Weisheit – die Pausen zwischen den Noten

Weisheit wird zunehmend zu einer Rarität. Warum? Was kann man tun, um sie zu erlangen?

Meinungen entwickeln sich in uns als ein natürlicher Vorgang. Weisheit hingegen nicht. Auf Meinungen trifft man häufig - auf Weisheit hingegen eher selten. Meinungen kann man schnell formulieren - Weisheit braucht Zeit zur Entwicklung.

Um die wirklich wichtigen aus der Flut von Informationen, die über uns hereinbricht, herauszufiltern und uns nutzbar zu machen, benötigen wir klares Denken - und dies braucht Zeit. Zeit, die wir so oft nicht haben. Das hektische Tempo unseres Lebens verführt außerdem dazu, den Wert von schnell gefassten Meinungen höher zu bewerten als angebracht.

Zeit und Informationsflut sind insofern zu unseren Feinden geworden. Da wir keine Zeit haben, über die Flut von Informationen, die uns täglich überschwemmt, wirklich nachzudenken, sind wir nach Meinung mancher Sozialpsychologen, was Erkenntnis anbelangt, in großem Maße zu geistigen Zwergen geworden. Emotionelle Reaktionen aus dem Bauch heraus und schnell formulierte eindimensionale Meinungen kommen dem heutigen hektischen Lebensstil natürlich mehr entgegen als eine gründliche und eingehende Betrachtung eines Themas. Solche geistigen Abkürzungen zu nehmen scheint zwar kurzfristig zu helfen, die komplexe Welt von heute etwas leichter und schneller fassbar zu machen, führt aber langfristig zu schwerwiegenden Denk- und nachfolgenden Verhaltensfehlern - mit negativen Auswirkungen nicht nur für uns persönlich, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes.  

Diese Umstände förderten eine Gesellschaft, die entscheidungsfreudiges, aber oftmals leichtfertiges und kurzatmiges Denken forciert. Es entstand eine Gesellschaft, die mit Vorliebe kurze Zusammenfassungen und plausibel klingende Meinungen anderer konsumiert. Wirklich wertvolle Informationen aber brauchen den Kontext - den nur kritisches, reflektierendes, langatmiges Denken ausleuchten kann.

Calvin Coolidge, ein früherer Präsident der Vereinigten Staaten, formulierte dieses Problem wie folgt: „Manche Menschen leiden wegen Mangel an Arbeit, manche wegen Mangel an Wasser, aber wesentlich mehr Menschen leiden auf Grund von Mangel an Weisheit.“  

Viele Menschen sehen zwar in der Weisheit eine wichtige Qualität, aber wie bereits ausgeführt, ist dies kein automatischer Vorgang. Ein treffendes Sprichwort aus dem Kongo lautet: „Weisheit ist keine Medizin zum Hinunterschlucken.“

Wie gewinnen wir dann Weisheit? Lassen Sie uns einige Attribute der Weisheit betrachten und daraus eine Antwort destillieren.

GESCHULTER WEITBLICK 

Man nimmt allgemein an, dass sich mit zunehmendem Alter automatisch Weisheit einstellen würde, aber dies ist, wenn man es genau betrachtet, ein Trugschluss. Menschen müssen sich selbst schulen oder geschult und angehalten werden, auch im Denken erwachsen zu werden, sonst passiert es nicht selten, dass sie auf diesem Gebiet zwischen Kindheit und Erwachsensein stehen bleiben. Sie funktionieren zwar einerseits wie Erwachsene, der kindliche Glaube, dass sich die Welt um sie drehe, bleibt ihnen jedoch in gewisser Weise erhalten. Mit dem Erwachsenwerden sollte eigentlich das Verständnis einhergehen, dass die Welt nicht unserer kindlichen Vorstellung entspricht - und dass wir selbst nicht der Mittelpunkt der Erde sind, sondern nur ein kleines Rad im großen Getriebe.

