Hiobs Trost

In Leidenszeiten Gott verstehen

Das Buch Hiob bietet Einsichten über menschliches Leid und eine wertvolle Erkenntnis, die es uns bringen kann.

Das Buch Hiob ist anders als alle anderen Bücher der Bibel. Angeblich ist über Hiob mehr Literatur geschrieben worden als über jeden anderen Bibeltext – mit Ausnahme der Psalmen. Hiob ist eines der biblischen Weisheitsbücher, die zusammen mit den Sprüchen und dem Buch Prediger zu dem Teil der Bibel zählen, der als „die Schriften“ bezeichnet wird.

Das Buch ist sehr alt, möglicherweise zur Zeit Abrahams (2000 Jahre vor Christus) entstanden, allerdings überliefert es nichts über Hiobs Herkunft. In einer knappen Vorstellung heißt es, er „war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse“, er käme aus dem sonst unbekannten Land Uz, und „er war reicher als alle, die im Osten wohnten“ (Hiob 1, 1, 3). Es sieht aus, als wären die üblichen persönlichen Details einer Erzählung bewusst beiseitegelassen worden, damit man gezwungen ist, sich auf das wichtige Hauptthema zu konzentrieren: Was sollen wir tun, wenn wir Leid erfahren, und wie sollen wir Gottes Rolle verstehen? Dies sind offenbar die entscheidenden Fragen, nicht das sattsam bekannte Rätsel, warum ein guter Gott zulässt, dass gute Menschen leiden. Diese Frage, die oft als die zentrale in diesem Buch verstanden wird, wird nicht direkt beantwortet. Doch das Herzstück des Buches – die Argumentation Hiobs und seiner vier Freunde sowie Gottes Antworten – zeigt mehrere Wahrheiten darüber auf, wie man leiden soll.

Der geduldige Hiob im ersten Kapitel ist ein wunderbares Beispiel der Ruhe und Gefasstheit in Zeiten äußerster Widrigkeiten; doch auch der ungeduldige, verbitterte und zornige Hiob der folgenden Kapitel lehrt uns, dass wir nur zur Gelassenheit zurückfinden, wenn wir im Leid Gottes Weisheit und Herrschaft anerkennen. In dem Buch geht es eigentlich mehr um Gottes Vorgehensweise und weniger um Hiob.

Hiob ist der Testfall für unsere Überlegungen, wie Gott die Welt lenkt und wie wir über Gott denken sollten, wenn das Leben verrücktspielt.“

John H. Walton und Tremper Longman III, How to Read Job

Die Gliederung des Buches kann als dreiteilig verstanden werden. Einer Auffassung zufolge besteht es aus einer Einleitung und einem Abschluss aus der Perspektive eines Erzählers (Kapitel 1 und 2 und 42, 7–17) sowie einem Hauptteil in Form poetischer Reden (Kapitel 3, 1–42, 6).

Eine andere Auffassung der Gliederung setzt ebenfalls drei Teile an. Im ersten wird Hiob auch hier als reiches Familienoberhaupt präsentiert; der Widersacher Satan behauptet aber, dass Hiob Gott nur gehorche, weil es zu seinem Vorteil sei: „Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat: was gilt’s, er wird dir ins Angesicht absagen!“ (1, 11), und daraufhin erlaubt Gott ihm, Hiobs Gottergebenheit und seinen Charakter auf die Probe zu stellen.

Gott erlaubt Satan, Hiob zugrunde zu richten, weil er weiß, dass Hiobs Rechtschaffenheit ihn stützen wird. Doch seine Folgerung, dass Hiob treu bleiben werde, auch wenn dieser durch den plötzlichen Verlust von Gesundheit, Vermögen, Familie, Status und Ansehen (1, 12–2, 10) am Boden zerstört sei, wird tief ausgelotet, als die innersten Gefühle des Leidenden allmählich an die Oberfläche kommen. Innerhalb von Tagen „tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag“ (3, 1).

Im zweiten Teil diskutieren Hiob und drei seiner Freunde – Elifas, Bildad und Zofar – 28 Kapitel lang die Ursache seiner tragischen Lage. Hiob erhebt dabei sogar Klage gegen Gott wegen ungerechter Bestrafung. Dieser Teil setzt sich fort bis Kapitel 31, 40, wo es heißt: „Die Worte Hiobs haben ein Ende“.

