Der Kern der Sache

Unser Handeln in der Welt wird von vielen Motivationen bestimmt. In seiner zusammenfassenden Ansprache bei einer Konferenz mit dem Titel Man’s Role in Changing the Face of the Earth („Der Beitrag des Menschen zur Veränderung der Erde“, 1955) stellte der Soziologe Lewis Mumford folgende These auf: Wenn die Menschheit im Zeitalter der Atomindustrie überleben will, müssen wir genauer verstehen, wer und was wir als Spezies Mensch sind, aber auch begreifen, welche Faktoren unsere Interaktionen miteinander und mit unserer Umwelt bestimmen. Damit die Menschheit eine produktive und befriedigende Zukunft haben könne, bräuchten wir „ein definitives Verständnis vom Wesen des Menschen, seiner Entwicklung und seinen Zielen“.

Mumford forderte eine „Theorie der menschlichen Entwicklung“, die unsere Motivationen beschreiben und unsere Entscheidungen auf bessere Ergebnisse ausrichten würde, und merkte an: „Das völlige Fehlen gemeinsamer Vorstellungen hierüber ist eines der schlimmsten Handicaps für unsere Diskussion über die Zukunft.“

Über ein halbes Jahrhundert später tun wir uns damit noch immer schwer. Doch Mumfords Worte erinnern uns weiter an unser Dilemma und zeigen uns die Richtung, in der die Lösung zu finden ist.

Er fuhr fort: „Wegen dieses Versäumnisses neigen wir dazu, aus den Prozessen, die wir steuern, falsche Ziele zu machen; so ist unsere einzige Richtschnur die Steigerung der Quantität oder Veränderung, nur um etwas anderes zu haben – wie bei einem gelangweilten Kind, das von einem Spielzeug zum anderen greift.“

Leider zeigt unser Umgang mit dem Klima, dass wir, wie am Ende auch Mumford erkannte, konsequent sind, wenn es darum geht, uns um die falschen Ziele zu bemühen. Letztlich erkennen wir hinter dem Symptom der äußerlichen Dominanz den Kern der Sache: das Problem der inneren Selbstkontrolle: „Zu viel von unserer Diskussion hier, fürchte ich, drehte sich um Vorschläge dafür, wie der Mensch die Natur unter Kontrolle bekommt, ohne Bezug zu der Art Kontrolle, die er über sich selbst ausüben muss. Aber je größer die Energiemenge, die dem Menschen zur Verfügung steht, desto wichtiger ist die alte römische Frage: […] Wer kontrolliert die Kontrolleure?“

Wo suchen wir Hilfe, um diese Frage zu beantworten? „Um die Kräfte zu beherrschen, die der Mensch heute zur Verfügung hat“, und sie für positive, rationale und ideale Ziele einzusetzen, meinte Mumford, „liegt die Formulierung dieser Ziele nicht im Bereich der Naturwissenschaft. […] sie ist vielmehr das Produkt der Künste und Geisteswissenschaften, von religiösen Visionen und moralischem Streben.“

Er fuhr fort: „Seit den letzten hundert Jahren können wir nicht nur die Welt als ein Ganzes in Zeit und Raum sehen, sondern durch unsere vielfältigen Erfindungen können wir auch in derselben Weise handeln.“ Mit anderen Worten: Wir haben, wie George Marsh und Antonio Stoppani ein Jahrhundert zuvor erkannten, eine gottähnliche Fähigkeit, mit der Welt zu interagieren. „Was wir brauchen, um der drohenden Allwissenheit und Allmacht des Menschen zu begegnen“, so Mumford, „ist, gleichermaßen gottähnliche Kräfte in einem ganz anderen Teil der Persönlichkeit zu kultivieren.“

Was ist der entscheidende Faktor, der im Kern der Selbstkontrolle wirkt? Der Faktor, der bewertet, was nicht nur im eigenen Interesse ist, sondern auch im Interesse anderer?