Der kindliche Sinn ist chronisch selbstbezogen und es mangelt ihm an Weisheit - dafür ist seine Sicht zu eng, da er meist nur den kleinen Bereich um das eigene Ego wahrnimmt.

Die Erfahrung zeigt, dass egoistische Menschen trotz eines möglicherweise angehäuften Wissens in ihrem gesamten Denken oft kleinkariert sind - sie beziehen alles nur auf sich. Kleinkariertes Denken konserviert Unreife. Unreifes Denken will die Welt nicht so sehen, wie sie ist, das führt zu Oberflächlichkeit im Denken, zu häufiger Frustration, und nicht selten zu Aggression. Egozentriker tendieren dazu, alles einfach von sich zu weisen, was mit ihrer Weltsicht in Konflikt geraten könnte. Es fehlt ihnen die Perspektive, die eine Person besitzt, die sich als Teil eines Ganzen begreift - der Selbstbezogene kann insofern die Realität nicht richtig einschätzen. Egozentriker beurteilen das Leben und Situationen meist nur aus dem schmalen Blickwinkel, wie sich alles auf sie selbst auswirkt. Ihr Denken und Verhalten wird deshalb engstirnig, unvernünftig und ermangelt des Weitblicks der Weisheit.      

Eine Erweiterung unserer Perspektive über das eigene Ich und den damit verbundenen engen Kreis hinaus und ein Bestreben nach Ausgeglichenheit fördert nicht nur Weisheit, sondern bereichert das Denken und Leben. Wenn wir die Vorgänge um uns herum und auch in der Welt, in der wir leben, immer wieder neu und unvoreingenommen betrachten, schützen wir uns vor Engstirnigkeit im Denken. Eine Perspektive, die über das eigene Ich hinausreicht, ist eines der Merkmale von Reife, und nur so können wir Weisheit entwickeln.

VATER UND MUTTER DER WEISHEIT 

Manche verwechseln nicht nur eine dezidierte Meinungsäußerung, sondern auch das Vorhandensein von Intelligenz mit Weisheit. Irrtümlicherweise glaubt man, dass eine Menge Wissen automatisch zu Weisheit führen müsse. Weisheit ist keinesfalls gleichzusetzen mit einer Anhäufung von Wissen. Ein einfacher Schäfer mag insofern mehr Weisheit besitzen als ein mit großem Fachwissen angereicherter Experte.    

Professor Robert Sternberg von der Yale University meint in seinem Buch Why Smart People Can Be So Stupid, dass Torheit (definiert als das Gegenteil von Weisheit) „oftmals das Resultat ist, wenn bei der Aneignung von Wissen etwas schief läuft oder wenn Wissen verkehrt genutzt wird“. Er meint, dass Torheit auch das Resultat einer fehlenden Ausgeglichenheit im Denken sei.

Wie der deutsche Schriftsteller und Nobelpreisträger Hermann Hesse sagte: „Wissen kann vermittelt werden, Weisheit nicht.“ Weisheit erreicht man nicht durch das einfache Lesen eines Buches oder Hören eines Vortrages. Lesen und Hören hat einen hohen Stellenwert, wenn wir bewusst aufnehmen und filtern. Für die Entwicklung von Weisheit braucht man aber auch eigenes sorgfältiges Beobachten, Nachdenken und Meditieren - über das eigene Leben und das anderer, über die Welt, in der wir leben - ein Weiser lernt aus Beobachtung, Abwägung aller Fakten und eigener und fremder Erfahrung. „Der Vater der Weisheit ist Gedächtnis; Überlegung ist ihre Mutter“ (Waliser Sprichwort).

Weisheit bedeutet auch, Wissen vernünftig miteinander zu verbinden und richtige Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, was in der Folge zu richtigem Handeln führen sollte. Es ist die Weisheit, die Wissen erst wirklich nützlich und segensreich macht.    

