Plastik – die andere Pandemie

Plastik ist eine unserer genialsten, nützlichsten und effizientesten chemischen Erfindungen. Leider überdauert es fast unbegrenzt, verwittert nur in immer kleinere Bruchteile. Was können die Folgen dieses nahezu unsichtbaren Plastikschleiers sein?

Wie uns die Coronapandemie gezeigt hat, braucht es nichts Großes, um die ganze Erde ins Chaos zu stürzen. Selbst etwas ganz Kleines kann Zusammenbruch, Zerstörung und Tod bringen. Und ein Virus ist wirklich sehr klein. Mit nur 100 Nanometern (nm) oder 0,0001 Millimetern (mm) entsprächen erst 500 Viruspartikel der Dicke eines einzigen Menschenhaares. Es ist verblüffend, dass etwas so Winziges die Zivilisation nahezu entmachten konnte.

Sicher hält die Natur noch viele potenzielle Überraschungen für uns bereit. Die Natur ist ein brodelnder Kessel an Biochemikalien, und wir haben nur noch mehr Zutaten hinzugefügt. Weil es ständig zu Interaktionen von Spezies mit Viren und zur Koevolution neuer Erregerstämme kommt, werden neuartige Stämme und potenzielle Pandemien eine Gefahr für die Menschheit bleiben. Obendrein macht das Wachstum der Bevölkerung und die Zunahme der Reisemöglichkeiten globale Ausbreitungen und Infektionen noch wahrscheinlicher.

Wie man in Zeiten wie diesen oft sagt: „Hinterher ist man immer schlauer.“ Wir können die Realität nicht wegwünschen, aber dank der gemachten Erfahrungen können wir lernen und vorausplanen.

Ein vom Virus beherrschter, mühsamer Tag der Berechnungen, an dem wir die Zerstörung sehen, die ein so kleines Materieteilchen anrichten kann, ist deshalb ein guter Zeitpunkt, um eine andere, fast unsichtbare und dennoch allgegenwärtige Gefahr zu untersuchen. Die in Partikel zerfallenen Hinterlassenschaften unserer plastifizierten Welt sind zu einem großen Teil nicht zu sehen, doch allmählich erkennen wir ihre potenziellen Auswirkungen auf unsere Gesundheit und die Gesundheit der Biosphäre. Diese Partikel (Mikroplastik, zwischen 100 nm und 5 mm, und Nanoplastik, mit unter 100 nm kleiner als ein Virus) umgeben uns und durchdringen sogar unseren Körper.

Wie sind sie da hingekommen und was machen sie da?

Synthetik-Ästhetik

Schauen Sie sich um. Von dem, was wir sehen, hat es das meiste vor wenigen Jahrzehnten noch nicht gegeben, weil die Materialien, aus denen diese Dinge zusammengesetzt sind, noch nicht erfunden waren. Überall auf der Erde sind wir von synthetischen Stoffen umgeben: Plastik dominiert.

Hier ist eine interessante kleine Übung: Wo Sie auch gerade sind, schauen Sie sich um. Wenn Sie etwas aus Plastik sehen, sagen Sie laut „Plastik“. Es wird schnell deutlich werden, dass wir in einem Plastikmeer schwimmen. Denken Sie nur an eine kurze Liste von Dingen aus Hartplastik: die Tasten einer Computertastatur, ein Hemdknopf, ein PVC-Rohr, eine Plexiglas-Trennscheibe, ein Küchenutensil. Denken Sie an das Geräusch, wenn die allgegenwärtige PET-Flasche im Leergutautomaten zerdrückt wird, das Knacken der Plastikgabel beim Essen eines To-go-Menüs, den Pelz eines Plüschtiers, das zuverlässige „krack“ eines Tupperdosendeckels, die immense Vielseitigkeit von Polyester. Alles Plastik.

