Werte nach der Pandemie

Weitermachen wie gehabt?

Den Wert von Dingen zu kennen, ist etwas ganz anderes, als in seiner Lebensführung Werte zu praktizieren. So wie die Gesellschaft heute funktioniert, ist der Preis das Maß aller Dinge geworden – oft hat der Wert einer Sache gar nichts mehr mit Werten zu tun.

Oscar Wilde hat einen Zyniker als einen Menschen definiert, der „von allem den Preis kennt und von nichts den Wert“. Mark Carney, von 2013 bis 2020 Gouverneur der Bank of England, bezieht diesen Aphorismus auf die Industrieländer, daher der Titel seines Buches Value(s): Building a Better World for All [Wert(e) – eine bessere Welt für alle schaffen] (2021).

Man müsste das Buch nicht einmal lesen, um zu wissen, in welche Richtung es geht. Die in Klammern gesetzte Mehrzahl deutet darauf hin, dass Carney dem moralischen Aspekt von „Wert“ auf den Grund gehen will. Aus seiner Erfahrung mit den jüngsten Finanz-, Klima- und Kreditkrisen, mit Corona und korrupter Geschäftemacherei weiß Carney, dass in der Welt von heute, in der zwar alles seinen Preis, aber nichts einen angemessenen Wert hat, etwas Grundlegendes fehlt. Ist es nicht ein fataler Irrweg, dass die Welt Geld mehr schätzt als Moral, Bares mehr als Wahres, Vermögenswerte mehr als menschlichen Wert?

Für Carney ist das der Zustand, in dem die Welt des 21. Jahrhunderts angekommen ist. Warum, fragt er, sind Diamanten, die außer Schönheit nur begrenzten Nutzen haben, weit mehr wert als Wasser, das fast nichts kostet? Im Unterschied zu Diamanten ist Wasser doch lebensnotwendig. Die Antwort ist schnell gefunden: weil der Markt nur an sich selbst interessiert ist. Ihm geht es vor allem darum, womit er am meisten Geld verdienen kann.

Was der Welt unmittelbar bevorsteht, ist die vierte industrielle Revolution – mit künstlicher Intelligenz in immer mehr Bereichen, die unsere Arbeit, die Kommunikation und den Markt verändert. Damit kann man Geld verdienen, aber auf wessen Kosten? Hier müssen Werte Vorrang haben. Von Nanotechnologie über Quantencomputer und Robotik bis Gentechnik wird die vierte industrielle Revolution das Leben nach Corona noch weiter umkrempeln, bevor die Wirtschaft sich anpassen kann. Ganze Berufszweige werden verschwinden, und das Erlernen neuer Berufe wird Zeit kosten und eine Lücke hinterlassen, in der sich Ungerechtigkeit ausbreiten kann.

Die Logik des Kaufens und Verkaufens gilt nicht länger nur bei materiellen Gütern, sondern beherrscht zunehmend das ganze Leben, vom Zugang zu medizinischer Versorgung über Bildung und öffentliche Sicherheit bis zum Umweltschutz.“

Mark Carney, Value(s): Building a Better World for All

Carney drängt darauf, die Situation umzukehren und statt Geld den Menschen zum zentralen Wert zu machen – das Gegenteil der Vorstellung, es sei der Markt, der den Wert bestimme. Damit sich etwas als wertvoll erweist, muss es nicht kostspielig sein; es muss lediglich hochgeschätzt und auf das Wohl des Menschen ausgerichtet sein. Carney findet, dass Regierungen Werte, in deren Mittelpunkt die Rettung und der Schutz von Menschen stehen, zur Geltung bringen müssen, indem sie für eine nachhaltige Erholung sorgen. Wir alle müssen erkennen, dass das kollektive Wohl unser Ziel sein und Vorrang vor engem Eigennutz haben sollte.

2015 wurde Carney zum einflussreichsten Katholiken Großbritanniens ernannt. Es überrascht vielleicht nicht, dass sein Einsatz für Werte christliches Denken widerspiegelt. Bei dem Aufbau einer besseren Welt will er Solidarität, Gerechtigkeit, Verantwortung, Resilienz, Nachhaltigkeit, Dynamik und Demut in den Vordergrund stellen. All dies wird von religiösen Lehren gefordert und würde dazu beitragen, die aktuellen, existenzbedrohenden Gefahren für die Stabilität der Welt durch Korruption, Ungleichbehandlung, Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung zu überwinden.

Der Dichter, Essayist und Landwirt Wendell Berry hat geschrieben: „Die meisten der wichtigsten Gesetze für die Lebensführung des Menschen dürften religiösen Ursprungs sein – Gesetze wie diese: Sei barmherzig, sei nachsichtig, liebe deine Mitmenschen, sei gastfreundlich zu Fremden, sei gut zu anderen Geschöpfen, nimm dich der Hilflosen an, liebe deine Feinde. Kurz, wir müssen unsere Mitmenschen und Mitgeschöpfe lieben und für sie sorgen.“

In dem Bestreben, die Art von Welt zu erklären, über die Carney und Berry geschrieben haben, publiziert Vision kontinuierlich Artikel, die zu biblischen Werten wie Barmherzigkeit, Pflicht der Fürsorge, Ehrlichkeit, Gleichbehandlung und Gerechtigkeit im täglichen Leben aufrufen. Eine Auswahl solcher Artikel finden Sie bei uns.