Weisheit zieht bei Entscheidungen alle Konsequenzen und auch mögliche Alternativen in Betracht und hilft uns dadurch, eine moralische Richtung für unsere Entscheidungen zu finden. Sie wägt ab, betrachtet von mehreren Perspektiven, untersucht, nimmt sich Zeit für die Suche nach dem besten Weg. Mehr noch, sie sucht den richtigen Weg. Für die Weisheit ist es nicht der Zweck, der die Mittel heiligt, sondern das richtige und gute Endergebnis für alle Beteiligten.  

Man könnte vereinfacht sagen, dass der Weisheit eigentlicher Nutzen ist, uns dabei zu helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Deshalb ist es, wie erwähnt, so wichtig, Konsequenzen und Alternativen richtig abzuwägen. Niemand kann das Prinzip „Ursache und Wirkung“ umgehen. Sternberg zeigt auf, dass ein Grund, warum kluge Leute manchmal so unglaublich töricht sein können, darin liegt, dass sie denken, das Problem der Konsequenzen hätten sie (intellektuell) schon überwunden. Ursache und Wirkung regieren jedoch unser Leben; insofern ist es weise, dies in Betracht zu ziehen. Wie der amerikanische Schriftsteller Norman Cousins es ausdrückt: „Weisheit besteht in der Erwartung von Konsequenzen.“

WORTE EINES BERÜHMTEN WEISEN 

Das Buch der Bücher, die Bibel, berichtet von einem Mann, der dort der Weiseste genannt wird, der jemals gelebt hat. Es ist sicher interessant, zu erfahren, was diese berühmte Gestalt der Geschichte, König Salomo, über Weisheit zu sagen hatte.

Er war zweifellos ein außergewöhnlicher Mensch - nicht nur als König, sondern auch als erfolgreicher Unternehmer, Bauherr, Geschäftsmann und Mäzen der Künste. Seine Handelsbeziehungen zogen sich wie ein Netzwerk von Verkehrsverbindungen über die ganze Welt. Salomo war auch ein Immobilienmagnat. Er unternahm das größte Bauprogramm, das seine Nation je gesehen hatte. Er baute sogar ein ausgedehntes Wasserleitungssystem, um die wachsende Hauptstadt Jerusalem jederzeit mit dem kostbaren Nass zu versorgen. Unter Salomo wurde Israel ein bedeutendes Finanzzentrum und ein kosmopolitischer Marktplatz.

Dieser erfolgreiche König schrieb ein Buch - das biblische Buch Prediger. Unter heutigen Umständen würde ein Buch eines so erfolgreichen Mannes sicher innerhalb kurzer Zeit zu einem Welt-Bestseller. Lassen Sie uns deshalb versuchen, aus diesem Buch Prediger einige wichtige Lehren in Bezug auf Weisheit herauszufiltern.

Salomo beginnt mit der für jeden, der Weisheit erlangen will, wichtigen Erkenntnis, dass es im Grunde nichts wirklich Neues unter der Sonne gibt, dass die Kreisläufe der Natur und selbst die menschlichen Erfahrungen im Grunde immer wieder dieselben sind.

Eine Einsicht, die dem eitlen und unreifen Geist, besonders in unserem hochtechnologischen und von ungeheuerem Wissenszuwachs auf sachlichen Gebieten geprägten Zeitalter, sehr schwer fällt. Das mangelnde Sachwissen früherer Zeitalter wird von vielen gleichgesetzt mit allgemeiner Unwissenheit oder gar Dummheit. Die Zustände in der heutigen Welt bestätigen allerdings, dass es in Bezug auf Mangel an Erkenntnis der richtigen Lebensweise und Weisheit tatsächlich „nichts Neues unter der Sonne“ gibt.          

Nach einem von rastloser Suche nach dem dauerhaften Glücksgefühl geprägten Leben erkennt Salomo, dass alles im Wesentlichen ein „Haschen nach Wind“ war - und das, obwohl er in der wahrscheinlich einzigartigen Situation war, alle Genüsse, die es im Leben zu genießen gibt, im Übermaß und ohne jegliche Einschränkung konsumieren zu können. Er kostete alles bis zur Neige aus, mit der Vorgabe, trotzdem die Weisheit nicht außer Acht zu lassen und nicht „außer Kontrolle zu geraten“, sondern mit Bedacht festzustellen, was für den Menschen letztendlich das Beste sei.

