Ist denn kein Gott in Israel?
Zu Beginn des Buches 2. Könige ist zu sehen, dass die geteilte Monarchie des alten Israel mit wenigen Ausnahmen dem Götzenkult verfallen ist.
Im ersten Teil des Buches 2. Könige finden sich Parallelen zwischen zwei Propheten sowie zwischen mehreren Monarchen in Israel und Juda. Elia und Elisa, einst Mentor und Gehilfe, werden Vorgänger und Nachfolger. Dem sündhaften König Ahab folgen im nördlichen Königreich Israel zunächst sein gottloser Sohn Ahasja und dann sein anderer Sohn Joram nach. Auch im Süden übt das gottlose Haus Ahabs seinen Einfluss aus. Trotz der Mühen und Warnungen der Propheten endet der stetige Niedergang des nördlichen Reichs letztlich damit, dass seine zehn Stämme in die Gefangenschaft nach Assyrien verschleppt werden (2. Könige 17).
Das durchgehende Thema in 2. Könige sind Gottes schwindender Einfluss in Israel und der anhaltende Götzendienst der Herrscher und des Volkes. Das Buch, das eine Zeitspanne von rund 300 Jahren abdeckt, beginnt mit einem Hinweis auf den Abfall der benachbarten Moabiter von Israel – ein Zeichen für die zunehmende Schwäche des nördlichen Königreichs.
In einer eingefügten Passage wird berichtet, dass Ahasjas Herrschaft infolge eines Unfalls endete (2. Könige 1, 2–6). Er stürzte aus einem Fenster seines Palasts in Samaria und sandte daraufhin seine Leute aus, um den heidnischen Gott von Ekron, Baal-Sebub, anzurufen und zu fragen, ob er sich erholen werde. Durch einen Engel erfuhr Elia davon und wurde angewiesen, Ahasjas Boten die Frage zu stellen, die in den Anfangskapiteln immer wieder laut wird: „Ist denn nun kein Gott in Israel?“ Elia sagte den Boten, der König werde an seinen Verletzungen sterben.
Als diese Ahasja die Worte des Propheten überbrachten, fragte dieser, ob die Botschaft von einem Mann käme, auf den die Beschreibung von Elias zutraf. Anschließend sandte der König einen Trupp von 50 Mann zu ihm und ließ den „Mann Gottes“ bitten, an den Hof zu kommen. Elia durchschaute das Ansinnen und rief ein Feuer auf sie herab. Da entsandte der König zwei weitere Male 50 Mann. Die Ersten von ihnen ereilte das gleiche Schicksal, aber Gott wies Elia an, mit dem letzten Trupp zum König zu gehen. Dort bestätigte er, dass Ahasja sterben musste, weil er den Gott von Ekron angerufen hatte. Wie andere vor ihm hatte der König Götzendienst betrieben und war Baal gefolgt: „Und er tat, was dem HERRN missfiel, und wandelte in den Wegen seines Vaters und seiner Mutter und in dem Wege Jerobeams, des Sohnes Nebats, der Israel sündigen machte, und diente dem Baal und betete ihn an und erzürnte den HERRN, den Gott Israels, wie sein Vater tat“ (1. Könige 22, 53–54). Bald darauf starb Ahasja, und weil er keinen Erben hatte, folgte ihm sein Bruder Joram auf den Thron (2. Könige 3, 1–3).
Als für Elia die Zeit gekommen war, seine Rolle als führender Prophet abzugeben und Elisa Platz zu machen (2. Könige 2, 1), trennte Gott die beiden, indem er Elia durch einen Sturm und einen feurigen Wagen entrückte. Dieses Ereignis wird oft so gedeutet, Gott habe den Propheten in den Himmel aufgenommen und ihm das ewige Leben geschenkt. Diese Vorstellung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch, nicht zuletzt, weil Elia mehrere Jahre später an Joram, den Sohn von Judas König Joschafat und Ehemann von Ahabs Tochter Atalja, einen Brief sandte, in dem er Jorams Sünden anprangerte: Sie seien genauso schlimm wie die seiner Schwiegerfamilie im nördlichen Königreich (s. 2. Chronik 21, 12–15). Außerdem baten Elias Jünger nach dem Verschwinden des Propheten um die Erlaubnis, nach ihm suchen zu dürfen – dies zeigt, dass sie seine Aufnahme in den Himmel nicht vermuteten oder erwarteten (2. Könige 2, 16–17).