Dank seines so einfachen Aufbaus ist Plastik wirklich plastisch. Durch die chemische Verknüpfung kleiner Molekulareinheiten namens Monomere zu Ketten entstehen Polymere, die endlos permutiert werden können. Quervernetzt und mit anderen Chemikalien kombiniert, ergeben diese Ketten eine Substanz, die geschmolzen und in so ziemlich jede Form, Farbe oder Textur manipuliert werden kann.

Die Komplexität, die aus solcher Einfachheit entsteht, ist erstaunlich und genial. Auch natürliche Polymere wie Eiweiße und die DNS weisen eine Variabilität auf, aber nichts ist mit dem zu vergleichen, was wir künstlich zusammengebraut haben. Ob es Textilien sind, Baustoffe, Möbel, Behälter, Folien, Haushaltsgeräte oder Spielsachen – wir sind eingebettet in die Welt der Kunststoffe. Wir leben im Plastikzeitalter. Doch so war es nicht immer.

Infolge seiner Allgegenwart in unserem Leben ist Plastik im Wesentlichen unbemerkt, unerkannt und vergessen. Und genau deshalb müssen wir alle anfangen, mit bewussterer Aufmerksamkeit über Plastik nachzudenken.“

Amy V. Kontrick, „Microplastics and Human Health: Our Great Future to Think About Now“, Journal of Medical Toxicology (Juni 2018)

In den 1940er-Jahren nach dem Krieg begann Plastik, von der Industrie in die Haushalte und die breitere Kultur zu gelangen. Als Schlüsselfigur in diesem Übergang könnte Earl Tupper gelten. Er hatte vor dem Krieg kurz in einer Plastikfabrik von DuPont gearbeitet und startete dann sein eigenes Unternehmen. Als DuPont ihn beauftragte, eine Verwendung für die Schlacke zu finden, die beim Raffinieren von Erdöl abfiel, erfand er eine der ersten chemischen Formeln für biegsames Plastik. Sein Produkt wurde in großen Mengen in Gasmasken und sonstigem Kriegsmaterial eingesetzt, doch nach dem Krieg hoffte Tupper, eine rentable Verwendung für Friedenszeiten zu finden. Er befüllte sein Spritzgusssystem mit seinem „Poly-T: Werkstoff der Zukunft“, und so entstand die Tupperware.

Tupper wollte nicht einfach umverpacken und mehr Erdölabfall bewegen, sondern ein Produkt erschaffen, das das Leben besser machen würde. Bis dahin waren Plastikprodukte Wegwerfartikel gewesen – Kämme, Spielzeug und „Plunder“ ohne dauerhaften Wert. Aber Tupperware war anders. „Für Befürworter modernen Designs war sie ein Paradebeispiel für die skulpturale, maschinelle Ästhetik, die Plastik als in sich legitimen Werkstoff definierte“, schreibt die Designhistorikerin Alison J. Clarke. „Tupperware nutzte Plastik als zweckdienliche und geschmackvolle ästhetische Wahl statt als billigen, oberflächlichen Schnickschnack.“

Küche voller Tupperware-Produkte, 1958

Küche voller Tupperware-Produkte, 1958

Plastik, her damit!

Man kann Tupperware als den Keil sehen, der die Tür zu einer breiten Akzeptanz von Plastik als Ikone der Modernität öffnete. Dass sie für die Jahre 1944–1956 in die Ausstellung „Good Design“ des Museum of Modern Art aufgenommen wurde, besiegelte den kommerziellen Erfolg der Tupperware, und der Zustrom von Plastik durch diese Tür hat seither nicht nachgelassen.

