Die Ehe – ein Auslaufmodell?

Interview mit David H. Olson, emerierter Professor für familienbezogene Sozialwissenschaft an der University of Minnesota und Präsident von Life Innovations. 

 

JM Wie würden Sie den Zustand der Institution Ehe im Amerika von heute beschreiben?

DO Ich bin der Auffassung, sie ist in Schwierigkeiten. Paare wünschen sich zwar eine gute Beziehung, wissen aber nicht, wie sie das anstellen sollen. Infolge der allgemeinen Akzeptanz nichtehelicher Gemeinschaften sagen immer mehr Leute: „Ich werde nicht heiraten“, oder „Ich warte noch mit dem Heiraten.“ Wenn sie bereits geschieden sind, heißt es oft: „Vielleicht werde ich nie wieder heiraten“. Menschen möchten offenbar eine enge Beziehung, haben aber noch nicht herausgefunden, wie man den richtigen Partner wählt. Es fehlt an Einsatz und Fähigkeit, eine Beziehung zu entwickeln.

JM Amerika hat auf dieses Problem nicht das Monopol. Ist es anderswo im Allgemeinen auch so?

DO Je höher industrialisiert und „verwestlicht“ Gesellschaften werden, umso höher scheinen die Scheidungsraten zu klettern. Vor 20 Jahren gab es in Japan kaum Scheidungen, aber je mehr sie so wie wir geworden sind, desto mehr hat sich die Scheidungsrate erhöht. Vor fünf Jahren gab es fast keine Scheidungen in China, nun ist die Scheidungsrate und Anzahl der nichtehelichen Gemeinschaften in Peking drastisch angestiegen. Wir sehen also dieselben Trends auch dort, nachdem sie sich mehr dem kapitalistischen System zuwenden.

JM Was sind einige der sonstigen Faktoren, die solche massiven sozialen Veränderungen vorantreiben?

DO Nun, definitiv die Frauenbewegung. Ihr Interesse an Bildung und Unabhängigkeit und Macht hatte einen großen Einfluss, da es Zeiten gegeben hatte, als sie keine Wahl hatten. In einigen Fällen waren die Männer nicht allzu gewillt, das mitzumachen. Was passiert ist: Die Frauen wurden stärker und haben sich weiterentwickelt, aber die Ehe nicht - das Resultat ist dann eine Zunahme an Scheidungen.

JM Vermutlich waren die zwei größten Ereignisse des letzten Jahrhunderts die Weltkriege. Haben diese irgendeine Auswirkung auf den Zusammenbruch der Ehen gehabt?

DO Ja, ich denke, dass es die höchste Scheidungsrate nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat. Viele Frauen gingen zur Arbeit, und als ihre Ehemänner vom Krieg zurückkamen, hatten sie eine wackligere Beziehung, als sie sich das jemals vorgestellt hatten. Viele andere heirateten schnell und hofften, dass es funktionieren würde. Aber wie ich die Gesellschaft heute sehe, ist der wesentliche Grund, der die Menschen auseinander bringt, Stress und ein hektischer Lebensstil. Alles geht so schnell und es gibt so viel, was von jedem gefordert wird. Menschen müssen darum kämpfen, Zeit für sich alleine zu finden und ohne Unterbrechungen Zeit füreinander zu haben.

JM Meinen Sie, dass die Ehe eine von Gott eingesetzte Institution ist?

DO Wenn Sie in die Bibel schauen, beschreibt diese Adam und Eva als das erste Ehepaar. Interessanterweise sind sie ein Paar. Es sind nicht mehrere Männer und mehrere Frauen. Durch die ganze Bibel hindurch findet man Diskussionen über Ehepaare. Heute verbinden sich Menschen, weil sie zumindest eine andere Person möchten, der sie sich nahe und verbunden fühlen können. Es gibt etwas in dieser Paarbeziehung, was sich durch alle Zeiten hindurch erhalten hat.

JM Die große Mehrheit sieht heute kein Problem mehr darin, einfach zusammenzuleben. Sie propagieren die Ehe. Warum ist die Ehe so viel besser als einfach zusammenzuleben?

DO Nun, es ist interessant zu beobachten, dass sogar Menschen, die vorher zusammengelebt haben, das Gefühl haben, dass ihre Beziehung, nachdem sie geheiratet haben, anders ist. Vor 20 Jahren haben Paare gegen das Wertesystem ihrer Eltern und der Gesellschaft rebelliert. Was heute unglücklicherweise passiert, ist, dass das nichteheliche Zusammenleben zur Norm geworden ist. Man sieht es von Seiten der Eltern, der Kirche oder allgemein nicht als Makel, so sieht man keinen Grund, mit dem Zusammenleben zu warten. Zum Teil wird das sicher von sexuellen Interessen gesteuert, und unglücklicherweise sehen Paare heute keine Notwendigkeit mehr, in Bezug auf das sexuelle Leben zu warten. Das ist auch symbolisch dafür, dass man keine Verpflichtung mehr für die Ehe eingehen möchte. Das ganze Thema Promiskuität und nichteheliches Zusammenleben haben die Menschen sehr selbstsüchtig gemacht; der Wert und die Wichtigkeit einer Beziehung auf lange Zeit wird nicht mehr geschätzt, deshalb ist man auch nicht gewillt, irgendetwas dafür zu opfern.

JM Was hat dies für Auswirkung auf die Stabilität der Familie und die Entwicklung der Kinder?