Als Elia entrückt worden war, waren sein Mantel und das Zweifache seines Geistes auf Elisa übergegangen – beides Symbole für dessen neue Rolle als führender Prophet (Verse 9–10, 13). Und hier zeigt sich die erste von mehreren Parallelen zwischen den beiden Gottesmännern: Elisa nahm den Mantel und schlug ihn auf das Wasser des Jordan (Vers 14), wie Elia es zuvor getan hatte (Vers 8), und wie zuvor teilte sich das Wasser, sodass er das Flussbett durchqueren konnte.
„Elisa der Prophet ist ein ,Mann Gottes‘, der für das Volk Israel tätig ist. Seine einzigartige Berufung und Beziehung mit dem Propheten Elia ist die Vorbereitung für ein fruchtbares Wirken.“
Bei Jericho empfingen ihn die dortigen Prophetenjünger; sie erkannten, dass der Geist Elias auf Elisa ruhte (Vers 15). Die Bewohner der Stadt berichteten Elisa von der schlechten Qualität ihres Wassers. Da warf Elisa Salz in die Quelle und verkündete, dass Gott das Wasser gesund gemacht hatte (Verse 19–22).
Als er in Richtung Bethel weiterwanderte, kam ihm eine Horde Jungen entgegen, die ihn verhöhnten. Elisa begriff, dass Gott Respekt vor seinen Dienern fordert, und so rief er Gott an, sie zu bestrafen. Da kamen zwei Bären aus dem Wald und zerrissen die Spötter (Verse 23–24).
Könige, Propheten und Wunder
Als Joram im nördlichen Reich an die Macht kam, beschloss der König des Nachbarreichs Moab, Israel nicht länger Tribut zu zahlen (3, 4–5). Da verbündete sich der König von Israel mit den Königen von Juda und Edom und sie zogen gegen Moab. In der Wüste Edom ging ihnen das Wasser aus; ratlos fragte Joschafat von Juda, ob es nicht einen Propheten gebe, den man befragen könne. Als sie erfuhren, dass Elisa in der Nähe war, gingen die drei Könige zu ihm. So empört Elisa über den König von Israel auch war, ließ er sich doch aus Wertschätzung für Joschafat dazu bewegen, Gott um Hilfe in ihrer Not zu bitten. Durch ein Wunder war am nächsten Morgen Wasser da, obgleich man keine Regenwolke sah. Die Moabiter sahen die blutrote Spiegelung der frühen Morgensonne auf dem Wasser und meinten, die Verbündeten hätten sich gegenseitig getötet; doch sie wurden in die Flucht geschlagen und besiegt (Verse 6–27).
Kapitel 4 berichtet, dass die Witwe eines Prophetenjüngers Hilfe in einer finanziellen Notlage benötigte. Erneut bewirkte Elisa ein Wunder (4, 1–7): Mit dem Inhalt ihres einzigen Ölkrugs konnte sie so viele Gefäße füllen, dass sich schließlich kein leeres Gefäß mehr fand; das viele Öl konnte sie verkaufen und mit dem Erlös ihre Schulden begleichen. Dies erinnert daran, wie Elia der Witwe in Zarpat half: Ihr kleiner Vorrat an Mehl und Öl reichte aus, bis die Hungersnot dort vorüber war (1. Könige 17, 8–16). Als der Sohn jener Frau starb, bat Elia Gott, ihn wieder zum Leben zu erwecken (Verse 17–24). Eine Parallele hierzu ist Elisas Auferweckung des verstorbenen Sohnes einer Schunemiterin (2. Könige 4, 32–37).
Elisas Bestätigung als Prophet in der Tradition Elias setzte sich fort mit der Entgiftung eines Gemüseeintopfs (Verse 38–41), der Sättigung von 100 Männern mit nur 20 Broten (Verse 42–44), dem Axtkopf, der in den Jordan fiel und auf dem Wasser schwamm (6, 1–7) sowie der Heilung des aussätzigen syrischen Feldhauptmanns Naaman (5, 1–14). Gerade dieser Fremde erkannte, was so viele Israeliten nicht sahen. Nach seiner Heilung sagte er: „Siehe, nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel“ (Vers 15).
