Kriegstheater

Krieg als Unterhaltung gibt es mindestens seit der Geburt der griechischen Tragödie. Selbst die Vorstellung, Krieg sei unvermeidlich, hat ihre Wurzeln im antiken Griechenland. Sind Kampf, Gewalt und Krieg Grundprinzipien der Natur selbst, wie ein einflussreicher Philosoph gelehrt hat?

Krieg als Form der Unterhaltung hat eine lange Geschichte. Eines der frühesten überlieferten Werke der abendländischen Literatur, die Ilias, erzählt z. B. in bildhaften Einzelheiten die Geschichte des Trojanischen Krieges. Und in den Amphitheatern des alten Rom erfreuten sich die Zuschauer an Gladiatorenkämpfen und nachgestellten Schlachten.

Wie schon in der Antike sind Krieg und Gewalt noch heute Stoff für Theater und Unterhaltung. In aller Welt lassen Kriegsfilme die Kinokassen klingeln. Natürlich ist das Thema Krieg nicht auf Kinofilme beschränkt. Eine Rezension im Londoner Telegraph beschreibt ein neu erschienenes Videospiel als „ein Jet-Set-Abenteuer, gekennzeichnet von wildem Spektakel der Spielfiguren und unmotivierten Explosionen“.

In der modernen Zeit kam es dazu, dass die ständige Realität des Krieges selbst als Theater gesehen wurde. Sowohl der Militärtheoretiker Carl von Clausewitz als auch Winston Churchill, der in Kriegszeiten Englands Premierminister war, sprachen von „Kriegstheater“. Zwar meinten beide damit zweifellos den jeweils konkreten Kriegsschauplatz – doch wenn die ganze Welt eine Bühne ist, wie Shakespeare schrieb, dann war der Planet Erde in der Geschichte der Menschheit nur selten nicht ein Kriegstheater.

Muss man angesichts der etablierten Realität wirklicher und virtueller Kriegsführung akzeptieren, dass Menschen ewig dazu bestimmt sind, freiwillig oder unfreiwillig entweder Zuschauer oder Teilnehmer in verschiedenen Wiederholungen des „Kriegstheaters“ zu sein? Außerdem: Was sagt die Bibel (die in Teilen deutlich älter ist als die Ilias) über den Ursprung und die Zukunft des Krieges und über die Wahrscheinlichkeit eines dauerhaften Friedens?

KRIEG ALS GRUNDPRINZIP 

Dass es Kriege gibt, ist natürlich eine traurige Tatsache, aber einige Denker sind so weit gegangen, das Phänomen Krieg als einen Grundwert oder ein Grundprinzip der Natur selbst anzunehmen. Einer von ihnen war der Sokratiker Heraklit von Ephesos; er behauptete, dass Streit die Welt zusammenhalte: „Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König.“

Heraklits Wort für Krieg, polemos, kann mit „Streit“ oder „Kampf“ übersetzt werden; seine Sicht der Natur als ständiger Kampf hat verschiedene Denker, welche die moderne Welt mitgeprägt haben, tief beeinflusst. So pries Friedrich Nietzsche Heraklit dafür, dass er „von diesem größten Schauspiel den Vorhang aufgezogen“ habe.

Sicher besteht eine Ähnlichkeit zwischen den Prinzipien der fortschreitenden Evolution – Charles Darwins Hypothese der natürlichen Selektion, die er dann „das Überleben des Geeignetsten“ nannte – und Heraklits Vorstellung, dass die Natur in einem ständigen Kampf sei. Darwin meinte mit dem „geeignetsten“ nicht das „stärkste“ Individuum, sondern dasjenige, das am besten an seine Umwelt angepasst ist. Diesen Begriff stellte er in einen Zusammenhang mit Formulierungen wie „die große und komplexe Schlacht des Lebens“, „Krieg der Natur“ und „Kampf ums Dasein“.