Auch Monsanto, ein weiterer Hersteller von Plastik-Kriegsmaterial, bemühte sich, neue Absatzmärkte zu schaffen. Der Architekturprofessor Stephen Phillips beschreibt die damaligen Zukunftshorizonte: „Mit Plastik konnte eine neue Welt in unsere Wunschform gegossen werden. Als der Krieg endete, verlagerte die Industrie rasch ihre Aufmerksamkeit auf die Verwirklichung dieser neuen, synthetischen Welt.“

Monsanto dachte in großen Maßstäben: Warum nicht eine komplett neue Art des Bauens erfinden und – ja! – ein ganzes Haus aus Plastik fertigen? „In der Monsanto-Reklame ‚From finger tips to wing tips‘ (von Fingerspitzen zu Flügelspitzen) wurde behauptet“, schreibt Phillips, „so, wie der Mann im Zweiten Weltkrieg Plastik zur ,Eroberung der Luft‘ eingesetzt habe, könne nun die Frau daheim Plastik zur ,Eroberung des Mannes‘ einsetzen!“

Die Arbeit im Haushalt werde so leicht werden, dass sie nun mehr Luxuszeit haben werde, um sich glamouröse synthetische Outfits und Kosmetika zu kaufen.“

Stephen Phillips, „Plastics“, in Cold War Hothouses: Inventing Postwar Culture From Cockpit to Playboy (2004)

Plastik schickte sich an, ein massiv gewinnträchtiges Geschäft zu werden. Phillips fährt fort: „Wenn Monsanto den Wunsch nach dieser neuen ‚Plastik-Ästhetik‘ erzeugen und gleichzeitig die technischen Spezifikationen liefern konnte, die bewiesen, dass sie machbar war, konnte es ihm gelingen, den langfristigen Markterfolg seines Produkts zu sichern.“ Zu diesem Zweck arbeiteten Monsanto-Ingenieure mit dem MIT daran, das Plastikhaus zu entwickeln.

Das war eine außerordentlich kreative Leistung. Phillips beschreibt die Stimmung: „Fortschritte aus der Kriegszeit bei leicht einbaubarem, massenproduzierbarem, bruchfestem, leichtem, wasserdichtem, kontinuierlich geformtem Plastik wurden sowohl konzeptionell als auch ästhetisch in eine neue, modulare privaträumliche Baugestaltung umgewandelt.“ Das vierflüglige „House of the Future“ (Haus der Zukunft) wurde schließlich als Prototyp in Disneylands Zukunftsschau Tomorrowland von 1957 erstellt und im Laufe der folgenden zehn Jahre von über 20 Millionen Besuchern besichtigt.

Seine klaren Linien und acrylgläserne Helligkeit waren wohl eindrucksvoll, überzeugten aber letztlich nicht. Als Tomorrowland 1967 erneuert wurde, beschlossen die Betreiber des Parks, das Haus abzureißen. Da es aber Abrissbirnen und anderen herkömmlichen Methoden standhielt, mussten die Arbeiter alle möglichen neuartigen Techniken anwenden. Schließlich zerdrückten sie seine Module in kabelverschnürte Bündel, um sie abzutransportieren, vermutlich zu einer Deponie in Südkalifornien. Das war ein Vorgeschmack der Dauerhaftigkeit von Plastik.

Monsantos futuristisches Plastikhaus in Disneylands Tomorrowland, um 1960

Monsantos futuristisches Plastikhaus in Disneylands Tomorrowland, um 1960

Wohin damit?

Die Schwierigkeit, das House of the Future abzureißen, veranschaulicht, wie beständig Plastik ist. Synthetische Polymere sind für die Dauer geschaffen – durch ihre Konstruktion und durch die Natur. Im letzteren Fall ist es so, dass die Natur keinen Appetit auf Kunststoff hat. Plastik mag zerbrochen, zerdrückt und zerkleinert werden, aber die kleineren Stücke sind immer noch dasselbe Plastik. Es gibt kein Tier und – mit wenigen Ausnahmen – keinen Pilz, dem sie als Nahrung dienen. Zwar weisen neue Formeln wohl eine gewisse biologische Abbaubarkeit auf, aber die riesige Gesamtmasse (und sie ist wirklich riesig) ist bis zum letzten Nanopartikel praktisch unzerstörbar. Deshalb bleibt Plastik unsichtbar vorhanden, selbst wenn wir uns vielleicht vorstellen, es sei verschwunden wie ein aufgelöstes Virus auf einem Desinfektionstuch.

