Wird es immer Armut geben?

Mit Entwicklungshilfe gegen Armut

Manche Hilfsprojekte sind erfolgreich, während andere mehr schaden als nützen. Was macht den Unterschied aus?

Armut in jeder Form und überall beenden“ – dieses hehre Ziel wurde 2015 von der UNO verkündet, und eine solche Mission ist zwar leicht zu befürworten, doch fragen sich viele, ob sie auch umsetzbar ist.

Im Herbst 2021 rückte das Thema Armut in den Vordergrund. Das Zusammentreffen mehrerer Krisen – einschließlich der Coronapandemie, ausufernder Arbeitslosigkeit und der Auswirkungen des Klimawandels – führten zu weitverbreiteten Hungersnöten in vielen Ländern. David Beasley, Geschäftsführer des UNO-Welternährungsprogramms, versuchte, die Krisenhaftigkeit der Lage bewusst zu machen, und appellierte an die Milliardäre der Welt: Nur zwei Prozent ihres Vermögens (sechs Milliarden US-Dollar) würden 42 Millionen Menschen vor dem Hungertod retten. In seinem Aufruf nannte Beasley spezifisch die Superreichen Jeff Bezos – Gründer und Vorstandsvorsitzender von Amazon – und Elon Musk – Mitbegründer und Geschäftsführer von Tesla und SpaceX.

Darauf antwortete Musk auf Twitter mit einer Spendenzusage, unter einer Bedingung: Die UNO solle zuerst zeigen, wie sechs Milliarden Dollar das Problem lösen würden. Beasley willigte ein und arbeitete aus, wie das Geld genutzt werden würde, aber das UNO-Welternährungsprogramm erhielt die erbetene Finanzierung nie. Ein Jahr später, im Oktober 2022, kaufte Musk Twitter für 44 Milliarden Dollar.

Über die Motivation hinter Musks Tweet an Beasley dürfte durchaus diskutiert werden, doch die Entwicklungshilfeorganisationen selbst sind seit Jahrzehnten mit genau dieser Frage konfrontiert: Bringt Entwicklungshilfe etwas?

Die Entstehung der modernen Entwicklungshilfe

In früheren Jahrhunderten geschah Auslandshilfe oft in Form militärischer Unterstützung für Kolonien und sonstige Länder, die man für strategisch wichtig hielt. Heute sind ihre Anwendungen vielfältiger, aber die Debatte um ihre Wirksamkeit betrifft weitgehend direkte Zuschüsse und Darlehen von einer Regierung oder multilateralen Organisation an eine andere („Official Direct Assistance“, ODA). ODA hat den größten Anteil an den Hilfsleistungen von Geber- an Empfängerländer. Andere Arten ausländischer Unterstützung sind humanitäre Hilfen, gewöhnlich bei Notsituationen wie Konflikten oder Naturkatastrophen, und Wohltätigkeitsleistungen, die direkt von internationalen Nichtregierungsorganisationen (non-governmental organizations, NGOs) finanziert werden. Bei der Diskussion um die Wirksamkeit ausländischer Hilfen geht es gewöhnlich um ODA; deshalb konzentriert sich dieser Artikel auf sie.

Wenn wir heute an Entwicklungshilfe denken, stellen wir uns darunter meist vor, dass Grundnahrungsmittel an unterernährte Kinder in den schwächsten Entwicklungsländern gehen. Die vielleicht überraschende Tatsache ist jedoch, dass die Anfänge der modernen Entwicklungshilfe in Vorbereitungen für den Wiederaufbau in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg lagen. 1944–45 wurden die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (jetzt Weltbank) und der Internationale Währungsfonds gegründet, um den Wiederaufbau zu unterstützen. Die USA verteilten im Rahmen des Marshallplans von 1948 die enorme Summe von 13 Milliarden US-Dollar (in heutiger Kaufkraft weit über 100 Milliarden) an 17 europäische Länder.

In den 1960er-Jahren nahm der Wirtschaftszweig Entwicklungshilfe allmählich Gestalt an. Viele Staaten gründeten eigene Institutionen, um die Verteilung immer größerer Summen im Ausland zu organisieren, darunter die United States Agency for International Development (USAID), Deutschlands Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Großbritanniens Ministry of Overseas Development, das jetzt Foreign Commonwealth and Development Office (FCDO) heißt. Ebenfalls in den Sechzigern entstand die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation of Economic Cooperation and Development, OECD) mit Sitz in Paris, die auch heute die ODA überwacht und beeinflusst.

Die ersten fünf OECD-Geberländer 2021:

  1. USA: 42,31 Mrd. USD
  2. Deutschland: 32,23 Mrd. USD
  3. Japan: 17,62 Mrd. USD
  4. Großbritannien: 15,81 Mrd. USD
  5. Frankreich: 15,45 Mrd. USD

Quelle: ODA Levels in 2021—Preliminary Data

Die Investition der 13 Milliarden Dollar in das Europa der Nachkriegsjahre war in fast jeder Hinsicht ein überwältigender Erfolg. Westeuropa konnte größere Rückschläge vermeiden und ist heute eine der reichsten Regionen der Erde. Als ODA jedoch über den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg hinaus mit Außenpolitik in anderen Regionen verbunden wurde, waren die Ergebnisse sehr viel nebulöser.

