Jakobus, der Bruder Jesu

In dieser Artikelreihe haben wir unser Augenmerk bisher hauptsächlich auf das Leben und die Lehren eines Mannes gelegt, der Jesus während seines Wirkens auf Erden niemals persönlich getroffen hat, den Apostel Paulus. Im letzten Teil behandelten wir das Ende seines Lebens und seine angenommene Exekution in Neros Rom. Die Geschichte der Apostel endet aber hier noch nicht.  

Unsere Hauptquelle in dieser Reihe war die biblische Apostelgeschichte, die von Paulus’ Reisegefährten Lukas niedergeschrieben wurde. Von den ursprünglichen zwölf Aposteln hatte Judas Iskariot bereits Selbstmord verübt (Matthäus 27, 1-5) und wird danach in der Apostelgeschichte nicht mehr erwähnt; die verbleibenden Elf werden nur einmal angeführt (Apostelgeschichte 1, 13). Dessen ungeachtet bezieht sich Lukas, nachdem Matthias Judas ersetzt hatte (Vers 26), erneut auf eine Gruppe von zwölf Aposteln (Apostelgeschichte 6, 2; siehe auch 6, 6; 4, 33; 5, 18. 29; 15, 2; 16, 4). Unter ihnen befanden sich in den ersten Tagen der Kirche auch mehrere Frauen (inklusive der Mutter Jesu, Maria) und seine Brüder (Apostelgeschichte 1, 14).

Die Apostelgeschichte ist nicht die einzige Quelle von Informationen über einige der Jesus am nächsten stehenden Personen. Briefe, wie die von Simon Petrus, Johannes, Jakobus und Judas geschriebenen, sind auch Teil des Neuen Testaments.

In diesem Teil unserer Reihe befassen wir uns nun mit der Biografie und dem schriftlichen Werk von Jakobus.

WELCHER JAKOBUS? 

Wir haben in dieser Artikelreihe bereits festgehalten, dass in den frühen Tagen der Kirche, um 44 n.Chr., König Herodes Agrippa einen Mann namens Jakobus töten ließ, den Sohn des Zebedäus, einen der ursprünglichen zwölf Apostel (siehe Apostelgeschichte 12, 1-2). Es muss deshalb ein anderer Jakobus sein, auf den sich Lukas später in Vers 17 desselben Kapitels bezieht, in dem er davon berichtet, dass Petrus Nachricht über seine Freilassung aus dem Gefängnis einem Mann namens Jakobus überbringen ließ. Im Neuen Testament scheinen sieben verschiedene Personen mit demselben Namen auf, aber höchstwahrscheinlich ist es Jakobus, der Bruder Jesu (Galater 1, 19), um den es hier geht.

Wie wir bereits gesehen haben, waren Jesu Brüder mit den Aposteln zusammen in Jerusalem, als die Kirche nach seiner Hinrichtung gegründet wurde (Apostelgeschichte 1, 14). Derselbe Jakobus tritt später in der Apostelgeschichte als Leiter der Gemeinde in Jerusalem in Erscheinung – insofern kann man ohne Weiteres annehmen, dass dieser Jakobus, der Bruder Jesu, der Autor des neutestamentlichen Jakobusbriefes ist.

Als leitende Person in Jerusalem war Jakobus mit seiner Autorität auch in der Lage, dem internen Streit in der Kirche über die Beschneidung von nichtjüdischen Gläubigen ein Ende zu setzen (Apostelgeschichte 15, 13-19; siehe auch 21, 18). Der jüdische Historiker des ersten Jahrhunderts, Flavius Josephus, berichtet in diesem Zusammenhang, dass die jüdische religiöse Hierarchie einen Mann zu Tode steinigen ließ, nämlich „den Bruder von Jesus, den man Christus nannte, dessen Name Jakobus war“ (Jüdische Altertümer 20.200). Dies geschah um das Jahr 62 n.Chr. 