Darwins Denken nährte sich aus einer sehr alten philosophischen Tradition der Naturtheorie. Im Hinblick auf seine übernommene Vorstellung von Veränderung in der Natur bestätigt der Kulturhistoriker Jeff Wallace: „Eine philosophische Tradition lässt sich mindestens bis zu dem frühen griechischen Philosophen Heraklit und seiner Konzeption der Welt in einem Zustand ständigen Wandels oder ,Feuers‘ zurückverfolgen.“ Ähnlich wie Darwin hatte Heraklit gesagt, dass „alles durch Streit und Notwendigkeit zum Leben kommt“. In Darwins Evolutionslehre gilt die Vorstellung, jede geologische Formation bezeichne „nur eine gelegentliche, beinahe aus Zufall herausgerissene Scene in einem langsam vor sich gehenden Drama“. So zogen Darwin und andere den Vorhang vor einer neuen Auslegung der antiken Naturvorstellung auf: Sie gaben der Veränderung die Hauptrolle in einem großen Kampf ums Dasein.

TRAGISCHE URSPRÜNGE 

Ist an der Vorstellung der allmählichen Entwicklung und Veränderung der Natur durch Kampf und Krieg etwas Wahres? Ein Blick auf die Geschichte des Theaters könnte uns zu dem Schluss führen, dass Kampf und Gewalt zumindest teilweise nicht nur als Unterhaltung, sondern als vermeintlich tiefe Wahrheit der Natur anerkannt wurden.

Theater geht auf das griechische Wort theatron, „Schau-Platz“, zurück und ist abgeleitet von theasthai, „schauen“. Das Hauptgenre des antiken griechischen Theaters war die Tragödie, laut Aristoteles hervorgegangen aus Chorgesängen zu Ehren des Dionysos – eines mythischen Gottes, der mit Wein, Ekstase und Fruchtbarkeit assoziiert wurde. Allerdings nennt das Oxford Dictionary of Classical Myth and Religion auch eine „dunkle Seite“ dieses Gottes, zu der „Mord und Blutvergießen, Wahnsinn und Gewalt, Flucht und Verfolgung sowie Feindschaft zwischen den Geschlechtern“ gehörten.

Darüber hinaus assoziiert man Dionysos mit der animalischen Seite des Menschen, oft in Form bestialischer Gräuel ausgedrückt, und mit der Verwandlung aus einer Seinsform oder Identität – Mensch, Tier, Gott – in eine andere. Nietzsche meinte: „So erkennen wir jetzt, im Vergleiche mit jenen babylonischen Sakäen [einem wilden heidnischen Fest] und ihrem Rückschritte des Menschen zum Tiger und Affen, in den dionysischen Orgien der Griechen die Bedeutung von Welterlösungsfesten und Verklärungstagen.“

In den ursprünglichen dionysischen Theatern, die auch einen Altar für ihren Gott hatten, stellte die Identitätsübertragung durch das Rollenspiel der Schauspieler eine „Ekstase“ dar (Das Wort bedeutet „außerhalb seiner selbst stehen“.), die sie durch das Tragen von Masken symbolisierten. Auch die Zuschauer beteiligten sich an dem gemeinschaftlichen Ritual, indem sie die oft schaurigen Szenen verfolgten.

Im antiken Griechenland waren solche Rituale nah an der militärischen Realität. Das Hauptfest, bei dem Tragödien aufgeführt wurden, waren die Dionysien. Sie hatten ein starkes militärisches Element, das Simon Goldhill, Professor für griechische Literatur und Kultur, mit Militärparaden oder sogar „so ominösen Veranstaltungen wie der Berliner Olympiade von 1936“ vergleicht. Ehe die Wettkämpfe begannen, brachten zehn Generäle – „die wichtigsten militärischen und politischen Führer des Staates“ – Weinopfer dar, und in einem Theater gab es eine Kriegswaisenparade.

So zeigt sich ein Zusammenhang zwischen dem Kult des Dionysos, der mit tragischem Theater verbunden war, und der Auffassung, gewaltsamer Kampf sei eine göttliche Kraft in der Natur. Vorstellungen von Verwandlung, die Aufführung schauriger Szenen zur Unterhaltung und verschiedene Riten, die mit der Kriegsführung verbunden waren, gehen ebenfalls auf den antiken Dionysoskult zurück.

