Kinder - unser Vermächtnis für die Zukunft

Wie können Eltern so auf den Charakter ihrer Kinder einwirken, dass sie ein klares Bewusstsein von Richtig und Falsch entwickeln? 

Eines ist uns allen gewiss: Wir werden nicht immer da sein - eines Tages wird jeder von uns sterben. Was wird unser Vermächtnis sein, wenn das geschieht? Was werden wir der Nachwelt hinterlassen?

Ein großer Teil unseres Vermächtnisses werden unsere Kinder sein. Doch was für Menschen werden sie einmal sein?

Die moderne westliche Gesellschaft hat einen besorgniserregenden Niedergang der moralischen Orientierung und der geistigen Werte erlebt. Unsere Gesellschaft scheint zu glauben, sie bräuchte Gott nicht mehr und die Wissenschaft sei die oberste Instanz für alle wichtigen Lebensfragen. Die Kernfamilie ist weitgehend zerfallen, und die stabilisierende Wirkung der Großfamilie und enger Nachbarschaftsbeziehungen ist zurückgegangen. Das schiere Tempo des sozialen Wandels ist schwindelerregend.

Unsere „Ich-Gesellschaft“ wird zunehmend geprägt von Konkurrenzkampf, Materialismus und der Sucht nach egoistischen Vergnügungen. Stress in erheblichem Ausmaß charakterisiert sie und dieser äußert sich in vielfacher Weise und auf vielen Ebenen.

Wenn unser Lebensstil an Inhalt verloren hat, wenn der rasante Wandel der Zeit, in der wir leben, verwirrend ist, so hat dies nirgends nachhaltigere Folgen gehabe als in der Familie und der Art, in der wir unsere Kinder erziehen. Vorbei sind die Zeiten, als viele Familien sich bemühten, ihre Kinder zu moralischen, gottesfürchtigen Menschen zu erziehen, denen auch beigebracht wurde, dass es notwendig ist, Pflichten im Dienst an der Gemeinschaft zu erfüllen. Stattdessen gibt sich die Erziehung heute „am Kind orientiert“, wobei die meisten Eltern allerdings nur unklare Vorstellungen in Bezug auf ein erwünschtes Ergebnis haben. Kinder erhalten immer weniger Orientierung, wie sie sich verhalten sollten, und man lässt sie mehr oder minder heranwachsen, wie sie wollen. Sie bekommen nur unklare Begriffe davon mit, was Gut und Böse bedeutet; das einzig verbleibende Kriterium für Erfolg scheint materieller Wohlstand zu sein.

Wir alle haben in diesem Sinne eine Verpflichtung, unserem Gemeinwohl zu nützen und zu dienen, so gut wir können, und dazu gehört, wie wir als Eltern die nächste Generation vorbereiten.

Eine der wichtigsten Elternpflichten (zumindest für wertorientierte Menschen) ist, ihre Kinder zu moralischen Menschen zu erziehen. Wir alle haben in diesem Sinne eine Verpflichtung, unserem Gemeinwohl zu nützen und zu dienen, so gut wir können, und dazu gehört, wie wir als Eltern die nächste Generation vorbereiten. Schließlich wird ihr die Welt gehören, wenn wir nicht mehr da sind. Unsere Kinder sind die nächste Generation, und wir hinterlassen der Welt ein Vermächtnis - zum Guten oder Schlechten. Deshalb müssen wir die Qualität dieses Vermächtnisses sorgsam bedenken - welche Menschen formen wir durch unsere Erziehung, und welche Werte vermitteln wir ihnen?

Mehr als alles andere müssen Eltern selbst ein starkes Gespür für Werte und Überzeugungen zurückgewinnen und dies ihren Kindern weitergeben, zu deren Nutzen und zum Nutzen nachfolgender Generationen. Leider leben wir in einer Zeit, in der zu viel Verwirrung darüber herrscht, wie Eltern an diese Aufgabe herangehen sollten.