Der dritte Teil beginnt mit einem vierten Freund namens Elihu, der weiteren Rat anbietet (Kapitel 32–37). Hiob kommt nicht dazu, hierauf zu antworten, bis Gott selbst mit Fragen eingreift (38–41), die Hiob nicht beantworten kann. Dann erkennt Hiob in echter Demut endlich seinen Fehler und bekennt, dass Gott allein der Höchste ist, die Quelle aller Weisheit, und dass er dem Menschen keine Rechenschaft schuldet. Schließlich findet er seinen wahren „Platz“ im Leben. Daraufhin segnet Gott ihn mehr als zuvor und schenkt ihm ein längeres Leben (42, 10, 12–17).

Hiob empfängt die Unglücksnachrichten, Gustave Doré, Stich (1866)

Hiobs Dilemma

Im Kern lotet das Buch Hiob Vorstellungen von der moralischen Ordnung menschlichen Lebens aus. Dieses Thema wird auch in unserer Zeit noch diskutiert. Noch heute gibt es die Annahme, Wohlergehen sei die Folge guter Taten und Leid die Folge der Sünde. Diese Lehre wird als „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ oder „Gerechte-Welt-Glaube“ bezeichnet. Hiobs Freunde sind sicher, dass ihr bislang rechtschaffener und gesegneter Kamerad aufgrund einer Sünde leiden muss. Diese Überzeugung wenden sie unterschiedlich an, doch kommen sie alle zu dem Schluss, dass Hiob leide, weil entweder er oder seine Kinder in irgendeiner Form gesündigt hätten, und sei es auch auf triviale Weise oder heimlich. Doch wie Hiob aufzeigt, ist das nicht der Fall; er hat nichts falsch gemacht.

Die Schöpfungsordnung gibt den Standard für die moralische Ordnung des Universums vor – nämlich, dass man hinnehmen muss, dass Gott weiß, was er tut, und dass er keiner Verpflichtung unterliegt, sich in irgendeiner Weise zu rechtfertigen.“

David J. A. Clines, Word Biblical Commentary, Band 17: Job 1–20

Elihu, der vierte Freund, ist ein jüngerer Mann und zögert zunächst, vor den Älteren zu sprechen. Doch allmählich begreift er, dass Jugend nicht notwendigerweise daran hindert, etwas Weises zu sagen. Seine Ansicht ist, dass Gott Leid nicht infolge eines kalten, unbegreiflichen, mechanistischen Prozesses zulasse, sondern dass es ein Weg sei, auf dem Gott mit uns Kontakt aufnehme. Doch auch dieser Versuch, den Tun-Ergehen-Zusammenhang zu verfeinern, wird Hiobs Situation nicht ganz gerecht.

Das ganze Buch hindurch versucht Hiob, mit Argumenten aus dem persönlichen Dilemma herauszukommen, warum er leidet, obgleich er kein Unrecht getan hat.

Zuerst versucht er, die Verluste, die er erlitten hat, zu akzeptieren: „Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt!“ (1, 21).

Bald jedoch überwältigt ihn die Zerstörung der Ordnung, die er immer genossen hat, und er wünscht, er wäre nie geboren worden: „Warum bin ich nicht gestorben bei meiner Geburt? Warum bin ich nicht umgekommen, als ich aus dem Mutterleib kam?“ (3, 11). In wachsender Verzweiflung wünscht er sich, dass Gott ihn tötete: „Könnte meine Bitte doch geschehen […]! Dass mich doch Gott erschlagen wollte und seine Hand ausstreckte und mir den Lebensfaden abschnitte!“ (6, 8–9), denn es sei sinnlos, zu leben. „Ich vergehe! Ich leb’ ja nicht ewig“ (7, 16).

Bald beschließt er, dass ihm der Gott, dem er gehorcht, vor einem metaphorischen Gericht Rede und Antwort stehen müsse: „Doch ich wollte gern zu dem Allmächtigen reden und wollte rechten mit Gott. […] Siehe, auch wenn er mich umbringt, warte ich auf ihn; fürwahr, ich will meine Wege vor ihm verantworten.“ Dann spricht er Gott an: „Rufe, ich will dir antworten, oder ich will reden, dann antworte du mir! Wie groß ist meine Schuld und Sünde? Lass mich wissen meine Übertretung und Sünde“ (13, 3, 15, 22–23, Luther 2017).

Bei alledem verliert Hiob nicht seinen Glauben an den Plan, den Gott für die Menschen hat. Er weiß, dass er nach seinem Tod auferstehen und wieder leben wird, nachdem Gott auf der Erde erschienen ist: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen“ (19, 25–26).