Die Realität, dass Gottes Diener von schützenden Geistwesen umgeben sind, wird durch ein Ereignis deutlich, das einen von Elisas Helfern betraf. Als die Syrer versuchten, den Propheten gefangen zu nehmen, kam der Helfer zu Elisa und fragte angstvoll: „O weh, mein Herr! Was sollen wir nun tun?“ Elisas Antwort entsprach seiner Erfahrung mit der Realität Gottes: „Fürchte dich nicht, denn derer sind mehr, die bei uns sind, als derer, die bei ihnen sind!“ (6, 15–16). Dann betete er, dass dem jungen Mann die Augen für ihre Beschützer geöffnet würden. „Und siehe, da war der Berg voll feuriger Rosse und Wagen um Elisa her“ (Vers 17). Die Syrer wurden vorübergehend mit Blindheit geschlagen und von Elisa nach Samaria geführt; dort wurden sie wieder sehend gemacht, bekamen zu essen und wurden dann freigelassen.
Was das Haus Ahab betraf, so wurden nicht alle Prophezeiungen vor seinem Tod erfüllt. Nach der von seiner Frau Isebel arrangierten Ermordung des Nabot, um dessen Weinberg in Ahabs Besitz zu bringen, war Elia mit einer Botschaft Gottes zu ihm gekommen. Gott hatte Ahab sagen lassen, dass er sterben werde; seine Blutlinie und sein Haus würden ausgelöscht werden und Isebel werde ein schmähliches Ende finden (1. Könige 21, 17–24). Doch angesichts der unmittelbaren, demütigen Reaktion des Königs hatte Gott die Strafe einige Jahre ausgesetzt. Drei Jahre später war Ahab in einer Schlacht gefallen. Nun, zu Elisas Zeit, kam das Ende für Ahabs Blutlinie und für Isebel. Elia wählte einen der jüngeren Propheten dazu aus, Israels nächsten König zu salben, und sandte ihn mit einer Botschaft zu Jehu, dem Befehlshaber von Jorams Heer: „So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel, das Volk des HERRN. Und du sollst das Haus Ahabs, deines Herrn, schlagen, dass ich das Blut meiner Knechte, der Propheten, und das Blut aller Knechte des HERRN räche, das die Hand Isebels vergossen hat“ (2. Könige 9, 6–7). Jehu berichtete seinen Kameraden, was geschehen war, und sicherte sich ihre Unterstützung; dann ging er zum König, der in einer Schlacht gegen die Syrer verwundet worden war. Joram erholte sich in Jesreel, wohin auch der König von Juda, Ahasja (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen früheren König von Israel), gekommen war, um ihn zu besuchen. Bedeutsamerweise trafen sie alle bei dem nahe gelegenen Weinberg des Nabot zusammen. Dort tötete Jehu den König mit einem einzigen Pfeil, woraufhin Ahasja floh, in Megiddo aber ebenfalls erschossen wurde (Verse 21–27).
Als Jehu in Jesreel ankam, zeigte sich Isebel an einem Fenster im Obergeschoss. Er befahl, sie herabzustürzen; das taten ihre Diener, und sie starb sofort. Später am gleichen Tag befahl Jehu, sie zu begraben, aber von ihrer Leiche war wenig übrig geblieben, nachdem die Hunde sie gefunden hatten. So erfüllte sich die Prophezeiung des Elia: „Auf dem Acker von Jesreel sollen die Hunde das Fleisch Isebels fressen“ (Vers 36).
Anschließend befahl Jehu die Hinrichtung von Ahabs 70 männlichen Nachkommen sowie seiner führenden Leute, Freunde und Priester. Auch 42 Brüder des Königs Ahasja von Juda, Ahabs noch verbliebene Verbündete in Samaria sowie alle Baal-Anbeter und ihre Priester ließ er töten und ihren Tempel schleifen (Kapitel 10). Doch obgleich er 28 Jahre lang herrschte, rottete er Jerobeams Götzenkult nicht aus und ließ seine goldenen Kälber intakt: „Aber doch hielt Jehu nicht das Gesetz des HERRN, des Gottes Israels, dass er darin wandelte von ganzem Herzen; denn er ließ nicht ab von den Sünden Jerobeams, der Israel sündigen gemacht hatte“ (Vers 31).
In jenen Jahren begann Syrien, Israel Land abzunehmen, darunter auch die Gebiete östlich des Jordan, die Gad, Ruben und Manasse gehörten (Verse 32–33). Doch wegen Jehus Bereitschaft, die Prophezeiungen gegen Ahab und Isebel zu erfüllen, ließ Gott seine Nachkommen über vier Generationen in Israel herrschen.
