungen und Mädchen lernen verschieden!] ) glaubt Gurian, dass wir an einem Krisenpunkt in unserer Kultur stehen. Er konstatiert ein „Ansteigen der ethischen Abgestumpftheit, moralischen Verwirrung und geistigen Leere bei Jungen und jungen Männern“ und findet, viele Eltern hätten die moralische Entwicklung ihrer Kinder aufgegeben und sie den „potentiell toxischen [giftigen]“ visuellen Medien überlassen.

Ein Kind sieht durchschnittlich fast 100 000 Bilder von Gewalt in den Medien, ehe es 18 Jahre alt wird. 

Laut Gurian sieht ein Kind durchschnittlich fast 100 000 Bilder der Gewalt in den Medien, ehe es 18 Jahre alt wird. Das ist sehr schädlich, insbesondere wenn Kinder nicht in einem moralisch gefestigten Umfeld aufwachsen.

Oft wurde die Frage gestellt, warum vor allem Jungen Gewalttaten vom Ausmaß der Schießerei an der Columbine High School verüben, die die Welt am 20. April 1999 miterlebte. [Anm. d. Red.: Oder die in Erfurt im Mai 2002, wo ein Schüler ein Blutbad mit 16 Toten anrichtete]. Gurian merkt an, dass Testosteron ein Aggressionshormon ist und dass der Testosteronspiegel bei Jungen 20-mal höher sein kann als bei Mädchen. Deswegen und wegen der Art, wie sich das männliche Gehirn entwickelt und angelegt ist, werden männliche Menschen von Bildern der Gewalt mehr angezogen als weibliche. „Männlichen Personen fällt es schwerer, Gewaltimpulse zu beherrschen“, sagte er, „und deshalb müssen wir erst recht besser verstehen lernen, wie die Medien auf kleine Jungen wirken. Recht oft suchen sie [die Medien] unmoralische Impulse auszuwerten, statt eine gesunde Entwicklung zu fördern. Dies wäre kein Problem, wenn die Urheber solcher gezeigten Geschichten wie schwierige Verwandte wären, die weit weg wohnen und unsere Kinder selten sehen. Aber das sind sie nicht; sie haben ständig Zugang zu unseren Kindern.“

So viele von unseren Jungen sind zu altersgerechtem moralischem Denken nicht fähig“, fügte Gurian hinzu. „Wir alle sind schuld daran. Jungen brauchen ständigen Kontakt mit moralischen Prinzipien. Sie brauchen sie als Grundlage sowohl für moralisches Wohlverhalten als auch für moralische Rebellion. Wenn Jungen heranwachsen, schon ab 9 Jahren, brauchen sie moralische Diskussionen und die Verfeinerung der moralischen Logik.“

Doch Gurian glaubt, dass moralische Erziehung viel früher einsetzen muss. „Selbst als Kleinkind wächst und entwickelt sich Ihr Sohn moralisch. Ein Kleinkind kann auf nichtverbale Weise moralisch denken – vor allem anhand der Reaktionen, die er von der Autoritätsperson in seinem Leben bekommt. Das Kleinkind versteht, dass es Dinge tun sollte, die bei der Autoritätsperson Freude bewirken, nicht Schmerz oder Missbilligung.“

Später, bis weit ins Kindergartenalter, erleben Kinder fast jeden Menschen und sogar Figuren im Fernsehen als fürsorglich. „Ein Dreijähriger“, erklärte Gurian, „sieht Barney oder Big Bird oder Walker, Texas Ranger nicht nur als Figur im Fernsehen. Das Kind sieht die Figur als Lehrer, Mentor, Ernährer, Fürsorger. Das Kind versucht, die Äußerlichkeiten und sichtbaren Taten von Batman, Spiderman oder dem gewalttätigen Verbrecher nachzuahmen, wenn die Eltern es einen Krimi ansehen lassen.“

VERANTWORTUNGVOLLE ERWACHSENE 

Die Hauptverantwortung für die Erziehung gewaltloser und moralisch gefestigter Kinder liegt natürlich auf den Schultern der Eltern und der wichtigsten Bezugspersonen. Da die Mediengewalt dank Internet eskaliert und für Kinder zugänglicher wird, wird es noch wichtiger, dass Eltern begreifen, wie gefährlich es ist, die moralische Entwicklung ihrer Kinder aufzugeben.

Doch auch Medienbosse, Künstler und Produzenten können nicht aus der Verantwortung entlassen werden. In seinem Vorwort zu Mark Josephs Rock & Roll Rebellion (1999) erklärt der Medienkritiker Michael Medved, warum es nicht ausreicht, wenn Eltern versuchen, ihre eigenen Kinder zu schützen. „Sie können ihren Fernsehapparat in den Keller stellen, Filme total meiden und Ohrstöpsel in ihre Ohren stecken, um nicht dem Sound von Hip Hop oder Heavy Metal ausgesetzt zu sein, und doch werden diese Formen von Unterhaltung ihr Leben verändern; und zwar durch den Einfluss auf jeden anderen in dieser Gesellschaft.“

Daphne White vom Lion & Lamb Project betont, ein wesentlicher Beitrag zur Lösung sei Druck von Eltern, Politikern und Autoritäten auf die Medienindustrie, es besser zu machen. „Zerbrochene Familien“, stellt sie fest, „sind eindeutig ein Riesenproblem, gegen das die amerikanischen Unternehmen nicht unbedingt etwas tun können. Aber diese Kinder [in nicht funktionierenden Familien] werden durch die Gewalt und die Wut, die in diesen Programmen gezeigt wird, oft noch stärker geschädigt als andere. Sie haben schon eine Menge Wut und Probleme in ihrem Leben und vielleicht sogar Gewalt in Form von Misshandlungen. Diese Gewalt zu verherrlichen und als normal, ja sogar wünschenswert und aufregend darzustellen, setzt darum nur den Teufelskreis fort, in dem sie bereits sind.“