Leider sind es gerade diese verführerischen Eigenschaften – Dauerhaftigkeit und Unzerstörbarkeit – die Plastik zum König der Umweltgeißeln machen. Es ist „durch die Natur nur schwer oder unmöglich zu assimilieren“, wie die Forscher Roland Geyer, Jenna Jambeck und Kara Law anmerken.

Da die Fragmente nicht verschwinden können, sammeln sie sich überall an, auf dem Festland und von der Oberfläche bis zum Boden des Meeres. In allen Meeren der Erde treiben riesige Wirbel aus Plastikmüll. Der Investor und Hobbyforscher Victor Vescovo fand sogar am Boden des Marianengrabens, des tiefsten Punkts der Erde, eine Plastiktüte. Andere haben mit Schleppnetzen größere Sammlungen emporgefischt.

Der Marianengraben ist in bestimmten Regionen insgesamt stärker verschmutzt als einige der schmutzigsten Flüsse in China, wie eine Studie im Februar 2017 zeigte.“

Sarah Gibbens, „Plastic Proliferates at the Bottom of World’s Deepest Ocean Trench“, National Geographic (13. Mai 2019)

Zwar gibt es noch keine definitiven wissenschaftlichen Aussagen darüber, was die Folgen für die reale Welt letztlich sein werden, doch die Forschung zeigt deutliche Trends auf. Plastik treibt nicht einfach durch die Umwelt – es wird auch von Lebewesen aufgenommen. „Mikroplastik ist im Verdauungstrakt oder Gewebe einer erheblichen Zahl von in Feldversuchen gesammelten Meerestieren entdeckt worden, darunter Krustentiere, Fische, Mollusken, Schildkröten, Säugetiere, Seevögel und so weiter“, schrieben Forscher des staatlichen chinesischen Zentrums für die Überwachung der Meeresumwelt in einem Bericht von 2019. Sie fügten hinzu, bis 2050 könne die Gesamtmasse an Plastik im Meer höher sein als die an Fisch.

Wir lesen und hören viel über unsere plastifizierten Meere, doch auch das Festland ist nicht immun dagegen. Wie eine feine Schicht Puderzucker setzt sich Plastikstaub in den entlegensten Gebieten ab. „Wir schätzen, dass jedes Jahr über 1.000 Tonnen Plastik aus der Atmosphäre über Schutzgebiete im Westen der USA niedergehen, einschließlich Nationalparks und Wildnisgebieten“, schreiben die Autoren eines Forschungsberichts, der 2020 in Science veröffentlicht wurde. „Dies entspricht etwa 120 bis 300 Millionen Plastik-Getränkeflaschen.“ Man fragt sich, wie hoch die Konzentration wohl im eigenen Zuhause ist. Wie viel von dem Staub unter unseren Betten ist eigentlich feines Plastik?

Außerdem warnen sie vor den Auswirkungen auf die unberührte Natur. „Da sich Plastik in der unberührten Wildnis ansammelt, können wir Veränderungen in der Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften erwarten, die möglicherweise zu einem Rückgang der Artenvielfalt infolge der unterschiedlichen Toleranzen gegenüber den physikalischen und toxikologischen Folgen der Aufnahme von Mikroplastik führen.“

Den Autoren zufolge haben sich „Plastik-Emissionsquellen weit über unsere Bevölkerungszentren hinaus ausgebreitet und, wegen der Langlebigkeit von Plastik, spiralenförmig durch das System der Erde bewegt.“

Aber wir recyceln doch!