DIE STILLE REVOLUTION 

Die letzten 200 Jahre haben bemerkenswerte Entwicklungen in Technik und Philosophie mit sich gebracht. Dazwischen haben sich fast unbemerkt stille, aber folgenreiche Veränderungen in der öffentlichen Einstellung zur Familie, besonders zur Kindererziehung vollzogen - still in dem Sinn, dass die Veränderungen in Kultur und Gesellschaft so allmählich waren, dass sie meist nicht wahrgenommen wurden. Still auch deshalb, weil viele von uns es auch als notwendig erkannten, einige unserer althergebrachten Einstellungen zu verändern.

Es ist jedoch angebracht, dass wir ernsthaft hinterfragen, wie angemessen grundsätzlich die Veränderungen waren, die die Nachkriegsgeneration im Hinblick auf ihre Kindererziehung vollzogen hat. Zweifellos waren einige Entwicklungen notwendig und gut; doch der gesunde Menschenverstand sollte uns auch sagen, dass nicht jede Neuerung automatisch gut sein muss. Der Umgang mit Kindern hat sich in der westlichen Gesellschaft dramatisch gewandelt, doch erst in den letzten Jahren ist auf Grund von auftretenden Problemen Kritik an diesen Veränderungen aufgekommen. Die Medien haben uns einige besorgniserregende Tatsachen eindringlich vor Augen geführt: Zunehmende Gewalt in Schulen, erschreckend heftig aufflammender Rechtsradikalismus, in breiten Schichten fehlendes Unrechtsbewusstsein, Zunahme von amoralischem Verhalten von Teenagern, Jugend- und Kinderkriminalität - manchmal scheint die Liste endlos zu sein.

Ein Mann, der vom Strom der Veränderung nach dem Zweiten Weltkrieg mitgerissen wurde, war der Kinderarzt Benjamin Spock, Autor des Buches Common Sense Book of Baby and Child Care, das später einfach als Dr. Spockís Baby and Child Care bekannt wurde. Auf internationaler Ebene hat kein Buch mehr Einfluss auf die Kindererziehung gehabt, Spock war Amerikas beliebtester Kinderarzt.

Es ist zu bezweifeln, dass Spock die Veränderungen in der öffentlichen Einstellung zu Kindern und Kindererziehung ausgelöst hat, aber dass er gerade in dieser Zeit ein Elternhandbuch herausbrachte, das eine stille Revolution in der Kindererziehung predigte, war sicher Öl auf das Feuer. Viele der Ideale, die er lehrte, sind zum Allgemeingut der westlichen Kultur geworden und werden heute generell für selbstverständlich gehalten. „Vertraut auf Euch selbst“, wie er den Eltern riet, ist zum Schlagwort einer modernen Generation geworden. Im Hinblick auf die starren und harten Erziehungsmethoden früherer Zeiten ist dieser Rat nicht vollständig verkehrt. Und doch ist es unklug, das Kind mit dem Bade auszuschütten, wie es viele Eltern offenbar taten. Absolut nicht alle Ideale früherer Generationen mussten samt und sonders verworfen werden.

Ehe Benjamin Spock sein Buch herausbrachte, hatte man meist jungen Eltern [in den Vereinigten Staaten] geraten, sich an Erziehungsfachleute um Rat zu wenden. Dem elterlichen Instinkt sei nicht zu trauen, nur ein strenges, reglementiertes Vorgehen, das die Experten festlegten, gewährleiste eine wirksame Kindererziehung. Spocks Alternative einer am Kind orientierten Erziehung, bei der die Eltern ihrem eigenen Gespür dafür vertrauten, was für ihr Kind richtig und falsch war, sprach viele Eltern an, die selbst schon begonnen hatten, die etablierten Praktiken zu hinterfragen.

Im und nach dem Zweiten Weltkrieg wechselten [speziell in den USA und England] viele Frauen gezwungenermaßen vom Hausfrauendasein in die Berufswelt, und die etablierte Rollenverteilung zwischen Mann und Frau begann sich nach und nach zu wandeln. Als Folge des Krieges sowie eines sich verstärkenden evolutionären und naturwissenschaftlichen Denkens verloren traditionelle religiöse Überzeugungen und Praktiken mehr und mehr an Bedeutung. Zusätzlich hatte sich das Tempo des Lebens dramatisch beschleunigt. Unweigerlich begann sich auch die Einstellung zu Kindern und Erziehung zu verändern. Die Menschen ersehnten sich nach dem Krieg einen Neuanfang und wollten ihre Familien in einer neuen Ära des Wohlstands großziehen. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war der offensichtliche Wandel der Erziehungspraktiken besonders bemerkbar, weil [besonders in den USA] ein anhaltender Babyboom einsetzte.