Aber war Jakobus auch ein Apostel? Obwohl er nirgends im Neuen Testament direkt so genannt wird, führt man in Expertenkreisen häufig an, dass ihm bereits seine Familienbeziehung zu Jesus eine außergewöhnliche Rolle zugewiesen haben müsse. Paulus, der selbst zum Apostel wurde, aber nicht zu den ursprünglichen zwölf gehörte, scheint Jakobus’ apostolische Funktion anzudeuten, als er über einen seiner Besuche in Jerusalem berichtet. Er sagt: „Von den andern Aposteln aber sah ich keinen außer Jakobus, des Herrn Bruder“ (Galater 1, 19). Bibelgelehrte tragen den Einwand vor, dass dies keine eindeutige Aussage sei – eine alternative Übersetzung laute: „Von den anderen Aposteln sah ich damals keinen, nur Jakobus, den Bruder des Herrn“ (Gute Nachricht Bibel). 

JAKOBUS DER UNGLÄUBIGE 

Was können wir außerdem noch über Jakobus und sein Leben aus den Evangelien erfahren? Markus und Matthäus schrieben nieder, dass er einer von mehreren Kindern Marias und Josefs war, die nach der Geburt Jesu geboren wurden. Markus berichtet zudem von einem Vorfall im Wirken Jesu, als seine Mitbürger ihn als „bloßen Einheimischen“ zu diskreditieren suchten: „Ist er nicht der Zimmermann, Marias Sohn, und der Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon? Sind nicht auch seine Schwestern hier bei uns? Und sie ärgerten sich an ihm“ (Markus 6, 3; siehe auch Matthäus 13, 55-56; Zitate immer aus der Lutherbibel, wenn nicht anders angeführt).

Es gab sogar eine Zeit, in der sich Jakobus und der Rest der Familie gegen Jesu Wirken und Lehren stellten. Einmal fürchteten sie sogar, er wäre verrückt geworden (Markus 3, 21). Johannes berichtet ebenfalls: „... nicht einmal seine Brüder schenkten ihm Glauben“ (Johannes 7, 5; Gute Nachricht Bibel).

Am Beginn der biblischen Apostelgeschichte lesen wir jedoch, dass Jakobus inzwischen ein Jünger geworden war. Obwohl er der Bruder Jesu war, konnte er aber nach Judas’ Tod nicht die dadurch entstandene Lücke füllen, denn die verbliebenen elf Apostel mussten einen neuen Zeugen der Auferstehung Jesu nach genau vorgegebenen Kriterien wählen: „So muss nun einer von diesen Männern, die bei uns gewesen sind die ganze Zeit über, als der Herr Jesus unter uns ein- und ausgegangen ist – von der Taufe des Johannes an bis zu dem Tag, an dem er von uns genommen wurde –, mit uns Zeuge seiner Auferstehung werden“ (Apostelgeschichte 1, 21). Jakobus wurde jedoch bald zum Leiter der Gemeinde in Jerusalem ernannt, wie auch der Umstand zeigt, dass Paulus sich mit ihm und dem Apostel Petrus (auch Kephas genannt) traf, als er nach seiner Bekehrung als Erstes nach Jerusalem reiste (Galater 1, 18-19). Paulus traf Jakobus ein weiteres Mal, als er von den Gemeinden außerhalb Judäas Hungerhilfe nach Jerusalem brachte (Apostelgeschichte 21, 18).

Die Tatsache, dass Jakobus als Leiter in Jerusalem fungierte, wird auch von außerbiblischen Quellen attestiert, wie von Hegesippus, einem Historiker des zweiten Jahrhunderts. Er schrieb, dass die Kirche nach Jakobus Tod einen anderen Verwandten Jesu, seinen Cousin Simon oder Simeon, zum Leiter machte – ein solches Vorgehen impliziert, dass Jakobus bis zu der Zeit diese Aufgabe wahrnahm. Nach Eusebius findet sich eine weitere Referenz in den (nun verlorenen) Schriften des Clement von Alexandrien (ca. 153-217 n.Chr.), der sagt, dass es Petrus und Johannes waren, die Jakobus für das Amt gewählt hatten (Hypotyposes 6). Der Kirchenvater Hieronymus (Eusebius Hieronymus) schreibt 492 n.Chr., dass Jakobus „die Kirche in Jerusalem 30 Jahre regierte, das ist bis ins 7. Jahr Neros“ (De viris illustribus, Kap. 2).