Wir würden unseren Kindern keine Droge geben, nur weil sie darum bitten. Es ist immer noch wichtig, dass Eltern Nein sagen.“ 

Daphne White

Obwohl es für Frau White vorrangig ist, Druck auf die Unterhaltungsindustrie auszuüben, meint auch sie, dass die Eltern bei der Lösung des Problems eine entscheidende Rolle spielen. „Der Appetit-Effekt hängt damit zusammen, dass Menschen, die damit in Berührung gekommen sind, es wahrscheinlich aufregend finden. Es wird als aufregend präsentiert, und die Musik, die Bilder, das Tempo vermitteln einen Adrenalinstoß. Kinder wollen vielleicht mehr davon, so wie Kinder vielleicht Zigaretten, Alkohol und Drogen wollen, wenn sie damit in Berührung kommen. Aber wir würden unseren Kindern keine Droge geben, nur weil sie darum bitten. Es ist immer noch wichtig, dass Eltern Nein sagen. Wir appellieren also im Wesentlichen an die Industrie, sehr viel verantwortungsvoller zu sein, und an die Eltern – an alle Erwachsenen! –, viel verantwortungsvoller zu sein.“

Der PTC, dessen Mitgliedschaft aus mehreren hunderttausend besorgten Eltern besteht, meint, dass auch Anzeigenkunden verantwortungsvoller sein müssen. Tatsächlich überzeugte der PTC mit so viel Erfolg große Unternehmen, bei dem Spektakel Smackdown! von der World Wrestling Federation nicht mehr als Sponsoren aufzutreten, dass die WWF – die dies deutlich zu spüren bekam – im November Klage gegen ihn einreichte.

EINE GEISTIGE DIÄT 

Unsere Kinder haben einen enormen Appetit. Wenn wir ihnen ungesundes Essen vorsetzen, ohne ihnen Einschränkungen zu geben oder sie anzuleiten, vernünftig zu beurteilen, was sie essen, sollten wir uns nicht wundern, wenn sich negative Folgen einstellen. Doch wir sind schockiert und entsetzt angesichts einer Schießerei wie in der Columbine-Schule oder einem Blutbad in einer Schule in Erfurt. Warum eigentlich, wenn wir uns umschauen und sehen, dass wir alle, nicht nur unsere Kinder, mit negativen und gewaltsamen Bildern bombardiert werden?

Wir sind verantwortlich dafür, was unsere Kinder psychisch, emotionell und geistig „zu sich nehmen“. Eltern müssen ihre moralische Entwicklung mehr in die eigenen Hände nehmen, statt sie Hollywood zu überlassen. Als Gemeinschaft müssen wir Gewalt in der Unterhaltung ablehnen, damit das Gewinnpotential verdampft.

Vor 50 Jahren wären Menschen aller Einkommensschichten über das, was heute als Unterhaltung aufgetischt wird, schockiert gewesen.

Vielleicht ist Fowles von der University of Houston näher an der Wahrheit, als wir begreifen. Das Fernsehen und die Unterhaltungsindustrie sind in der Tat zum Brennpunkt eines viel größeren Problems geworden. Es ist allerdings kein wirtschaftlicher Klassenkampf, sondern ein moralischer Kampf. Vor 50 Jahren wären Menschen aller Einkommensschichten über das, was heute als Unterhaltung aufgetischt wird, schockiert gewesen. Das moralische Klima hätte es einfach nicht zugelassen. Damit ist nicht gemeint, dass frühere Generationen moralisch vollkommen waren, aber zu Beginn des letzten Jahrhunderts hätten Filmemacher mit extremer, unverblümter Gewalt wenig verdient. Was hat sich in der Gesellschaft verändert, dass diese Gewalt jetzt so verbreitet und so lukrativ geworden ist?

Könnte es sein, dass wir schon so lange mit immer höher dosierter Gewalt in der Unterhaltung gefüttert werden, dass wir alle Geschmack daran gefunden haben? Angesichts dessen, was sich in der Unterhaltung verkauft, ist sicher, dass wir alle Gewalt eher akzeptieren als die Generation vor der Vorherrschaft des Fernsehens. Kann man die Uhr zurückdrehen? Können wir den Anreiz entfernen, der zur Zeit um die Nase der Unterhaltungsindustrie weht?

Trotz der Lippenbekenntnisse der Politiker zu der weithin bekannten Tatsache, dass Gewalt in der Unterhaltung schädlich ist, können und wollen sich Regierungen den Vorwurf der Zensur nicht leisten. Ebenso wenig wird die Unterhaltungsindustrie ihr Ziel aufgeben – Gewinne zu machen. Das einzige Mittel ist, die Nachfrage zu stoppen. Wie Frau White sagte: Es ist ein Problem, das von „allen Erwachsenen× gelöst werden muss. Wir alle müssen Nein sagen und Gewaltszenen in den Schneideraum zurückschicken, ob die Unterhaltung nun für Kinder oder Erwachsene gedacht ist.

Eltern dürfen die geistige Entwicklung ihrer Kinder nicht aufgeben, sondern müssen vorausschauend handeln und dafür sorgen, dass sie mit positiven moralischen Werten genährt werden, die gewaltlose Problemlösungen aufzeigen. Es geht um die Gesundheit unserer Kinder und die einer zivilisierten Gesellschaft in der Zukunft.