ZU SCHNELL, ZU FRÜH 

Zwischen 1980 und 1990 versuchten viele Kinderpsychologen und Experten für Kindesentwicklung warnend darauf aufmerksam zu machen, dass sich etwas Wichtiges vor unseren Augen vollzog: Die Kinder wurden zu schnell erwachsen. Ein solcher Experte war David Elkind, Professor für Kindheitsforschung an der Tufts University und Autor des Buches The Hurried Child. Darin dokumentierte er eine besorgniserregende Entwicklung der Generation der 1960er. Er wies nach, dass Eltern, Schulen und Medien die Kinder zwangen, zu schnell und zu früh erwachsen zu werden. Er fand, ihnen entgingen einige sehr wichtige Entwicklungsphasen. Dies sind die jungen Menschen, die heute ihr Studium abschließen, einflussreiche Positionen innerhalb des „Systems“ der Gesellschaft einnehmen und unsere Gesellschaft mitgestalten. Die Frage muss gestellt werden: Haben sie wichtige Phasen in ihrer Kindheit verpasst, und hat dies zu jungen Erwachsenen mit Defiziten geführt?

Ein neueres Buch, The Sibling Society [ Die Geschwistergesellschaft] von Robert Bly (Vintage Books, 1996) argumentiert, dass Kinder ohne Kindheit nicht wirklich erwachsen werden, sondern in einer halb jugendlichen, halb erwachsenen Mentalität steckenbleiben. In seiner Einleitung erklärt Bly, was er mit „Geschwistergesellschaft“ meint: „Es ist die schlimmste aller Zeiten; es ist die beste aller Zeiten“, beginnt er. „So fühlen wir uns, während wir von der nun diskreditierten väterlichen Gesellschaft zu einer Gesellschaft navigieren, in der der Impuls freie Bahn hat. Die Leute machen sich nicht die Mühe, erwachsen zu werden, und wir sind alle wie Fische, die in einem Aquarium voller Halberwachsener schwimmen.“ Und weiter: „Amerikaner, die 20 Jahre alt sind, sehen heute in der Tschechischen Republik, Griechenland, China, Frankreich, Brasilien, Deutschland und Russland junge Menschen, die aussehen wie sie, die gleichen Jeans tragen, die gleiche Musik hören, eine Universalsprache sprechen, die der Umgang mit dem Computer erfordert. Manchmal fühlen sie sich Altersgenossen, die weit entfernt sind, näher als den Familienmitgliedern im angrenzenden Zimmer.“

In dieser Geschwistergesellschaft, bemerkt Bly, „regredieren Erwachsene zur Jugendlichkeit, und Jugendliche, die dies sehen, haben keine Lust, erwachsen zu werden. . . . Vielleicht ein Drittel unserer Gesellschaft hat diese neuen Geschwistereigenschaften entwickelt. . . . In einer Geschwistergesellschaft ist es schwer, zu wissen, wie man mit seinen Kindern umgehen soll, welche Werte man versuchen sollte, ihnen zu vermitteln, wofür man einstehen, was man mitmachen soll; es ist besonders schwer, zu wissen, wo (in welcher ‚Welt‘) die eigenen Kinder sind.“

Manche Leute sind sicher, zu wissen, in welcher „Welt“ sich ihre Kinder aufhalten, obwohl andere bezweifeln würden, dass Kinder dort sein sollten. Die Londoner Sunday Times vom 1. November 1998 berichtete: „Laut Kay Hymowitz, Autorin eines Buches über Teenager, . . . verbringen vielbeschäftigte Eltern weniger Zeit mit ihren Kindern - und so werden Fernsehen, Zeitschriften und Schulkameraden zu wichtigeren Einflüssen im Leben der Kinder. ‚Es ist ein sehr beunruhigender Trend‘ [meint Frau Hymowitz]. ‚Die Abwesenheit der Eltern, der Markt und die Gleichaltrigen bilden einen Teufelskreis, der die Entwicklung von Kindern beeinträchtigt.‘“

WAS ERWARTEN SIE? 