In dieser Funktion befand sich also Jakobus, als er höchstwahrscheinlich diesen Brief schrieb, der seinen Namen trägt.

JAKOBUS’ KRAFTAKT 

Der kurze „Brief des Jakobus“ ist ein moralisches, doktrinäres und literarisches Meisterwerk. Von manchen Seiten wurde allerdings angeführt, der Inhalt widerspräche den Schriften Paulus’ (Luther ging sogar so weit, den Brief wegen seiner klaren Stellung zum Gesetz als „Strohepistel“ zu bezeichnen). Trotzdem stellt die Betonung auf ein Leben nach „dem perfekten Gesetz“, „dem Gesetz der Freiheit“ und „dem königlichen Gesetz“ dieses Werk fest in die judaistische Tradition der sogenannten Urkirche. Eine eingehende, unvoreingenommene Untersuchung der zentralen Konzepte in den Lehren von Paulus und Jakobus offenbart die komplementäre Natur im Denken beider Männer. Der große Reformator Luther irrte in dieser Hinsicht.

Jakobus beginnt den Brief mit der Bezeugung seiner Unterordnung als „Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus“ und adressiert seine Botschaft an Menschen in einer weiten geografischen Ausdehnung: „... an die zwölf Stämme in der Zerstreuung. Gruß zuvor!“ (Jakobus 1, 1). Aufgrund seiner jüdischen Abstammung war sich Jakobus der Geschichte des alten Israel und dessen Herkunft von den zwölf Söhnen Jakobs bewusst. Da sich die Nachkommen aller zwölf Stämme, nicht nur die vom Stamm Juda, durch Gefangenschaft, Verfolgung und Migration zerstreut hatten, erklärt sich die Adressierung des Briefes. Jakobus schrieb an Kirchenmitglieder, Nachkommen dieser Stämme, die sich in der Diaspora befanden – im Gebiet der heutigen Mittelmeerregion und im Nahen Osten (siehe auch Apostelgeschichte 2, 9-11; 1. Petrus 1, 1; Johannes 7, 35).

Den Nachfolgern Jesu ist zu allen Zeiten eine Erfahrung gemeinsam: Sie sehen sich Glaubensprüfungen ausgesetzt, die allerdings einem großen Zweck dienen. Jakobus spricht dies schon am Anfang seines Briefes an: „Und wisst, dass euer Glaube, wenn er bewährt ist, Geduld wirkt“ (Jakobus 1, 3), was in der Folge vollkommene geistliche Reife in Form von ewigem Leben bringt („die Krone des Lebens“, Vers 12). Hier setzt er schwierige Umstände in den Kontext einer geistlichen Entwicklung. Und wenn uns diese Prüfungen bewusst machen, dass wir zu ihrer Bewältigung Hilfe benötigen, sollten wir uns im Vertrauen auf seine Hilfe an Gott wenden. Ein Zweifler erreicht nichts; ruhiges Vertrauen auf Gottes Führung und Hilfe ist der Schlüssel (Vers 5-8). Reichtum bietet wenig Schutz gegen solche Probleme – schlussendlich wird auch der Reiche dahinwelken wie das Gras auf dem Felde (Vers 9-11).