Er musste feststellen, dass sogar Weisheit an sich nicht der Schlüssel zum Glück ist, obwohl der Unterschied zwischen einem Weisen und dem Toren wie ein Leben im Licht oder in der Finsternis ist. Es schmerzte ihn, zu sehen, dass in dieser Welt ein wenig Torheit mehr wiegt als Weisheit, Ehre und Gerechtigkeit - und dass es dem Weisen und Gerechten nicht unbedingt besser geht als dem Toren oder sogar manchem Verbrecher. Hat sich in den Jahrtausenden, seit Salomo dies schrieb, insofern etwas geändert?

Salomo widerlegte durch seine Forschungen und persönlichen Erfahrungen auch den Irrtum: „Je mehr, desto besser!“ All das Anhäufen von Vermögen und das extensive Luststreben erkannte er schlussendlich als „Haschen nach Wind“ - man kann nichts festhalten, auch die Augenblicke des Glücks entschwinden wie der Wind. Am Ende des Lebens muss jeder alles zurücklassen, und wer weiß, was die Erben mit all dem mit großer Mühe und Unrast Erworbenen anfangen werden?

Er beobachtete, dass diejenigen, die Geld und Reichtum lieben, niemals davon satt werden und es ihnen trotz ihres Überflusses häufig nicht möglich ist, richtig zu genießen - ein trauriger Umstand, der dem Weisen den Wert von ausgeglichener Genügsamkeit vor Augen führt.

Seine Weisheit führte ihn auch zur Erkenntnis, dass jeder im Leben von Zeit und Umständen abhängig ist - auch der Weise kann sich dem nicht vollständig entziehen. Der Weise weiß, dass er in seinem Leben Höhen und Tiefen durchwandern muss. Salomo erkannte, dass jemand, der den Kreislauf des Lebens nicht akzeptieren will und immer nach Dingen strebt, die nicht möglich sind, statt das zu genießen, was vor Augen liegt, niemals vom „Haschen nach Wind“ loskommen wird.

Nach Salomo liegt in diesem Sinne eine große Weisheit in der Erkenntnis, dass es wichtig ist, die einfachen und kleinen Freuden des Lebens zu genießen. „Ist's nun nicht besser für den Menschen, daß er esse und trinke und seine Seele guter Ding sei bei seinem Mühen?“, fragte er (Prediger 2, 24) und fügte hinzu: „So sah ich, daß nichts Besseres ist, als daß ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil“ (Kap. 3, 22). Weiter empfiehlt er, nachdem er in seinem Leben an die 1000 Frauen „sein Eigen nannte“: „Genieße das Leben mit deiner Frau [Einzahl], die du liebhast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat“ (Kap. 9, 9).

In unserer heutigen „Fun-Gesellschaft“ ist für Trauer und Besinnung wenig Platz. Und doch werden dadurch die Tiefen eines Menschen gebildet. Das Herz eines Weisen, so Salomo, wendet sich nicht vom Leid ab, sein Herz ist dort, wo man trauert - der Weise scheut nicht die Konfrontation mit der Begrenztheit des Lebens.  

Gerade unserer hektischen und erlebnis- und vergnügungssüchtigen Welt verschreibt er eine ausgeglichene Lebensweise im Sinne „Besser eine Hand voll mit Ruhe als beide Fäuste voll mit Mühe und Haschen nach Wind“ (Kap. 4, 6). Ein weises Rezept für physische und geistige Gesundheit!

Es sei nicht ein Ausdruck von Weisheit, mahnt Salomo, wenn man in nostalgischer Verklärung behauptet, die früheren Zeiten seien immer besser gewesen. Auch sollte sich der Weise davor hüten, in Selbstgerechtigkeit zu verfallen, „denn es ist kein Mensch so gerecht auf Erden, daß er nur Gutes tue und nicht sündige“ (Kap. 7, 20).

