Poes Paralleluniversum

Die Entstehung des Universums in einem Urknall, gefolgt von einer Abkühlung und der Vereinigung von Teilchen zu Materie, wird als Standardmodell der Kosmologie bezeichnet. Bestätigungen für dieses Bild eines sich ausdehnenden Universums wurden während des ganzen letzten Jahrhunderts gesammelt. Dieses Modell könnte man als Produkt der Kombination aus moderner naturwissenschaftlicher Forschung und mathematischer Theorie sehen, doch es scheint, als hätte Edgar Allan Poe schon im Voraus all dies gewusst und die Noten geschrieben, nach denen wir heute spielen.

Ist Poes Geschichte des Alls einfach künstlerische Interpretation, spinnt er die Schöpfungsgeschichten aus Jahrtausenden, die er in seiner Zeit lernte, auf seine Art weiter? Ist sie einfach eine Ausschmückung der vertrauten Bibelpassagen „Am Anfang “; oder „daß alles, was man sieht, aus nichts geworden ist“; oder „ein neuer Himmel und eine neue Erde “ (1. Mose 1, 1; Hebr. 11, 3; Offb. 21, 1)? In jedem Fall fragt man sich: Woher wusste er das?

Welches seine Absichten und Quellen auch immer waren – wahrscheinlich wäre Poe überrascht, wie genau die moderne Kosmologie seine Vorstellungen mit ihrer Geschichte des Universums bestätigt. Im Folgenden einige ausgewählte Passagen aus seiner Prosadichtung „Eureka“ (1848), jeweils gefolgt von einer modernen wissenschaftlichen Deutung.

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„Er also – der zum wenigsten jetzt der Unfassbare ist – Er also – ein geistiges Wesen – damit meine ich: nicht materiell – diese Unterscheidung ersetzt für wissenschaftliche Zwecke eine umständliche Definition – Er also habe einmal – mit dieser Voraussetzung wollen wir uns heute Nacht begnügen – als geistiges Wesen existiert – und da habe Er uns – an irgendeinem Punkt des Raums, den wir als Mittelpunkt annehmen wollen – zu irgendeiner Zeit, in die einzudringen wir uns nicht vermessen, die aber jedenfalls ungeheuer entfernt ist – da also, sage ich, habe Er uns erschaffen – oder kraft Seines Willens aus dem Nichts geholt. . . .“

Vor fünfzehn Milliarden Jahren expandierte das Universum von einem Punkt intensiver Energie aus: der Urknall. Es folgte eine rasche, dann langsamere Ausdehnung und Abkühlung. Dieser Prozess geht weiter, während die Raum-Zeit wächst.

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„In diesem Sinne behaupte ich nun – eine völlig unwiderstehliche, wiewohl unaussprechbare Intuition bringt mich zu dem Schlusse: Was Gott ursprünglich geschaffen hat – die Materie, die Er kraft Seines Willens zuerst aus Seinem Geiste oder aus dem Nichts machte –, konnte nichts anderes gewesen sein als Materie im denkbar größten Grade von – wovon? – von Einfachheit.“

Dem Standardmodell zufolge entstanden die Atome durch Kondensation eines abkühlenden Plasmas aus subatomaren Teilchen, die jeweils aus noch grundlegenderen Teilchen zusammengesetzt sind. Noch immer basteln Physiker mit Hilfe der neuesten Hochenergie-Teilchenbeschleuniger weltweit an einer Lösung für die Dynamik dieses Prozesses.

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„Die Annahme völliger Einheit im ursprünglichen Kern schließt die Annahme unendlicher Teilbarkeit ein. Stellen wir uns also vor, der Kern sei durch die Zerstreuung in den Weltraum nahezu vollständig erschöpft. Nehmen wir an, von dem einen Kern als Mittelpunkt seien nach allen Richtungen – kugelförmig – in unermesslich große, aber doch begrenzte Entfernungen eine unaussprechlich große, doch beschränkte Zahl unvorstellbar, aber doch nicht unendlich kleiner Atome in den vorher leeren Weltraum ausgestrahlt.“

Die Konsistenz oder „Isotropie“ des Universums, die in der Hintergrundstrahlung zu beobachten ist, stammt, wie man glaubt, aus einer „inflationären Phase“ im ersten Sekundenbruchteil nach dem Urknall. Heute besagt das kopernikanische Prinzip, dass das Universum in allen Richtungen gleichförmig ist und seine Bestandteile und Gesetze überall konsistent sind.

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„Ich möchte nur erklären, dass ich mich als Individuum zu der Einbildung genötigt fühle – mehr wage ich es nicht zu nennen –, dass eine unendliche Folge von Universen existiert, mehr oder minder ähnlich dem, von dem wir Kenntnis haben – dem einzigen, von dem wir je Kenntnis haben werden, zum allermindesten bis zur Rückkehr dieses unseres eigenen Universums in die Einheit. Wenn solche [Stern-]Haufen jedoch existieren – und das tun sie –, ist mehr als klar, dass sie, die nicht an unserer Entstehung beteiligt waren, auch keinen Anteil an unseren Gesetzen haben. Sie ziehen weder uns an noch wir sie. Ihre Materie und ihr Geist sind nicht unsere – nicht das, was in irgendeinem Teil unseres Universums Geltung hat. Sie könnten keinen Eindruck auf unsere Sinne oder unsere Seele bewirken.“ [Eigene Übersetzung]

Mit der Vorstellung multipler Universen wird heute die scheinbar einzigartige Kombination physikalischer Gesetze erklärt, die Leben möglich machen (siehe „Just Six Numbers“). Diese Paralleluniversen mit ihren eigenen, unendlichen Kombinationen von Gesetzen, heißt es, existierten in Dimensionen jenseits der unseren und seien daher von unserem Universum aus nicht erkennbar.