Jeder soll stets bereit sein zu hören, aber sich Zeit lassen, bevor er redet, und noch mehr, bevor er zornig wird.“

Jakobus 1, 19; Gute Nachricht Bibel

Jakobus ermahnt uns ebenfalls, nicht dem Irrtum zu unterliegen, Schwierigkeiten, die wir aufgrund eigener Sünden auf uns bringen, Gott anzulasten (Vers 13-15). Gott gibt seinen Kindern gute Gaben mit auf den Lebensweg und ist nicht verantwortlich für die üblen Konsequenzen menschlichen Fehlverhaltens. Zum Glück ist er nicht wie die unvollkommene und unstete Menschheit, er ist der „Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis“. Deshalb können wir uns vorbehaltlos auf ihn verlassen, wenn wir das möchten. Er hat festgelegt, dass seinem Volk die Wahrheit schon in diesem Leben zugänglich sein soll, auf diese Weise werden sie „gleichsam die Erstgeborenen seiner neuen Schöpfung“ (Vers 17-18; Gute Nachricht Bibel).

Schon früh in diesem Brief betont Jakobus den rechten Lebensweg. Am Schluss des ersten Kapitels legt er dann den Ton für alles Folgende fest. Er zeigt den Kontrast zwischen den menschlichen Verhaltensweisen – wir sind langsam beim Hören, schnell beim Sprechen und schnell zornig – und Gottes Wegen. Menschlicher Zorn tut nicht, was recht ist vor Gott. Es ist das Wort Gottes, das uns den rechten Weg zeigt. Wissen ist allerdings nicht genug, schreibt er, wir müssen nach dem, was wir als richtig erkennen, auch handeln. Sonst sind wir wie jemand, der sich im Spiegel betrachtet und seine Fehler sieht und dann doch nichts dagegen unternimmt (Vers 23-24). Auf diese Weise, indem er versucht, den Begriff „Religion“ zu definieren, beschreibt Jakobus deren Kern als Freiheit mit Selbstbeherrschung und praktiziertem Befolgen des Gesetzes. Er erklärt auch: „Wenn jemand meint, Gott zu ehren, aber seine Zunge nicht im Zaum halten kann, ist seine ganze Gottesverehrung wertlos und er betrügt sich selbst. Gott, der Vater, wird auf die rechte Art geehrt, wenn jemand den Waisen und Witwen in ihrer Not beisteht und sich nicht an dem ungerechten Treiben dieser Welt beteiligt“ (Vers 26-27; Gute Nachricht Bibel). Das Thema „dem Glauben gemäß zu Leben“ wird im gesamten Brief immer wieder angesprochen.

Wenn jemand meint, er diene Gott, und zügelt nicht seine Zunge, sondern betrügt sein Herz, dessen Gottesdienst ist vergeblich.“ 

JAKOBUS 1, 26; Rev. Elberfelder-Übersetzung

PRAKTISCHE AUSWIRKUNGEN 

Das Gesetz Gottes befasst sich mit allen Prinzipien menschlichen Verhaltens, und Jakobus zeigt verschiedene Beispiele, wie Glauben zu einem veränderten, diesem Glauben gemäßen gesetzestreuen Verhalten führen sollte. So zeigt er zuerst auf, dass das Ansehen von Personen aufgrund ihres Reichtums oder Status in einem göttlichen Wertesystem keinen Platz hat (Jakobus 2, 1-9). Allzu oft seien es doch gerade die Reichen, die Arme ausplünderten und benachteiligten und den Namen Jesu nicht achteten.