Zwar recyceln viele von uns, aber das ist nicht rentabel. Chemiker haben herausgefunden, wie man bestimmte Polymere aufspalten und einmal oder höchstens zweimal rekonfigurieren kann, aber derzeit wird noch keine Methode in größerem Maßstab angewandt. Damit Plastikmüll nicht in die Umwelt gelangt, muss jemand motiviert sein, ihn nicht nur zu sammeln, sondern zu verarbeiten.

Doch selbst wenn eine Flasche im Leergut landet, wäre es naiv, zu glauben, sie werde wirklich wiederverwertet. Für die industrielle Fertigung ist es billiger, einfach neues Plastik herzustellen. Die Anreize, benutztes Plastik wegzuwerfen – das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, laxe internationale Umweltgesetze, die Apathie der Verbraucher in den Industrieländern unter dem Einfluss des Mythos Recycling, leichter Zugang zu Deponien in der Dritten Welt – all das macht es den Herstellern möglich, weiteres Erdöl zu nutzen, um noch mehr Produkte daraus statt aus alten Produkten herzustellen. Diese Praxis wird dadurch sogar noch gefördert.

Die sinkende Ölnachfrage, zum Teil eine Folge der Reisebeschränkungen wegen Corona, und zunehmende Rufe nach einer Verringerung der CO2-Emissionen haben auch mehr Aufmerksamkeit auf alternative, aber ebenso rentable Verwendungen von Erdöl gelenkt. Schließlich sind die Plastikkonzerne oft gleichzeitig die Erdölgesellschaften, in den USA allen voran Exxon Mobil und Chevron. Um profitabel zu bleiben, können diese Konzerne nicht aktiv versuchen, unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Stattdessen müssen sie dafür arbeiten, die Plastikpipeline am Laufen zu halten, und neue Märkte für ihre Produkte finden. Derzeit haben sie kein Motiv für eine Umkehr – nur für einen Wechsel von Benzin zu Plastik.

Die Ölindustrie verdient jährlich über 400 Milliarden Dollar an der Plastikproduktion, und angesichts rückläufiger Ölnachfrage für Pkw und Lkw sagt die Branche ihren Aktionären, dass die künftigen Renditen zunehmend durch Plastik kommen werden.“

Laura Sullivan, „How Big Oil Misled the Public Into Believing Plastic Would Be Recycled“, NPR (11. September 2020)

Und so wird die riesige Masse an Altplastik einfach weggeworfen. Das meiste wird nur einmal verwendet, beispielsweise Verpackungsmaterial, Plastikfolie und Getränkeflaschen; für 2021 wird ein Absatz von unfassbaren 580 Milliarden Wegwerfflaschen erwartet – über 18.000 pro Sekunde. Ein Bericht von Kara Lavender Law und Kolleginnen, der im Oktober 2020 in Science Advances erschien, zeigt, dass die USA jedes Jahr den meisten Plastikmüll produzieren – phänomenale 130 Kilogramm pro Person. Mit einer rund viermal größeren Bevölkerung produziert China dagegen nicht nur insgesamt weniger Müll, sondern unter sechzehn Kilogramm pro Kopf. Großbritannien rangiert mit 88 Kilogramm pro Kopf an zweiter Stelle hinter den USA, und die EU und Großbritannien zusammen kommen durchschnittlich auf rund 55 Kilogramm.

Law berichtet, dass in den USA trotz einer robusten Infrastruktur für das Management von Plastikmüll und des öffentlichen Engagements nur etwa neun Prozent des gebrauchten Plastiks tatsächlich gesammelt werden. In den USA gelangen zwischen einer und über zwei Millionen Tonnen Plastikmüll als Abfall oder illegal deponiert in die Umwelt. Häufig gehen die Länder, die ihn als Import aus Industrieländern annehmen, nicht sachgerecht damit um, sodass er oft durch Leckage in die Umwelt gelangt.