Diese Beeinträchtigung der Entwicklung, kombiniert mit der Unsicherheit der Eltern, ist das Kernproblem der heutigen Kindererziehung. Ob die Kinder nun gezwungen wurden, zu schnell erwachsen zu werden, oder nicht erwachsen werden wollen - eigentlich geht es um unsere Erwartungen, was denn unsere Kinder werden sollten. Wenn wir keine klare Vision von dem haben, was die nächste Generation sein soll, wie sollen wir sie dann so formen, dass sie die nächsten verantwortlichen Bewahrer der Gesellschaft werden? Wir leben in einer Zeit, in der das Wort formen schon ein Reizwort für manche ist, die jede Notwendigkeit von Steuerung in der Entwicklung von Kindern ablehnen.

Frau Hymowitz ist Mitglied am Manhattan Institute (einer Denkfabrik in New York) und Autorin des Buches Ready or Not: Why Treating Children as Small Adults Endangers Their Future--and Ours (Free Press, 1999); sie vertritt die Ansicht, dass sich diese Ideen der „Kinderbefreiung“, als sie Allgemeingut wurden, zu einer Philosophie verhärteten, die sie Kulturfeindlichkeit nennt. „Die Kulturfeindlichkeit“, schreibt sie in der Einleitung ihres Buches, „ist die herrschende Ideologie der Fachleute für Kindesentwicklung, und sie hat Gerichte, Schulen, Elternzeitschriften, Hollywood und unsere Küchen und Wohnzimmer infiltriert.“

Kulturfeindlichkeit, schreibt der freie Kolumnist John Leo, ist letztlich Ausdruck einer Vorstellung, Kinder sollten sich allein entwickeln. In seiner Kolumne „On Society“ [über die Gesellschaft] in U.S. News & World Report vom 1. November 1999 bemerkt er, dies erinnere ihn an „die Reihe juristischer Artikel, die Hillary Rodham in der Mitte der 1970er-Jahre veröffentlichte. Sie schlug Rechte für Kinder vor, die sie gegen ihre Eltern durchsetzen könnten - einschließlich ‚Entscheidungen über Mutterschaft und Abtreibung, Ausbildung, Schönheitsoperationen, die Behandlung von Geschlechtskrankheiten und Berufstätigkeit.‘“

War es das, was Benjamin Spock wollte, als er eine freundlichere, sanftere Kindererziehung empfahl? Die Eltern von heute wurden selbst unter dem Einfluss der Veränderungen nach dem Krieg erzogen. Dr. Spock und andere Kinderärzte mögen die besten Absichten gehabt haben, aber sie haben dazu beigetragen, uns dahin zu bringen, wo wir heute sind, zu der verbreiteten Ansicht, Eltern und Schulen sollten Anregung und Ermutigung geben, sich ansonsten aber weitgehend heraushalten. Leo hat diese Auffassung sehr präzise zusammengefasst: „Kinder soll man nicht erziehen, sondern einfach wachsen lassen.“ Die Folge ist natürlich, daß die Eltern von heute die Unsicherheit reflektieren, die von einer Gesellschaft produziert wird, die fundamentale kulturelle Veränderungen durchmacht; sie sind der Meinung, dass es in Sachen Kindererziehung noch keine klare Meinung gibt.

Die Folge ist natürlich, daß die Eltern von heute die Unsicherheit reflektieren, die von einer Gesellschaft produziert wird, die fundamentale kulturelle Veränderungen durchmacht; sie sind der Meinung, dass es in Sachen Kindererziehung noch keine klare Meinung gibt.

Ist jedoch ein Umfeld der absoluten Selbstbestimmung für Kinder so förderlich, wie es oberflächlich scheinen könnte? Es klingt wie etwas Gutes für den rationalen Verstand, und dies ist natürlich der Grund, warum so viele Eltern dies akzeptieren, selbst wenn sie persönlich noch Vorbehalte haben.