Gott ist der Herr

Ehe Elihu, der bisher geschwiegen hat, seine Einschätzung der Lage vorträgt (Kapitel 32–37), betont Hiob in seiner letzten Rede noch einmal seine Unschuld (29–31). Doch dieses Mal besteht er darauf, eine entsprechende Erklärung zu unterschreiben: „O hätte ich einen, der mich anhört – hier meine Unterschrift! Der Allmächtige antworte mir! –, oder die Schrift, die mein Verkläger geschrieben!“ (31, 35). Wenn Hiob recht hat und sein Leid nicht die Folge von Sünde ist, dann ist nichts Wahres am Tun-Ergehen-Zusammenhang.

Doch nun kommt der Moment, in dem Gott sich einschaltet und antwortet (38–41). Ein Zusammenhang zwischen dem Tun eines Menschen und seinem Wohlergehen kommt in Gottes Reden nirgends vor. Er wird weder bejaht noch verneint. Stattdessen befragt Gott Hiob aus drei Perspektiven, die ihm helfen, seine Bedeutungslosigkeit für das große Ganze zu erkennen.

Gott fordert Hiob auf, noch einmal über das Mysterium und die Komplexität – und oft schiere Unergründlichkeit – der Welt nachzudenken, die Gott geschaffen hat.“

David J.A. Clines, Word Biblical Commentary, Band 17: Job 1–20

Zuerst fragt er Hiob nach seiner Mitwirkung an der Erschaffung der Erde: „Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir’s, wenn du so klug bist“ (38, 4). Natürlich hat dieser darauf keine Antwort. Dann geht Gott auf die geheimnisvollen Wechselwirkungen in der Natur ein: „Bist du zu den Quellen des Meeres gekommen und auf dem Grund der Tiefe gewandelt?“ „Welches ist der Weg dahin, wo das Licht sich teilt und der Ostwind hinfährt über die Erde?“ (38, 16, 24). Hiob soll außerdem über die Gesetze der Wildnis nachdenken: „Kannst du der Löwin ihren Raub zu jagen geben […]?“, „Kannst du [dem Wildstier] das Seil anknüpfen, um Furchen zu machen?“ und „Fliegt der Falke empor dank deiner Einsicht […]?“ (38, 39; 39, 10, 26).

Hiob kann nicht erklären, wie die physische Welt gelenkt wird oder was der Zweck eines großen, wilden Geschöpfes wie Behemot und Leviathan ist (40, 15; 41, 1; viele vermuten, dass damit das Nilpferd und vielleicht das Krokodil gemeint sind, mit Überzeichnung bestimmter Merkmale, um die Wirkung zu verstärken). Solche Dinge weiß nur Gott.

Ebenso wenig kann ein Mensch wissen, warum Gott manchmal ohne erkennbaren Grund Leid zulässt. Das Verständnis des Menschen für Gottes Schöpfung hat Grenzen. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang wird damit weder bejaht noch verneint; er wird in Hiobs Fall beiseitegelassen. Der Mensch muss erkennen, dass Gott Herr über seine Schöpfung ist, zu der die Menschheit gehört. Er ist der Einzige, der der Menschheit keine Rechenschaft schuldet.

Als Hiob bereit ist, diese Realität zu akzeptieren, hat er eine tiefe Einsicht in seinen Platz in der Schöpfung erreicht. „[Du fragst:] ‚Wer ist der, der den Ratschluss verhüllt mit Worten ohne Verstand?‘ Darum hab ich unweise geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe“ (42, 3). Hiob ist der Natur und dem Schöpfer nicht länger entfremdet, sondern er hat seinen Platz wiedergefunden und zurückbekommen: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche“ (42, 5–6).

Das Buch schließt mit der Erklärung des Erzählers, dass Hiobs drei Freunde tatsächlich im Unrecht waren. Er zitiert Gottes Worte an Elifas: „Mein Zorn ist entbrannt über dich und über deine beiden Freunde; denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob“ (42, 7).

Hier wird bestätigt, dass Hiob recht hatte mit dem, was er über sein Leiden sagte. Sie wussten alle nichts von Satans Rolle. Es war keine Strafe, aber wir können auch nicht in jedem Fall wissen, welchen Grund Leiden hat.

Nur durch Brandopfer und Hiobs Fürbitte konnten die drei „Tröster“ wieder Gnade finden. Als dies vollbracht war, wandte sich Hiobs Glück, und seine Segnungen wurden vervielfacht – ein Zeichen dafür, dass der Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen noch gültig ist, allerdings nach Gottes höchstem Ratschluss in einzelnen Fällen. „Und Hiob starb alt und lebenssatt“ (42, 9–17).

Letztlich kam Hiobs Trost von Gott, nicht von Menschen.