In ihrem Bericht „Production, Use, and Fate of All Plastics Ever Made“ schreiben Geyer und seine Kolleginnen, dass die Recyclingquoten sowohl in China als auch in Europa zwei- bis dreimal höher seien als in den USA, doch werde auch mehr verbrannt. In den USA werden sechzehn Prozent des gesammelten Plastikmülls verbrannt (1995 noch 21 Prozent), in China dreißig Prozent und in Europa vierzig Prozent. Offensichtlich erhält nur ein kleiner Prozentsatz des Plastikmülls tatsächlich ein zweites Leben.

Ursprünglich wurde Plastik schließlich erfunden, um aus Rückständen der Erdöldestillation ein gewinnbringendes Produkt herzustellen. Earl Tupper mag höhere Ziele gehabt haben, aber aus kapitalistischer/industrieller Sicht war das ein siebzigjähriger Boom. Es ist sinnvoll, wenn auch nur im Sinn der Hersteller-Gewinnspannen, gebrauchte Materialien eher zu verbrennen oder wegzuwerfen als wiederzuverwerten. Forschern zufolge wird in den nächsten dreißig Jahren weniger Müll weggeworfen werden, weil das Recycling zunehmen wird, aber die Müllverbrennung dürfte noch schneller zunehmen.

Geyer schätzt, dass seit 1950, in etwa dem Beginn der Plastikindustrie, insgesamt über 8.300 Millionen Tonnen Plastik aus Erdöl produziert worden sind. Wenn wir das mit 1.000 kg pro Tonne umrechnen, kommen wir auf 8,3 Billionen Kilogramm.

Nicht nur die großen Zahlen sind Grund zur Sorge. Zum Vergleich: Menschen produzieren jährlich Babys mit einer Gesamtmasse von rund einer halben Milliarde Kilogramm. Doch aufgrund der Gesetzmäßigkeiten der Natur werden Babys groß und kehren irgendwann später wieder zur Erde zurück, und die Inhaltsstoffe werden zu etwas Neuem – anders als bei Plastik, unserem künstlichen Baby. Nicht nur, dass Plastik nicht zersetzt wird und sich auflöst – es ist stets massenhaft Nachschub vorhanden.

Wie hoch sind die nicht geklärten Kosten dieser enormen Masse künstlicher Stoffe, die überall in die Umwelt und die Atmosphäre eingebracht werden? Was ist ihre Zukunft und wie ist unsere damit verbunden?

Nahrungsketten-Bumerang

Einige Plastikprodukte sind von vornherein klein, zum Beispiel die Körner in Scheuermilch und ähnlichen Reinigern, aber das meiste hat zunächst Makroformat, über 5 mm. Unabhängig von der Anfangsgröße wird alles Plastik letztlich miniaturisiert. Aber der bloße Zerfall in immer kleinere Bruchstücke lässt es nicht verschwinden. „Der Lebenszyklus von Mikro-/Nanoplastik ist lang, unabhängig davon, woher es kommt“, bemerken Miguel Oliveira und Kolleginnen in einen Forschungsartikel von 2019 mit dem treffenden Titel „A Micro(nano)plastic Boomerang Tale: A Never Ending Story?“ (Die Geschichte eines Mikro-/Nanoplastik-Bumerangs – eine endlose Geschichte?)

Es ist verifizierbar, dass die Mehrheit der Kunststoffe, die in unserem täglichen Leben präsent sind, mit absoluter Sicherheit den Weg in die Böden und Wasserreserven finden wird“, schreibt Oliveira. „Aber anders als abbaubare Substanzen, die sich zersetzen und als Nährstoffe in die Nahrungskette zurückkommen, zersetzt sich Mikroplastik nicht; es verwittert nur zu immer kleineren Partikeln, bis es fast unmöglich ist, seine Existenz zu verifizieren.“

Ohne eine gut durchdachte und maßgeschneiderte Managementstrategie für Altplastik führt der Mensch gerade ein einzigartiges unkontrolliertes Experiment globalen Ausmaßes durch.“

Roland Geyer, Jenna R. Jambeck, Kara Lavender Law, „Production, Use, and Fate of All Plastics Ever Made“, Science Advances (Juli 2017)

Festzustellen, wie viel Plastik die Menschen eigentlich zu sich nehmen, ist eine knifflige und nie endende Herausforderung. Manche Forscher meinen, dass vielleicht jeder und jede von uns pro Woche 5 Gramm esse – so viel wie eine Kreditkarte.