Jakobus beschreibt in seinem Beispiel zwei Männer, die zu einem Treffen von Jesu Nachfolgern kommen. Einer davon ist gut gekleidet und wohlhabend, der andere erscheint in schäbiger Kleidung und ist arm. Dem Ersten wegen seines Wohlstandes und seiner Stellung mehr Achtung zu schenken als dem anderen (was die menschliche Natur normalerweise macht), wäre falsch, sagt Jakobus. Es wäre dem Armen gegenüber respektlos und eine zusätzliche Demütigung seiner Person. Parteilichkeit in diesem Sinne bedeutet das Brechen eines Teils von Gottes Gesetz, indem man den Nächsten nicht wie sich selbst liebt – dies ist eines der großen allgemeinen Prinzipien der Zehn Gebote (siehe Matthäus 22, 35-40). Das Brechen des Gesetzes ist Sünde und ein biblisches Konzept, dass das Gesetz als ein Ganzes (als Ausdruck der Liebe zu Gott und den Menschen) zu betrachten ist. Alle Gesetze zu halten und nur eines nicht, würde uns trotzdem schuldig sprechen, weil wir dem „Geist des Gesetzes“ zuwiderhandeln. Jakobus erläutert dies in einem Beispiel: zwar nicht die Ehe zu brechen, aber zu morden, ist als Übertretung (der Prinzipien) des gesamten Gesetze zu werten (Jakobus 2, 10-11). Man kann das Gesetz nicht aufteilen in wichtige und weniger wichtige Gebote. Wir müssen alle beachten und erkennen, dass uns Gott nach den Prinzipien seines Gesetzes beurteilen wird, die uns, wenn wir sie im Geist halten, vor der Strafe für die Sünde bewahren – vor dem ewigen Tod (Vers 12). Jakobus beendet diesen Abschnitt mit dem Hinweis, dass alle, die Barmherzigkeit, Liebe und Gerechtigkeit zeigen (in diesem Beispiel den Armen gegenüber), ebenfalls Barmherzigkeit erfahren werden, im eigenen Gericht.  

In einem zweiten Beispiel zeigt er die Notwendigkeit, dass Glauben durch Taten untermauert werden müsse, er bezieht dies hier auf die Bedürfnisse der Mitglieder der Gemeinde, die Mangel leiden. Es ist eine Form von Heuchelei, die Bitten anzuhören und Trost zu spenden, dass schon alles wieder gut werden wird, aber selbst nichts zu tun, keine praktische Hilfe zu leisten. Glauben muss durch entsprechende Werke bewiesen und somit gezeigt werden – ohne sie ist der Glaube so gut wie tot (Vers 14-17). Indem er sich auf Abraham bezieht, zeigt Jakobus, dass der Glauben des Patriarchen durch seine Werke untermauert und er deshalb ein „Freund Gottes“ genannt wurde (Vers 23). Glauben alleine ist unzureichend. 

Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand behauptet, Glauben zu besitzen, dabei aber keine Werke (aufzuweisen) hat? Vermag etwa der Glaube ihn zu retten? (...) So steht es auch mit dem Glauben: hat er keine Werke (aufzuweisen), so ist er an sich selbst (= für sich allein) tot. 

Jakobus 2, 14-17; Menge-Übersetzung

Ein drittes Beispiel über Glauben, der durch Taten untermauert wird, präsentiert Jakobus im dritten Kapitel seines Briefes in einer ausführlichen Diskussion über die Notwendigkeit, die Zunge (das Reden) unter Kontrolle zu bringen – eine Thematik, die er schon vorher angeschnitten hatte (Jakobus 1, 19. 26). Er beginnt mit der Erwähnung, dass Lehren gewissermaßen „eine gefährliche Aufgabe“ sei – da alle, die lehren, auch verantwortlich sind für das, was sie von sich geben und da jedem auch leicht etwas über die Lippen kommt, das nicht absolut richtig ist (Jakobus 3, 1-2). Allein aus diesem Grund sollte man nicht zu voreilig das Lehramt (in der Kirche) anstreben. Wir werden alle auch danach gerichtet werden, was wir geredet haben.

Die Schwierigkeit, die Zunge (ein kleines Glied) im Zaum zu halten, wird in Kontrast gesetzt zu Beispielen, die zeigen, wie leicht es andererseits ist, viel größere Objekte zu steuern. Man lenkt ein Pferd, indem man ihm einen Zaum ins Maul gibt, und steuert ein großes Schiff mit einem Ruder. Kleine Dinge können große unter Kontrolle halten, aber die Zunge (mit der wir reden), die sehr klein ist im Vergleich zum restlichen Körper, ist sehr schwer zu kontrollieren. Ihr Effekt gleicht einem Funken in einem trockenen Wald – sie wird mit einem Feuer verglichen, das die Natur in Flammen setzen kann. Anstatt Gutes hervorzubringen, verursacht die Zunge oft große Probleme und ist sehr schwer zu zähmen – wie eine Giftschlange ist sie ein „unruhiges Übel, voll tödlichen Gifts“ (Vers 8).