TRAGISCHER EINFLUSS 

Die Mythen um Dionysos waren Heraklit gut bekannt. Der Philosoph spottete über populäre Kultpraktiken sowie über Menschen, die zu solchen Göttern beteten und offenbar nicht bedachten, dass Bilder kein Bewusstsein haben. Außerdem behauptete er, die Götter Hades und Dionysos seien ein und derselbe; damit meinte er wohl, dass Tod und Leben Bestandteile einer einzigen, größeren Realität seien – so, wie er offenbar auch Krieg und Veränderung paradoxerweise als gleichbedeutend mit Frieden und Ruhe sah.

Heraklit verübelte es [Homer], dass er schrieb: ‚Schwände doch jeglicher Zwiespalt unter Göttern und Menschen.‘“

Klaus Held, Heraklit, Parmanides und der anfang von philosophie und wissenschaft. Eine phänomenologische besinnung

Manche Forscher verstehen Heraklits Sicht von Streit oder Kampf als Übertragung der Züge von mythischen, Krieg führenden Gottwesen (wie sie in fiktiven Dichtungen, z. B. der Ilias dargestellt sind) auf die realen Elemente: Naturphänomene wurden mit einer vorgestellten Allmacht und blinder Gesetzesgewalt ausgestattet. Die prominenten Sozialtheoretiker Theodor Adorno und Max Horkheimer stellten im 20. Jahrhundert fest, dass die Kategorien, in denen die abendländische Philosophie ihre wichtigsten Begriffe definierte, an die Stelle der heidnischen Götter traten, und dass die vorsokratischen Kosmologien „den Augenblick des Übergangs“ festhalten.

Die Ähnlichkeit zwischen den Gedanken im tragischen Theater der Griechen und den frühen griechischen Philosophen, zu denen Heraklit natürlich zählt, wurde auch von ihren modernen Nachfolgern bemerkt. Martin Heidegger schrieb im 20. Jahrhundert: „Für das Denken der frühen griechischen Denker waren Einheit und Widerstreit von Sein und Schein ursprünglich mächtig. Doch am höchsten und reinsten wurde all das in der griechischen Tragödiendichtung dargestellt.“

Auch für Nietzsche war Heraklit der einzige Philosoph, von dem er erkennen konnte, dass er seiner eigenen und eigentümlichen „tragischen Weisheit“ oder der dionysischen Philosophie von Widerstreit und Krieg nahegekommen war.

Mit anderen Worten: Durch ihre Vorliebe für Heraklit und die Welt des tragischen griechischen Theaters übernahmen höchst einflussreiche moderne Denker die antike, heidnische Vorstellung, dass Kampf alles beherrscht, und präsentierten sie als eine Wahrheit, die einfach zu akzeptieren sei.

So geht aus dem Kampfe der Natur, aus Hunger und Tod unmittelbar die Lösung des höchsten Problems hervor, das wir zu fassen vermögen, die Erzeugung immer höherer und vollkommenerer Thiere.“

Charles Darwin, Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, deutsch von H. G. Bronn (1860)

Mythologische Ursprünge wurden auch in Philosophien hineingelesen, die ähnliche Vorstellungen allgegenwärtigen Wandels enthalten, wie das Werk von Henri Bergson. Dieser entwickelte eine Theorie der Zeit und des Bewusstseins mit der Bezeichnung „Dauer“ (durée). L'Évolution créatrice (1907) war Bergsons Erwiderung auf Darwins On the Origin of Species; im Vorwort der englischen Übersetzung schrieb Irwin Edman, Bergsons Begriff „Lebensenergie“ (élan vital) gehe „ebenfalls weit zurück: letztlich bis zu den dionysischen Mysterien“.

Über moderne Denker wurde der vermeintliche Grundzustand der gesamten Natur als stetiger Wandel oder Fortschritt im Zusammenhang mit einer Gewalt, mit Antagonismus, Kampf, einer Schlacht oder Krieg fälschlich als universelles Gesetz der Realität präsentiert und aufgrund seiner angeblichen Wahrheit als etwas Gutes hochgehalten.