Andere stimmen einer so spezifischen Mengenangabe nicht zu. Autoren einer Studie von 2019, die in der Zeitschrift Environmental Science and Technology der American Chemical Society erschienen ist, schätzen die Plastikmenge, die wir aufnehmen, ebenfalls, betonen aber, dass die tatsächliche Quantität noch unbekannt sei. Der Forschungsleiter Kieran Cox, Biologe an der Universität Victoria in British Columbia (Kanada), hat Vision mitgeteilt, ihre Befunde seien „sicher eine konservative, zu niedrige Schätzung. Die reale Menge hat eine reale Masse und wird in naher Zukunft bekannt sein. Jetzt aber noch nicht. Diese Studien fahren das wirklich hoch, aber es mit einer Kreditkarte gleichzusetzen, ist derzeit nicht wirklich zutreffend.“

Eine zutreffende und wissenschaftlich validierte Zahl wird nützlich sein. Doch ob die Masse letztendlich die einer Kreditkarte, eines Reiskorns oder eines Kuchenstücks ist –  nicht nur das Plastik selbst ist von Bedeutung. Forscher der Universität Toronto haben kürzlich geschrieben: „Plastik ist ein komplexer Schadstoff“, der vielfältige negative Auswirkungen haben kann. „Dieser ,Chemiecocktail‘ besteht aus den verbleibenden Monomeren, aus denen das Plastikpolymer besteht, den Zusatzstoffen, die während der Produktion beigefügt werden, und den Schadstoffen, die aus der Umgebung sorbieren.“ Viele dieser Chemikalien sind von der US-Umweltschutzbehörde als „prioritäre Schadstoffe“ gelistet, „weil sie dauerhaft, bioakkumulativ und/oder toxisch sind“, wie die Umweltschutzbehörde schreibt.

So sind die Megatonnen von Plastikmüll, die in aller Welt unterwegs sind, ein Dauerproblem in sich, aber noch besorgniserregender ist die Gefahr durch die Chemikalien, die sie enthalten. Da sind die Giftstoffe, die wir kennen, und solche, die wir nicht kennen; einzelne Reste, die wir erkennen, und Synergien, die uns ein Rätsel sind. Und wir beginnen gerade erst, zu erkennen, dass wir da ein riesiges, praktisch unsichtbares Liefersystem geschaffen haben, das diese Giftstoffe direkt zu allen Lebewesen zurückbringt – uns eingeschlossen.

So, wie ein neuartiges Virus, das aus alten Quellen entstanden ist, als aufkommende Krankheit bezeichnet wird, ist das Hybrid aus Mikroplastik und Giftstoffen eine Art neuer, „aufkommender Schadstoff“. Und er ist überall um uns.

In den Niederlanden haben Forscher beschrieben, wie tief wir in dieser Suppe aus Schadstoffen stecken: „Durch den Verzehr von (Meeres-)Tieren und anderen Nahrungsmitteln und durch andere Konsumprodukte wie Zahncreme, Bier, Honig, Salz und Zucker sind Menschen Mikro- und Nanoplastik ausgesetzt. Hinzu kommt die ebenfalls orale Aufnahme mit Trinkwasser und Mineralwasser aus Plastikflaschen und Kartons. Darüber hinaus wird Mikro- sowie Nanoplastik von Textilien, synthetischen Gummireifen und Plastikabdeckungen eingeatmet.“