Ich meine die Kraft der Liebe“, sagte Mumford. „Wir brauchen in diesem Moment eine solche erlösende und allumfassende Liebe, um die Erde selbst und alle Geschöpfe, die sie bewohnen, vor den blinden Kräften des Hasses, der Gewalt und der Zerstörung zu retten.“

Er war auf der richtigen Spur, aber die Größenordnung dessen, worauf er hoffte, übersteigt unsere menschlichen Ressourcen. In ihrem vollsten Sinn ist diese „erlösende und allumfassende Liebe“ die Liebe Gottes. Gott ist die Quelle dieser Liebe. Er ist Liebe; das ist seine Natur, sein Wesen (1. Johannes 4, 8).

Obgleich wir nach dem Bild Gottes geschaffen sind (1. Mose 1, 27), haben wir die Gabe dieser Liebe nicht. Dieser Mangel ist nicht einfach ein Problem, das wir alleine überwinden könnten. Wir können diese Liebe nicht durch Willensanstrengung aus unserem Inneren hervorholen. Gottes Liebe ist eine Sache des Geistes, und diesen Geist müssen wir von Gott selbst empfangen. Sie ist eine Gabe, die denen gegeben wird, die „der Herr, unser Gott, herzurufen wird“ und die sich dann nach seinem Willen richten wollen statt nach ihrem eigenen (Apostelgeschichte 2, 38-39; Galater 5, 22).

Gottes Geist schenkt Einsicht und Selbstkontrolle; er kann bewirken, dass Menschen wie Gott denken, erklärte der Apostel Paulus der Kirche im ersten Jahrhundert (Römer 8, 5-11; 1. Korinther 2, 9-16). Dieser Geist ist kein Verstärker menschlichen Fühlens und Denkens. Er ist die Kraft Gottes, ein anderes Leben zu führen – ein Leben in Verbundenheit mit dem Schöpfer und seinen Geboten, die all unsere Beziehungen bestimmen. Der praktische Wunsch, den nicht nur Mumford, sondern auch schon viele andere seit Menschengedenken geäußert haben – unseren Nächsten wie uns selbst zu lieben –, wird möglich (3. Mose 19, 18; Galater 5, 25; 1. Johannes 5, 3; Markus 12, 28-34; Römer 13, 8-10).

Zum Abschluss seiner Ansprache beschrieb Mumford, wie das aussehen könnte: „Wir sind jetzt [1955] an einem Punkt, wo über zwei Milliarden Menschen unsere Nächsten geworden sind, und wir werden noch einmal neu lernen müssen, […] was Nächstenliebe bedeutet. Wir können in Lichtgeschwindigkeit mit ihnen kommunizieren; wir können zum Vorteil aller mit ihnen zusammenarbeiten, in langfristigen Anstrengungen, die Erde zu bebauen und zu bewahren – oder wir können sie ausrotten, wenn wir so bösartig oder so rücksichtslos sind – so sicher, wie man einen Verurteilten durch Knopfdruck auf einem elektrischen Stuhl töten kann. Wenn wir im Geist der Liebe mit der Erde umgehen, werden wir ihre Individualität achten und die Gaben der Persönlichkeit wertschätzen, die die organische Vielfalt selbst mit sich bringt. […] Wir müssen wagen, jede Erfindung, jede Organisation, jede politische oder wirtschaftliche Neuerung zu hinterfragen: Ist sie in Liebe erdacht worden, und dient sie den Zielen der Liebe?

Vieles, was wir heute tun, würde einer solchen Frage nicht standhalten. Aber vieles, was für kreative menschliche Taten der Selbstverwandlung noch offen ist, würde endlich möglich. Nicht Macht, sondern durch Liebe in die Formen der Schönheit und Wahrheit geleitete Macht ist das, was wir für unsere weitere Entwicklung brauchen. Erst wenn Liebe die Führung übernimmt, werden die Erde und das Leben auf der Erde wieder sicher sein. Vorher nicht.“

Gottes Liebe hat noch nicht die Führung übernommen. Doch eines Tages wird das Herz des Menschen verwandelt werden und die ganze Erde wird nach Gottes Willen leben (Jeremia 31, 31-34; Jesaja 11, 9). Dieser Tag muss noch kommen, aber so sicher, wie sich unser belagerter Planet noch dreht: Er wird kommen.