Die Königin von Juda
Nachdem Jehu Ahasja getötet hatte, ermordete dessen Mutter Atalja alle königlichen Erben in Juda außer Joasch, den seine Tante Joscheba im Tempel vor ihr versteckte. Atalja ergriff nun die Macht und herrschte sechs Jahre lang in Juda. Ihre Identität ist nicht ganz klar – laut 2. Könige 8, 26 war sie eine Tochter Omris, laut Vers 18 und 2. Chronik 21, 6 eine Tochter Ahabs – doch chronologisch ist es am wahrscheinlichsten, dass sie Omris Tochter und Ahabs Schwester war (für das hebräische Wort sind mehrere Übersetzungen möglich).
„In 2. Könige 8, 18 muss nicht von einem Textfehler ausgegangen werden. […] Die wahrscheinlichste Bedeutung des biblischen Ausdrucks ist, denn seine Frau stammte aus dem Hause Ahabs‘.“
Dass sie versucht hatte, in Juda eine ähnliche Monarchie zu begründen wie die des Ahab in Israel, ist eine einleuchtende Annahme. Ihr vorheriger Einfluss auf ihren Mann, König Joram von Juda, ist klar: Er „wandelte auf dem Wege der Könige von Israel, wie das Haus Ahab tat; denn Ahabs Tochter [Schwester] war seine Frau. Und er tat, was dem HERRN missfiel“ (2. Könige 8, 18). Mit ihrem Sohn Ahasja verhielt es sich ebenso: „Seine Mutter hieß Atalja, die Tochter Omris. Und auch er wandelte in den Wegen des Hauses Ahab; denn seine Mutter hielt ihn dazu an, gottlos zu sein. Darum tat er, was dem HERRN missfiel, wie das Haus Ahab; denn sie waren seine Ratgeber nach seines Vaters Tod, ihm zum Verderben“ (2. Chronik 22, 2–4). Der Einfluss von Ahabs Gottlosigkeit reichte offenbar weit – so weit, dass unter Atalja der Baal-Kult in Juda gefördert wurde (2. Chronik 24, 7).
Im siebten Jahr der Herrschaft Ataljas rief der Hohepriester Jojada (Joschebas Mann) Joasch zum König aus und ließ die Königin hinrichten (2. Könige 11, 10–16). Joasch erwies sich als ein guter König, der „tat, was recht war und dem HERRN wohlgefiel, solange ihn der Priester Jojada lehrte“ (12, 2). Zwar merzte Joasch den Götzenkult nicht vollständig aus, doch er sorgte dafür, dass der Tempel wiederhergestellt wurde. Doch aus Angst vor dem syrischen König Hasaël gab er diesem alles Gold aus dem Tempelschatz und dem Haus des Königs (Verse 17–18). Nach 40 Jahren auf dem Thron wurde Joasch von zwei Untergebenen erschlagen und sein Sohn Amazja zu seinem Nachfolger.
Im Norden war König Jehu während Joaschs langer Regierungszeit in Juda gestorben und sein Sohn Joahas war ihm auf den Thron gefolgt (13, 1). Obgleich Gott Israel gegen die Syrer beigestanden hatte, ließen die nördlichen Stämme nicht von Jerobeams Götzenkult ab. Nach 17 Jahren wurde Joasch König, nur um weitere 16 Jahre den Irrwegen seines Vaters zu folgen (Verse 10–11).
Während Joahas’ Regierungszeit in Israel wurde Elisa sterbenskrank. Als der König ihn besuchte, warnte ihn Elisa vor der Gefahr, die dem nördlichen Königreich vonseiten der Syrer drohte. Er wies den König an, einen Bogen zu nehmen und durch ein offenes Fenster einen Pfeil in Richtung Syrien zu schießen; dann sagte er ihm, er müsse so lange gegen die Syrer kämpfen, bis er sie besiegte. Als Nächstes sollte Joahas seine übrigen Pfeile nehmen und damit auf den Boden schlagen. Er tat dies dreimal, dann hielt er inne. Elisa war zornig, dass er nicht fünf- oder sechsmal geschlagen hatte, und sagte ihm, er werde Syrien dreimal besiegen, aber nicht völlig aufreiben. Dies erfüllte sich, als Joahas dreimal israelische Städte zurückeroberte (Vers 25).
Bald darauf starb Elisa. An seiner Grabstätte geschah später ein letztes Wunder: Ein Toter wurde wieder lebendig, als sein Körper die Gebeine des Propheten berührte (Verse 14–21).
Elia und Elisa haben ihre Laufbahn beendet; nach ihnen werden mehrere andere Propheten auftreten, während Israel und Juda mit wenigen Ausnahmen ihren Niedergang fortsetzen. In der nächsten Folge betreten mehrere „kleine Propheten“ die Bühne