Das Paradoxe daran ist, so schreibt Jakobus, dass wir mit derselben Zunge Gott preisen und unsere Mitmenschen verfluchen, die nach seinem Bilde geschaffen wurden. Ein großes Unrecht. Eine Quelle bringt nicht gleichzeitig frisches Süßwasser und Salzwasser hervor – ein Feigenbaum trägt nicht Oliven, ein Weinstock keine Feigen, aus einer Salzlache schöpft man kein frisches Trinkwasser (Vers 11-12).

So ist auch die Zunge ein kleines Glied und richtet große Dinge an. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet’s an!“

Jakobus 3, 5; Luther-Biblel

Wie schaffen es dann Menschen, ihre Zunge zu zähmen? Diese Beherrschung erfordert eine besondere Art von Weisheit und muss täglich praktiziert werden (Vers 13). Nur durch eine Verbindung mit Gott, so Jakobus, können wir diese Weisheit erlangen und dadurch unsere nahezu unüberwindliche Neigung, die Zunge zu missbrauchen, bezwingen. Eifersucht und selbstsüchtige Ambitionen werden auch durch die Zunge zum Ausdruck gebracht, aber die Weisheit, die von oben kommt, bringt eine andere Einstellung zutage, diese „[ist] lauter, dann friedfertig, gütig, lässt sich etwas sagen, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch, ohne Heuchelei“ (Vers 17). Dies verhindert „Unordnung und lauter böse Dinge“ (Vers 16). Das Ergebnis eines friedfertigen, gerechten Verhaltens ist innerer Frieden (Vers 18).

Die Adressaten von Jakobus’ Brief lebten aber gerade in Auseinandersetzungen und Streit, und so konfrontiert er sie mit der Frage, woher solche Probleme wohl stammten (Jakobus 4, 1). Seine Antwort: Sie kommen aus dem Inneren, „aus dem Herzen“, das unzufrieden ist, weil es nicht bekommt, was es will – obwohl es zu oft möchte, was es nicht haben sollte. Um seinen Gelüsten nachzukommen, schreckt man auch nicht davor zurück, seine Mitmenschen zu ermorden und Krieg zu entfachen. Diese Vorgehensweise kann unmöglich Zufriedenheit schaffen, betont Jakobus. Und wenn sie Gott um etwas bitten, fügt er hinzu, erhalten sie es doch nicht, weil sie aus falschen Beweggründen heraus bitten oder um falsche Dinge. Wenn sie in ihrem Streben, ihre Gelüste zu befriedigen, den üblichen Weg der Welt einschlagen, dann werden sie unweigerlich zu Feinden Gottes, in ihrer Beziehung zu ihm vergleichbar mit Ehebrechern (Vers 4). Jakobus ermahnt sie, demütig zu werden, sich Gott unterzuordnen und dem Teufel zu widerstehen – mit anderen Worten: ihre Wege zu ändern (Vers 7-10). Eines der Probleme, die sie haben, ist Verleumdung, Verkehrtes über andere zu reden und einander zu richten. Jakobus meint, sie sollten lieber sich selbst richten und „Täter des Gesetzes“ werden (Vers 11-12).

Dies alles klingt ganz anders, als über alles einfach das „Mäntelchen der Gnade“ zu breiten – und so kann man gut verstehen, warum der Jakobusbrief bei manchen nicht beliebt ist.