DO Ich bin der Meinung, dass nichteheliche Beziehungen unstabil sind, auch wenn das Paar Kinder hat. Was der Einsatz für eine Ehe mit sich bringt, ist Stabilität und die Bereitschaft, einander in guten und schlechten Zeiten zu helfen. Das Problem mit nichtehelichen Beziehungen ist auch, dass einige schon mit verschiedenen Partnern zusammengelebt haben und sich sagen: „Wenn das nicht funktioniert, suche ich mir einfach anderswo etwas.“ Es ist eine Konsumentenmentalität: Wenn das nicht gut ist, gehe ich zum Nächsten. Es vermindert den Einsatz und hat einen bedrohlichen Einfluss auf die Kindererziehung. Kinder wollen und brauchen Stabilität. Sogar Jugendliche, die rebellieren, wollen einige Regeln und Richtlinien, an die sie sich halten können. Der Niedergang der Ehe wird begleitet von einer Zunahme an sozialen Problemen anderer Art.

JM Welche Auswirkungen auf die Gesellschaft wird dieses ziemlich drastische soziale Experiment der Offenheit in fünf bis zehn Jahren haben?

DO Es ist absolut sicher, dass Kinder mehr und mehr Probleme haben werden. Und immer mehr werden eine Ehe hinausschieben. Viele sagen: „Ich möchte keine Scheidung erleben, wie ich sie bei meinen Eltern oder Freunden der Eltern oder Verwandten erfahren habe.“ Sie wissen aber nicht, was sie tun sollen. Wir haben ihnen keine guten Vorbilder gegeben für eine gute, solide und glückliche Partnerschaft.

JM Gibt es eine ziemlich gut definierte Wegbeschreibung für eine starke, glückliche und stabile Beziehung?

Gibt es eine ziemlich gut definierte Wegbeschreibung für eine starke, glückliche und stabile Beziehung?“

John Meakin

DO Wir wissen, dass es für eine feste Ehe einige Voraussetzungen gibt - vier davon möchte ich als Schlüssel bezeichnen. Zwei davon kann man lernen und lehren und diese haben mit Kommunikation und Konfliktlösung zu tun. Die anderen zwei drehen sich um Dinge, die Menschen brauchen und möchten. Das eine ist Nähe und das Gefühl von Vertrauen, das andere ist das Wissen, wie man als Paar flexibel sein kann. Wenn Paare diese vier Dinge haben, werden sie es auch in dieser Gesellschaft schaffen, wenn nicht, werden sie ziemlich frustriert sein und in Scheidung enden.

JM Was würden Sie denen sagen, deren Ehe unglücklich ist?

DO Nun, die gute Nachricht ist, dass es eine Menge von Programmen gibt, die ihnen als Paar helfen können, aber sie müssen das gemeinsam angehen. Diese Programme müssen ihnen helfen, einander besser zu verstehen, aber auch einige gute Techniken für eine Beziehung vermitteln, sodass sie lernen, ihre Beziehung wieder aufzubauen. Vermutlich haben die meisten Paare in der Zeit vor ihrer Ehe gut angefangen - glücklich, optimistisch und idealistisch. Die Beziehung wird aber oft mehr und mehr zerstört, weil sie nicht die Fertigkeiten und Fähigkeiten haben, Dinge fortlaufend zu bewältigen.

JM Viele sagen das Ende der Ehe voraus. Teilen Sie diese Ansicht?

DO Es gibt ungeheuren Druck seitens der Massenmedien und der Gesellschaft im Allgemeinen. Ich hoffe, dass die Ehe fortbesteht und weiterhin gedeiht, aber ich bin nicht sehr optimistisch. Wir, im Besonderen die westliche Gesellschaft, sind zu sehr zu einer Konsumgesellschaft geworden. Wenn etwas nicht funktioniert, wird es nicht repariert, sondern ersetzt. Wenn heute etwas kaputtgeht, kann man es nirgendwo mehr reparieren lassen. Man wirft es einfach weg. Es ist für Menschen immer viel aufregender, eine neue Beziehung einzugehen als in einer älteren zu bleiben und daran zu arbeiten.

Wir, im Besonderen die westliche Gesellschaft, sind zu sehr zu einer Konsumgesellschaft geworden. Wenn etwas nicht funktioniert, wird es nicht repariert, sondern ersetzt.“

David H. Olson

JM Können Regierungen und Gesetze dem Trend ein Ende setzen?

DO Regierungen können meiner Meinung nach eine Rolle spielen, das Problem ist jedoch, dass sie zu wenig zu spät anbieten. Das Problem fällt dann normalerweise auf sie zurück. Seit Jahrzehnten sind zum Beispiel die Probleme von Scheidungen und die Auswirkungen auf die Menschen bekannt, es wurde aber nichts unternommen, um den Leuten zu helfen, stärkere Ehen zu haben, sondern man belohnte Menschen, die einen alternativen Lebensstil vorziehen. Alleinerziehende Eltern beispielsweise wurden belohnt, wenn sie mehr Kinder hatten - je mehr Kinder, desto mehr Sozialhilfe. Ein alternativer Lebensstil wurde belohnt, und doch fühlten sich die solcherweise Belohnten gestresst und weiter hilfsbedürftig. Man schuf auf vielfältige Weise eine vaterlose Gesellschaft, was zum Schaden für alle gereicht.

JM Wenn eine Gesellschaft einmal auf diesen Weg eingeschwenkt ist, kann man das zurückdrehen?

DO Ich denke, das ist sehr schwer, aber nicht unmöglich. Die Hoffnung ist, dass Leute erkennen, dass es Vorteile gibt, wenn man zusammenbleibt und an den Dingen arbeitet. Es ist sicher eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft, weil wir es so leicht machen, Dinge zu ändern und umgekehrt Dauerhaftigkeit und Dinge, die Stabilität haben, nicht belohnen.