Möglicherweise noch beunruhigender ist eine gerade erschienene Studie aus Italien, derzufolge jetzt bestätigt ist, dass Mikroplastik in der menschlichen Plazenta festgestellt wurde. Die Autoren schließen: „Angesichts der lebenswichtigen Funktion der Plazenta für die Entwicklung des Fötus und als Schnittstelle zwischen ihm und der Außenwelt gibt das Vorhandensein exogener und potenziell schädlicher (Plastik-)Partikel Anlass zu großer Sorge.“ Dass diese Stoffe in der Plazenta auf der Seite der Mutter und auch auf der Seite des Babys gefunden wurden, bedeutet, dass sogar die Ungeborenen mittlerweile dem Plastik, das im Unlauf ist, sowie seiner chemischen Last ausgesetzt sind.

Der schmale Pfad

Wie die Ökologin Rachel Carson vor Jahrzehnten warnte, als der massenhafte Eintrag von Kunststoffen in die Umwelt begann (ihre Hauptsorge war das Pestizid DDT), ist nicht abzusehen, was die Folgen sein werden, wenn wir der natürlichen Welt unsere eigenen Schöpfungen hinzugeben. Haben wir ein Minenfeld angelegt, in das wir hineingelaufen sind?

Unser Plastikdilemma lässt eine Viruspandemie fast harmlos aussehen. Gegen ein Viruspartikel können wir immerhin Immunität anstreben. Doch so, wie wir lernen, dass Corona zusätzlich zu dem direkteren Angriff auf Atem- und Kreislauffunktionen auch Nervenschäden mit potenziell langfristigen Auswirkungen verursachen kann, begreifen wir allmählich auch die tiefergehenden Folgen unseres Plastikmiasmas. Das Problem ist viel umfangreicher als die Hässlichkeit des Mülls oder auf Plastikstrohhalmen aufgespießter Meerestiere.

So etwas haben wir nicht erwartet. Earl Tupper hatte es nicht vorausgesagt.

In einem Tagebucheintrag schrieb Tupper gegen Ende der 1930er-Jahre unter der Überschrift „Mein Ziel im Leben“ eine Vision nieder, die viele von uns wahrscheinlich auch haben. Er war nicht nur daran interessiert, Gewinn zu machen. Er wollte etwas tun, das das Leben der Menschen verbessern, nicht verschmutzen würde. Tuppers Traum war, zu „versuchen, den wahren Sinn und Zweck aller Dinge zu verstehen, die für die Menschheit und die Nachwelt von Interesse oder Nutzen sind“. Er setzte auf Tupperware, um das Leben besser zu machen.

Wenn man mit Plastik richtig umgeht, ist es von großem Wert für die Menschheit. Sterile und leichte Verpackungen sind beispielsweise äußerst hilfreich. Wenn Plastik vernünftig und sinnvoll verwendet wird – und dazu gehört auch ein Plan für den Umgang mit den benutzten Materialien, nachdem ihre primäre Aufgabe erfüllt ist –, kann es buchstäblich Leben retten. Doch wie die Dinge stehen, wird uns unser verantwortungsloser Umgang mit der Plastikwelt, die wir gemeinsam geschaffen haben, für eine lange Zeit verfolgen. Über den Nutzen, von dem Tupper schrieb, haben wir nicht hinausgedacht. Die Nachwelt und was als Nächstes geschieht, haben wir komplett aus den Augen verloren.

So hätte es nicht kommen müssen. Hätten wir nach anderen Prinzipien gelebt, wären wir einen weniger schädlichen Weg gegangen, der uns allen auch über künftige Generationen zugutegekommen wäre, statt eines Weges, der nur Unternehmen genau jetzt zunutze kommt. In einem gewissen Sinn haben wir den breiten Weg gewählt, nicht den schmalen Pfad. Dieser zweite, besser durchdachte und vielleicht selbstlosere Weg scheint Tuppers Lebensziel eher zu entsprechen – über sich selbst und die Gegenwart hinauszudenken, voraus und nach außen zu schauen, immer mit Rücksicht auf die Zukunft und das Wohl derer, die nach uns kommen werden.