Viele sind sich einig, dass die Methoden von früher falsch waren und dass wir das, was zu Fehlern führte, aufgeben müssen. Zahlreiche Erziehungsexperten haben die frühere Autoritätsstruktur der Familie und der Institutionen, die einen Einfluss auf die Entwicklung von Kindern ausüben - wie Schulen und Kirchen - als problematisch identifiziert. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass solche Art Autorität demontiert werden muss, was zunächst verständlich klingen mag. Aber gibt es da nicht noch mehr zu bedenken?

HAMANISTISCHES SELBSTVERTRAUEN 

Im Herbst 1999 veröffentlichte Paul Kurtz, Chefredakteur der Zeitschrift Free Inquiry und Vorsitzender des Council for Secular Humanism, eine aktualisierte Version des „Humanistischen Manifests“ für das Jahr 2000. In der Präambel bringt er eine Wahrheit zum Ausdruck, über die alle Eltern lange und gründlich nachdenken müssen: „Humanismus ist eine ethische, wissenschaftliche und philosophische Sichtweise, die die Welt verändert hat. Seine Tradition geht auf die Philosophen und Dichter des antiken Griechenland und Rom, das konfuzianische China und die Carvaka-Bewegung im klassischen Indien zurück. Humanistische Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler und Denker haben seit mehr als einem halben Jahrtausend das Zeitalter der Moderne geformt. Humanismus und Modernismus schienen oft sogar synomym; denn humanistische Gedanken und Werte sind Ausdruck eines erneuerten Vertrauens in die Kraft des Menschen, seine Probleme selbst zu lösen und unentdecktes Land zu erobern“ (Free Inquiry, Herbst 1999, S. 4; Hervorhebung von uns).

Die Liste der Unterzeichner dieses Manifests ist eindrucksvoll. Doch schauen wir uns einige Dinge, die der Humanismus für sich in Anspruch nimmt, noch einmal an. Er hat „die Welt verändert“, „das Zeitalter der Moderne geformt“, er baut auf „die Kraft des Menschen, seine Probleme selbst zu lösen und unentdecktes Land zu erobern“. Dies klingt sehr vertraut, wenn man an die Veränderungen denkt, die es in den letzten Jahren in der Kindererziehung gegeben hat. Und natürlich ist das kein Zufall. Diese Einstellung ist heute in weiten Teilen der Welt der Kern des Bildungssystems und hat viel dazu beigetragen, die Rolle vernünftiger Autorität zu reduzieren, die als Hindernis für die Verwirklichung der menschlichen Werte von Freiheit und Glück gesehen wird.

Kurtz schreibt weiter: „Viele der alten Gedanken und Traditionen, die die Menschheit ererbt hat, sind für heutige Realitäten und künftige Chancen nicht mehr relevant.“ Eben deshalb sind Eltern verwirrt, was ihre Verantwortung in der Kindererziehung betrifft. Spock und seine Erziehungsmethode war auch ein Produkt der „ethischen, wissenschaftlichen und philosophischen Sichtweise, die die Welt verändert hat“. Ja, er sah die Notwendigkeit eines freundlicheren, liebevolleren Umgangs mit Kindern, aber seine Lösung war weitgehend von Freudscher Psychologie durchsetzt, und Sigmund Freud gehörte eindeutig zur humanistischen Bewegung, die die Moderne geformt hat.

Spocks Biograph Thomas Maier versucht, den Einfluss zusammenzufassen, den Spock auf die Kindererziehung in aller Welt hatte. „Am Ansprechendsten für Spock und andere Bewunderer Freuds war eine altruistische, ethische Seite der Psychoanalyse“, schreibt Maier, „eine moralische Grundlage, deren Ursprung die menschliche Erfahrung statt einer Gottheit war und die den Menschen Mut machte, selbst über ihr Schicksal zu entscheiden und für eine bessere Gesellschaft zu arbeiten“ (Dr. Spock: An American Life, Harcourt Brace, New York, 1998, p. 210). „Dr. Spock wurde ein nationaler pater familias“, stellt Maier fest, „dessen Weisheit seinen eigenen Geboten entsprang“ (S. 202).