Als Nächstes warnt Jakobus vor dem gedankenlosen Verfolgen materialistischer Ziele im Leben, als ob nichts schiefgehen könnte.  Es ist töricht, so zu tun, als ob man wisse, was das Morgen bringen wird. Das Leben selbst ist flüchtig wie eine Eintagsfliege. Wir sind von der Gnade Gottes und seinem Willen abhängig und sollten ihn in unseren Plänen nicht außer Acht lassen (Vers 13-15). Das Richtige zu erkennen und es doch nicht zu tun, ist auch Sünde, sagt Jakobus.

In ähnlicher Weise richtet sich Jakobus an die Reichen und ermahnt sie eindringlich, die Prioritäten nicht falsch zu setzen. Gold und Silber werden eines Tages, wenn die letzten Tage der Menschheit anbrechen, wertlos sein – dann wird auch alles Materielle nutzlos sein. Zu oft sind diese Güter zudem durch Ausbeutung der Arbeiter angehäuft worden, aber Betrug und Maßlosigkeit werden eines Tages ein Ende haben.

In einer solchen Welt müssen die Nachfolger von Jakobus’ älterem Bruder Geduld üben – bis zu seiner Rückkehr. Wie ein Landwirt, der warten muss, dass sein Getreide mit Regen versorgt wird und dann reifen kann, so müssen sie an ihrem Glauben festhalten und ihn leben, „bis zum Kommen des Herrn“ (Jakobus 5, 7-8). Die Zeit ist zu schade für kleinliches Murren und Beschwerden übereinander, worin Menschen so gerne verfallen. Wenn sie nach einem Modell für Geduld im Leiden suchen, dann sollten sie die Geschichte der Propheten betrachten. Wenn es um das Durchhalten in schwierigen Umständen geht, sollten sie Hiob betrachten und erkennen, dass Gott mitfühlend und voll Erbarmen ist (Vers 9-11). Ihr Verhalten sollte gerade und aufrichtig sein, ausgedrückt durch ehrliche Kommunikation: „Es sei aber euer Ja ein Ja und euer Nein ein Nein, damit ihr nicht dem Gericht verfallt“ (Vers 12).

ABSCHLIESSENDE GEDANKEN 

Jakobus’ Brief endet mit der wiederholten Betonung der Wichtigkeit von praktischer Ausübung des Glaubens. Wenn es jemanden unter den Gläubigen gibt, der leidet, sollten alle für ihn zu Gott beten. Wenn jemand glücklich ist, sollte er Gott dafür dankbar sein. Die Kranken sollten die Ältesten der Gemeinde rufen und um Gebet und Einsalbung bitten, sodass Gott sie heilen möge. Wenn die Ursache der Krankheit Sünde ist, wird diese vergeben werden; Gebet und das Bekennen der Sünden sind für die Heilung grundsätzlich notwendig. Die Gebete der Gerechten für andere sind höchst wirkungsvoll. Jakobus zitiert das Beispiel Elijas (1. Könige 17; 18), der betete, dass es nicht regnen möge. Seine Gebete waren so wirkungsvoll, dass Gott den Regen für dreieinhalb Jahre zurückhielt. Als die Zeit vorüber war, betete er, dass Regen kommen möge – und es geschah.  

Zum Schluss erklärt Jakobus, dass eines der wertvollsten Dinge, die man für sich und andere Nachfolger des Weges tun kann, sei, sie von einem Irrtum abzubringen. „Liebe Brüder, wenn jemand unter euch abirren würde von der Wahrheit und jemand bekehrte ihn, der soll wissen: wer den Sünder bekehrt hat von seinem Irrweg, der wird seine Seele vom Tode erretten und wird bedecken die Menge der Sünden“ (Vers 20).

Dieser Schluss des Briefes zeigt Jakobus’ Interesse an der Gemeinschaft der Gläubigen, deren Teil er nach dem Tod und der Auferstehung Jesu geworden war und die er auch als einer der Leiter betreute. Es ist ein früher und kraftvoller Brief eines Mannes, der sein Leben im Schatten von Jesus von Nazareth geführt hat.