In seinem langen Leben forschte Salomo nach den Wurzeln der Weisheit und dem Weg zu einem glücklichen Leben. Das Endergebnis seiner Forschung fasste er in einem kurzen Gedanken zusammen: „Laßt uns die Hauptsumme aller Lehre hören: Fürchte [respektiere] Gott und halte seine Gebote; denn das gilt für alle Menschen“ (Kap. 12, 13).

Ein Rat, der sehr einfach klingt in einer komplexen Welt und der in den seither vergangenen Jahrtausenden nur von wenigen ernst genommen wurde - und immer noch suchen wir in Rastlosigkeit den Weg zum Glück und lassen dabei die Worte des Weisen außer Acht.

DIE SUCHE NACH WAHRHEIT 

Im August 2002 kamen in der Alhambra, dem wunderschönen Palast, der über der alten spanischen Stadt Granada thront, säkulare und religiöse Gelehrte zusammen und formten die International Society for Science and Religion. Ihr erster Präsident, Sir John Polkinghorne, ein Physiker und Priester der Church of England, betonte in seiner Eröffnungsansprache: „Wissenschaft und Religion sind gleichermaßen bestrebt, die Wahrheit zu finden.“ Er merkte aber an, dass es eine Dimension gäbe, in welcher „wahres Wissen nur durch Vertrauen und nicht durch Tests gefunden werden kann“.    

Auf derselben Konferenz entwickelte der Astrophysiker und Islamgelehrte Bruno Guiderdoni den Gedanken noch weiter und sagte: „Wahres Wissen bringt uns zurück zu Gott.“ In Anbetracht einer solch mutigen Behauptung ist es vielleicht nicht zu simpel ausgedrückt, wenn wir sagen, die Suche nach Weisheit sollte mit Gott beginnen.

Wenn wir das Endergebnis aller Dinge vorhersehen könnten, würden wir gemeinhin als allwissend und voller Weisheit angesehen werden. Dies würde allerdings eine Perspektive erfordern, die übermenschlich ist. Als Menschen sind uns hier Grenzen gesetzt, aber eine höhere Perspektive anzustreben bleibt trotzdem ein wichtiger Schlüssel.

Weisheit erfordert eine höhere Perspektive, ein tieferes Verständnis des Alltäglichen. Thomas von Aquin, ein Theologe aus dem 13. Jahrhundert, dachte, dass nur Gott eine solche Perspektive besitzt; um weise zu sein, müssten wir uns nach Gott ausrichten, sodass wir von seiner göttlichen Weisheit berührt würden. Aquin bekundete in seinem großen Werk Summa Theologiae, dass „Weisheit höhere Prinzipien in Betracht zieht als die Wissenschaft und konsequenterweise von ihr unterschieden werden müsse“.

Wenn man das Leben aus einer höheren Perspektive betrachtet, über dem Ich, wird klar, dass Weisheit nicht im Detail liegt, sondern in der Gesamtheit, dem Überblick, dem Universellen und Endgültigen. Der Psychologe William James erinnert uns daran, „dass die Kunst, weise zu sein, die ist, zu wissen, was man übersehen sollte.“

Die Noten beherrsche ich auch nicht besser als viele andere Pianisten. Aber die Pausen zwischen den Noten - dort liegt die Kunst.“

Arthur Schnabel, pianist

Der berühmte Pianist Arthur Schnabel wurde einmal gefragt, warum er die Noten der Musik so wunderbar beherrschte. Seine Antwort war verblüffend: „Die Noten beherrsche ich auch nicht besser als viele andere Pianisten. Aber die Pausen zwischen den Noten - dort liegt die Kunst.“

Um Weisheit zu erlangen, müssen wir auch zwischen den Zeilen der Ereignisse lesen. Nur dann erschließt sich ein bedeutungsvolles, komplettes Bild. Weisheit ist eine Qualität des Verstandes, eine Art und Weise, das Leben und alles damit Zusammenhängende zu betrachten. Weisheit sieht das Leben aus allen Perspektiven. Je tiefer man hineinsieht, desto mehr bemerkt man, dass alles Leben miteinander verbunden ist. Durch Weisheit ordnen wir dann, was wir lernen, beobachten und wissen und kommen zu richtigen Schlüssen und Handlungen.