Etwa in dieser Zeit erlebte das Wesen internationaler Beziehungen einen grundlegenden Wandel. Die Bedeutung des Kolonialismus als Facette der Außenpolitik begann zu schwinden, da viele Kolonien unabhängig wurden – allein 1960 waren es 17 afrikanische Länder südlich der Sahara. Nach dem Erfolg des Marshallplans wurde formale ODA ein bevorzugter Mechanismus für die weltweite Armutsbekämpfung, aber sie war auch ein Weg, im Ausland weiterhin Einfluss zu nehmen. Als z. B. USAID in den 1960er-Jahren gegründet wurde, war es die erklärte Absicht, durch die Schaffung von Wachstum in Entwicklungsländern Märkte für die USA zu schaffen und gleichzeitig den Kapitalismus zu fördern (wodurch kommunistische Regierungen an Macht verlieren würden). ODA sollte neben der Erfüllung von Bedürfnissen im Empfängerland immer auch dem Geberland nützen.

Entwicklungshilfe wird überwiegend dafür eingesetzt, geostrategischen Interessen zu dienen, für das Recht, Auslandsbasen zu bauen und zu betreiben, um Bündnisse zu stärken oder verbündete Regime an der Macht zu halten.“

Clair Apodaca, „Foreign Aid as Foreign Policy Tool“, Oxford Research Encyclopedia of Politics

Die Welt sicherer machen

Für den Zeitraum von 1960 bis 2008 schätzen die Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Fengler und Homi Kharas die Zuwendungen reicher Länder an Entwicklungsländer zur Armutsbekämpfung auf 3,2 Billionen Dollar. In jüngerer Vergangenheit, so das Weltwirtschaftsforum, wurde allein 2020 die Rekordsumme von 161,2 Milliarden Dollar für Entwicklungshilfe aufgewendet (zum Teil für die Bekämpfung der Coronapandemie).

Jonathan Glennie, der über internationale Armut und Menschenrechte forscht und schreibt, bemerkt in The Trouble With Aid keck: „Afrika ist arm. Wenn reiche Länder ihm Geld schicken, wird es weniger arm sein, und Menschen, die in Armut leben, werden es besser haben. Das scheint vollkommen logisch, oder nicht?“

Zwar ist Glennies Kommentar eindeutig ironisch gemeint, doch Armut ist im Wesentlichen ein Mangel an Ressourcen, deshalb kann und muss eine Zufuhr von Ressourcen ein Teil der Lösung sein. Den Bedürftigsten diese Art Hilfe zu leisten, hat sehr wohl realen Nutzen gebracht.

Ein Beispiel ist Kindo Aïssata aus Côte d’Ivoire: Sie nahm an einem USAID-Projekt teil, bei dem lokale Anwohner darin geschult wurden, sich für die Versorgung mit sauberem Trinkwasser einzusetzen. Jeden zweiten Tag war sie, wie alle Einwohnerinnen ihres Ortes, mit ihren Kindern 30 Kilometer weit gegangen, um Wasser von einem Brunnen zu holen. 2011 gab es politische Unruhen, und der Fußmarsch zu dem Brunnen wurde zu gefährlich, sodass sie gezwungen waren, Wasser aus einem nahe gelegenen Sumpf zu schöpfen.

Frauen in Kenia tragen Wassertonnen zu ihrem Dorf. Frauen und Kinder in verarmten Regionen Afrikas gehen oft weite Strecken, um Trinkwasser für ihre Familien zu beschaffen.

Aïssata erinnert sich: „Damals litt praktisch jedes zweite Kind an dieser Krankheit [Schistosomiasis oder Bilharziose], weil wir alle uns aus derselben Quelle versorgten.“ Die Bilharziose führte zu schweren Verdauungsstörungen und dadurch zu Mehrkosten für Medizin und Fehlzeiten bei der Arbeit oder in der Schule. Gestärkt durch ihre Schulung durch USAID, setzte sich Aïssata mit dem lokalen Wasserversorger in Verbindung und konnte Wasserlieferungen an ihren Ort koordinieren. Seit diese Lieferungen begannen, hat es keine Fälle von Bilharziose mehr gegeben.

Diese Geschichte ist kein Einzelfall. Wenn Organisationen den Bedürftigsten Hilfe leisten, kann ein wenig Geld, das in die Region fließt, eine sehr große Wirkung haben. Grundlegende Bedürfnisse wie Zugang zu sauberem Wasser, Hygiene, Bildung und Moskitonetzen zu erfüllen, kann Leben retten.

Diese positiven Wirkungen sollten nicht ignoriert werden. Die schiere Menge an Menschen, denen durch Entwicklungshilfe ermöglichte Grundversorgungsleistungen zugutegekommen sind, sollte uns zu denken geben.

Mission erfüllt?