Allerdings sind es nicht nur die prominentesten Intellektuellen, die Geschmack an Heraklits Vorstellung von allumfassendem Krieg und Kampf fanden. Adolf Hitler bezeichnete Heraklits Aussage in einer Rede vor jungen Wehrmachtsoffizieren am 30. Mai 1942 als „tiefernsten Satz eines großen Militärphilosophen“, der ausspreche, dass Kampf und somit Krieg der Vater aller Dinge sei. Das ganze Universum scheine von nur diesem einen Gedanken beherrscht. Als Hitler an der Macht war, wurde zum zweiten Mal in der Geschichte die ganze Welt gezwungen, im Kriegstheater mitzuwirken.

Hitlers Meinung von Heraklits „Größe“ steht in Einklang mit Nietzsches Kommentar, Heraklit habe den Vorhang vor dem „größten Schauspiel“ aufgezogen, mit Heideggers Urteil, die frühe griechische Philosophie und Tragödiendichtung stelle den fundamentalen Antagonismus „am höchsten und reinsten“ dar, und vielleicht sogar mit Darwins Vorstellung einer „großen und komplexen Schlacht des Lebens“. Ihre Zustimmung zu Heraklits Philosophie des Krieges war mehr als Akzeptanz – sie war Verehrung.

FINALE 

Dass zwischen Menschen, Völkern und in der Natur selbst Konflikte vorkommen, ist leider wahr. Wenn Menschen allerdings den Krieg aktiv als Grundwert oder beherrschendes Prinzip bejahen, führt dies unausweichlich zur Katastrophe, wie das 20. Jahrhundert gezeigt hat. Dass Kampf und Krieg herrschende Prinzipien seien, die zur Weiterentwicklung der Natur führten, ist eine Lüge. Und unnötiger Krieg oder Gewalt als Inhalte von Unterhaltung fördern nur Destruktivität und verwischen die Grenze zwischen fiktiver und realer Gewalt.

Der antike Gott Dionysos war natürlich nur ein Produkt menschlicher Fantasie, vermengt mit beobachteten Phänomenen der Natur. Was die Bibel deutlich macht, ist, dass der wahre Schuldige hinter den Formen von Krieg und Gewalt, die hier betrachtet wurden, Satan ist – der Teufel. Die heilige Schrift überliefert, dass dieses Wesen der Urheber der Gewalt ist, welche die Erde seit Jahrtausenden prägt, und sogar manche Menschen überzeugt hat, Krieg sei eine ständige Notwendigkeit und etwas Gutes. Das Buch Hesekiel berichtet über diesen einstigen Engel, er sei „voll Frevel“ geworden; der Apostel Paulus bestätigt, dass dieses Geistwesen jetzt noch „der Gott dieser Welt“ sei (Hesekiel 28, 16; 2. Korinther 4, 4).

Deshalb ist das Kriegstheater in verschiedenen Formen und Ländern gesund und munter. Aber es ist nicht unvermeidlich; es ist kein Grundprinzip der Natur und es wird ein Ende finden. Doch laut der heiligen Schrift kann das Finale des Krieges und der Schlussvorhang für seinen Regisseur nur von außerhalb der philosophischen Tradition des Abendlandes kommen: nach der Wiederkunft Jesu Christi auf diese Erde (Lukas 21, 27; Offenbarung 20, 1-3). Vor jener Zeit wird das Kriegstheater nicht aufhören.

Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“

Jesaja 2, 4

Christus hat für die Zeit vor seiner Wiederkunft bestätigt: „Ein Volk wird sich erheben gegen das andere und ein Reich gegen das andere“ (Lukas 21, 10). Wenn Christus wiederkommt, kommt mit ihm Gottes gerechter Krieg als endgültige Abhilfe gegen alle ungerechten Kriege, die der Widersacher Satan inspiriert.

Mit der Errichtung von Gottes Reich auf dieser Erde werden der Gedanke und die Praxis des Krieges endlich in Vergessenheit geraten. Erst dann werden alle die Möglichkeit haben, wahren und dauerhaften Frieden mit ihrem Schöpfer zu haben – dem Fürsten des Friedens (Jesaja 9, 6; 2, 4).