ZEIT ZUM NACHDENKEN 

Um zu verstehen, wie verschiedene Prinzipien in Weisheit unter speziellen Umständen angewandt werden sollten, muss Zeit zum Meditieren eingesetzt werden. Weises Entscheiden erfordert Zeit. Die Gefahr in unserer heutigen Welt ist in dieser Hinsicht natürlich, dass unser Wissen auf bestimmten Gebieten (z. B. Gentechnik) in einem Tempo wächst, dass sogar Experten kaum in der Lage sind, über die vernünftige Anwendung lange genug nachzudenken. Wir handeln, bevor wir Zeit gehabt haben, die Konsequenzen und Alternativen zu überlegen.

Es scheint, dass Senecas junger römischer Freund Serenus nicht verkehrt lag, wenn er beobachtet: „Viele Männer hätten wohl Weisheit erlangen können, wenn sie nicht gedacht hätten, dass sie diese bereits erlangt haben.“

Weisheit zu erlangen ist ein langwieriger, in Stufen höherschreitender Prozess. Salomo schrieb im biblischen Buch der Sprüche, dass der Respekt vor Gott das erste sei, was wir auf dem Weg zur Weisheit brauchen - dies sei der Beginn aller Erkenntnis. Sein Vater, König David von Israel, hatte es so ausgedrückt: „Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang.“ Die Art Furcht, die David und Salomo beschreiben, ist ein tiefer Respekt vor Gott und seinen Weisungen, seinem Gesetz. Gott ist der Inbegriff von Weisheit, da er allein die perfekte, alles umfassende Perspektive besitzt. Gottes Gesetz entspringt seiner absoluten Weisheit, seiner Erkenntnis, was das letztendlich Gute und Richtige ist. Seine Weisungen sind für uns auch ein Ausdruck seiner Liebe, da sie den Weg der Weisheit aufzeigen, der uns zu einem glücklichen Leben verhelfen soll.

Gottes Weisungen, ausgedrückt im Wort Gottes, der Bibel, vermitteln eine Perspektive, die uns über den eigenen Tellerrand hinausblicken lässt. Gottes Wort zeigt die Verbindung von Ursache und Wirkung und offenbart uns, wenn wir zulassen, dass unsere Augen dafür geöffnet werden, den Sinn unseres Lebens. Gott ist der Inbegriff von Weisheit, nur er kennt in vollem Umfang Anfang und Ende - und er hat uns für einen Zweck geschaffen, und dieser Zweck beinhaltet auch, uns Anteil an seiner Weisheit zu schenken.  

Heute rasen viele Menschen mit so großer Geschwindigkeit durchs Leben, dass kein Raum für die Entwicklung von Tiefgang bleibt. Gandhi hatte Recht, als er sagte: „Geschwindigkeit ist nicht das höchste Gut im Leben.“ Wenn wir innehalten, betrachten, abwägen, nachdenken und den inneren Raum in Richtung Gottes Weisung aufschließen, können wir echte Weisheit entwickeln.

Es ist eine Reise, die weniger Technologie und mehr Selbstbeobachtung verlangt. Wahre Weisheit verlangt das persönliche und unablässige Streben nach der richtigen, göttlichen Perspektive. Sich bewusst zu machen, wo Weisheit beginnt, ist der erste Schritt. Im ständig wechselnden Kontext unseres Lebens bietet uns eine auf Gott ausgerichtete Weisheit Antworten, Führung und Stabilität, die ein Leben erst mit Sinn erfüllt.