ZURÜCK ZU DEN WURZELN 

Es gibt noch etwas Weiteres zu bedenken. Das viktorianische Denken war tatsächlich in vielerlei Hinsicht repressiv und musste sich ändern, besonders was die Rolle von Kindern betraf. Richtige Kindererziehung braucht keine so starre, lieblose und extreme Haltung. Was sollte nun die richtige Rolle der Eltern sein? Wie können Eltern eine Vorstellung davon bekommen, wie ihr Kind sein sollte?

In den USA ist nach einer Reihe von Gewalttaten und Schießereien in Schulen eine neue Bewegung entstanden, die die Rückkehr zu den religiösen Wurzeln fordert: „Die Zehn Gebote müssen wieder ins Klassenzimmer.“ Doch ist das die Lösung? Wird sich das Verhalten der Schüler ändern, wenn die Zehn Gebote an der Wand hängen? Wenn es doch nur so einfach wäre!

Unsere Lehrer haben manchmal damit zu kämpfen, unseren Kindern auch nur die Grundbegriffe der Bildung zu vermitteln. Ein erschreckend hoher Prozentsatz der jungen Menschen [speziell in den USA] verlässt das Schulsystem, ohne richtig lesen zu können, ganz zu schweigen von richtigem Schreiben und Rechnen. Wie in aller Welt können wir von diesen Lehrern verlangen, den multikulturellen Massen, die an ihren Tafeln vorbeiziehen, eine religiöse Bildung zu vermitteln? Nicht dass es an sich eine schlechte Idee wäre, die Zehn Gebote im Klassenzimmer zu haben, doch wenn ein autoritäreres religiöses Klima die Lösung ist, warum hat es dann nicht schon früher funktioniert, als die jüdisch-christliche Ethik noch in den Klassenzimmern vorherrschend war?

Die grundlegende Antwort für die gesunde Entwicklung und Erziehung von Kindern ist mit Sicherheit bei der gegenwärtigen Generation der Eltern zu suchen - nicht bei den Kindern oder Lehrern, den Behörden oder dem Gemeinwesen. Die Antwort ist zweifach und doch nur eine. Wenn Eltern die richtigen Werte, nach denen sie ihre Kinder erziehen sollen, nicht kennen - und vorleben - , wie können ihre Kinder dann Werte verinnerlichen, die in der Zukunft für eine gesunde Gesellschaft sorgen werden? Solange wir die Verwirrung nicht überwinden und uns auf bestimmte Kernprinzipien einigen, auf denen Kindererziehung aufbauen muss, wird der gegenwärtige Zustand der Orientierungslosigkeit anhalten, und die schlimmen Folgen werden unvermindert auftreten.

Ideen haben Folgen. Humanistische Vorstellungen über Religion, über die Familie und Kindererziehung, dies alles beeinflusst die kulturellen Werte, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Wir müssen innehalten und die humanistischen Vorstellungen dieser gegenwärtigen Generation sorgfältig abwägen, ehe wir einfach annehmen, dass diese Standpunkte geeignet sind, um eine neue Generation zu formen.

Kinder beginnen ihr Leben mit einem bemerkenswerten genetischen Erbe. Doch schon bald wird ihr Leben von einer Vielzahl anderer Faktoren geformt, nicht zuletzt von der Macht der Kultur, in die sie hineingeboren werden. Kulturelle Einflüsse sind sehr stark und wirken von vielen Seiten auf das sich entwickelnde Denken eines Kindes ein. Man kann diese Einflüsse nicht verhindern. Eltern sollten aber wachsam sein und diesen Einflüssen eine klare eigene Überzeugung von Gut und Böse entgegensetzen. Eltern müssen entscheiden, welcher Einfluss für ihre Kinder gut oder schlecht ist. Wenn sie ihre Kinder ohne Führung in einem Meer unterschiedlicher Gedanken treiben lassen, sind die Chancen gering, dass junge Erwachsene mit einem funktionierenden Wertesystem aus ihnen werden.

RICHTIGER CHARAKTER 

Die Früchte der heutigen Erziehungsmethoden deuten darauf hin, dass wir in die falsche Richtung gegangen sind. Die Frage ist, welche Richtung die richtige ist. Die Lösung hängt davon ab, welche Art Charakter wir bei unseren Kindern entwickelt sehen wollen. Als eine Alternative zu den humanistischen Vorstellungen müssen wir uns einige Ratschläge neu vor Augen führen, die im Buch der Bücher zu finden sind - der Bibel. Ihr Rat kommt vom Schöpfer des Lebens selbst, und sie lehrt, dass Gott der Urheber echten Charakters ist.

Die Früchte der heutigen Erziehungsmethoden deuten darauf hin, dass wir in die falsche Richtung gegangen sind.

Der Rat der Bibel in Bezug auf Kindererziehung ist für alle Zeiten eine Leitschnur. Leider haben Eltern diesen Rat allzu oft missverstanden oder waren zu einseitig und kurzsichtig, um ihn richtig umzusetzen. Das Gleiche muss man von religiösen Obrigkeiten durch die Jahrhunderte sagen. Gewiss trifft es für Spocks eigene Erziehung zu, gegen die er in seinem Buch so stark rebellierte. Ehe Eltern ihren Kindern biblische Maßstäbe aufzwingen, täten sie gut daran, diese Maßstäbe wirklich in ihrem eigenen Leben zu praktizieren. Denn das persönliche Beispiel spricht lauter als alles Reden.

Im Lichte der Probleme, die der moderne Weg der Kindererziehung geschaffen hat, scheint es notwendig, unsere Richtung noch einmal zu überdenken. Nach so vielen Fehlversuchen in dieser Hinsicht - sollten wir uns nicht endlich entscheiden, Gott und seinen in der Bibel offenbarten Weg statt unvollkommene menschliche (humanistische) Vorstellungen als Wegweiser unseres Lebens und unserer Familien in den Mittelpunkt zu stellen? Gott ist der Urheber von Ehe und Familie. Wer könnte besser als er Rat geben? Er definiert die geistlichen Anleitungen, durch die diese Institutionen effektiv funktionieren - wir müssen lernen, diese Hilfen richtig anzuwenden. Wenn man diesem Weg folgt, wird als allererstes das Leben der Eltern verwandelt werden; und das Leben der Kinder wird eine neue Orientierung und Stabilität bekommen. Die Folgen für Familie und Gesellschaft werden tiefgreifend und weitreichend sein.

Die Bibel sagt voraus, dass eine Zeit kommen wird, in der die Familien es bitter nötig haben werden, wieder aufgebaut zu werden. Sie verheißt, dass das Herz der Väter zu den Söhnen und das Herz der Söhne zu den Vätern bekehrt wird, „auf daß ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann schlage“ (Maleachi 3, 24). Man muss sich nicht sehr intensiv umschauen, um festzustellen, dass unsere gegenwärtige Generation eine solche Neuorientierung dringend benötigt.

Wenn wir eine dauerhafte Verbesserung auf dem Gebiet der Kindererziehung erreichen wollen, müssen wir damit beginnen, dafür zu sorgen, dass innerhalb der Familie wieder Achtung vor Gott und seinem Weg gelebt wird. Die Neuorientierung muss bei den Eltern beginnen, die verwirrt und verunsichert sind, die keine klare Vorstellung von Richtig und Falsch, vom Sinn des Lebens mehr haben und biblisch fundierte Werte entdecken oder wiederentdecken müssen. Nur so können wir die Familie - die Grundlage jeder stabilen und erfolgreichen Gesellschaft - bewahren.

Kinder sind unser Vermächtnis für die Zukunft. Es ist höchste Zeit, dass wir ein klareres Bewusstsein von der Richtung entwickeln, in die unsere Gesellschaft geht - fort von Gott und seinem Plan für die Menschheit -, und dass wir lernen, was wir als Einzelne gegen diese Strömung tun können. Davon hängt die Zukunft unserer Kinder und das Wohlergehen unserer Gesellschaft ab.