USAID meldet folgende Zahlen, um zu zeigen, wie vielen Menschen einige ihrer Hilfsprojekte zugutegekommen sind:

Seit 2008:

  • 595 Millionen Menschen haben Zugang zu Trinkwasser bekommen
  • 44,6 Millionen Menschen haben jetzt Zugang zu nachhaltiger Hygiene (Toiletten)

2019 allein:

  • 84 Millionen Frauen und Kinder erhielten Zugang zu medizinischer Grundversorgung
  • 94 Millionen Menschen wurden mit lebensrettenden Moskitonetzen versorgt

Quellen: USAID, „Water Security, Sanitation and Hygiene“ und „Global Health“

Gut gemeint, schlecht gemacht

Wenn man die Auswirkungen von ODA jedoch insgesamt betrachtet, sind sich nicht alle einig, dass der Nettoeffekt positiv gewesen ist.

Trotz all der guten Dinge, die erreicht wurden, sind weltweites, nachhaltiges Wachstum und eine umfassende Verringerung von Armut nach wie vor in weiter Ferne. Einer der Gründe dafür ist, dass Vorausschau bei solchen Projekten nur begrenzt möglich ist und dass unvorhergesehene oder unbeabsichtigte Konsequenzen gut gemeinte Initiativen entgleisen lassen können.

So räumte die Weltbank 1998 in einem Bericht zur Bewertung der Entwicklungshilfe ein, dass die zwei Milliarden Dollar, die in Tansanias Landstraßennetz investiert worden waren, insgesamt fast gar keine Wirkung hatten. Oft wurden Straßen schneller marode, als neue fertiggestellt wurden. Mangelnde Planung für langfristige Instandhaltung ist eine der häufigsten Plagen bei ODA-Projekten.

Für Lösungen, die auf lange Sicht finanziell nachhaltig sind, eignen sich Entwicklungshilfeprojekte nicht. Es sind Einzelunternehmungen mit klaren Zielen und gut definierten Anfangs- und Abschlussterminen. Vielleicht ist es eine vernünftige Erwartung der Geldgeber, dass die Begünstigten die Instandhaltung selbst bewältigen, aber in der Realität geschieht das nicht (oder es kann aus unterschiedlichen Gründen nicht geschehen). Das Ergebnis ist ein Friedhof verfallener oder verfallender Infrastruktur, die niemandem hilft.

In ihrem Buch The Idealist fasst die preisgekrönte Journalistin Nina Munk das Problem so zusammen: „Defekte Wasserpumpen, halb fertige Kliniken, verlassene Häuserblocks, Straßen, die ins Nichts führen, eingebrochene Dämme – Afrika ist übersät mit den Überbleibseln gut gemeinter Entwicklungsprojekte, zeigte Bland auf [Simon Bland, Veteran der Entwicklungshilfearbeit nach 30 Jahren]. ,Das Problem ist‘, sagte er, ,wenn man fortgeht, was passiert?‘ Wer repariert die Schlaglöcher, die Rohre und Grubenlatrinen? Wer kauft Diesel und liefert Ersatzteile für die Generatoren?“

Trotz all den Hunderten von Milliarden Dollar, die in den vergangenen Jahrzehnten für Entwicklungshilfe aufgewendet wurden, hat niemand ein Ende der Armut in Afrika auch nur näher bringen können. Entwicklungsexperten […] präsentieren eine Theorie nach der anderen, aber bislang gibt es keine funktionierende Lösung.“

Nina Munk, The Idealist: Jeffrey Sachs and the Quest to End Poverty

Munk erzählt von einem ähnlichen Mangel an Vorausschau in ihrer Zeit in Uganda; damals wurden 300.000 Dollar für die Einführung von Maisanbau ausgegeben. Die Bauern hatten in jenem Jahr tatsächlich eine große Maisernte, doch der Markt wurde überschwemmt, sodass die Preise sanken. Sie konnten den Mais nirgends lagern, und ein großer Teil verrottete. Während die Bauern mit dem Anbau und der Ernte von Mais überlastet waren, vernachlässigten sie ihre matoke – eine Art Banane, die in der Region ein Grundnahrungsmittel ist. Die Enttäuschung und Frustration der Dorfbewohner war verständlich; verglichen mit matoke war Mais schwierig zu verkaufen, schwierig zu ernten und (aus Sicht der Ugander) nicht wohlschmeckend. David Siriri, damals ein ugandischer Projektleiter, räumte ein: „Wir haben Geld für Saatmais und Dünger verschwendet. Dieses Geld hätten wir besser nicht ausgegeben.“

Die Investition von 300.000 Dollar in ein Landwirtschaftsprojekt war sicher vielversprechend. Die Vermittlung neuer landwirtschaftlicher Methoden zu finanzieren, um Ernten und Erträge zu vergrößern, kann die Nahrungsmittelunsicherheit bekämpfen. In diesem Fall ging das Projekt eindeutig daneben. Die Menschen fanden letztlich, ohne das Projekt wäre es ihnen besser gegangen.

Politik und Korruption

Fehlgeleitete oder schlecht geplante Geberprojekte dieser Art sind jedoch icht allein schuld an allen Unwirtschaftlichkeiten. Eine der größten Herausforderungen in dem Wirtschaftszweig Entwicklungshilfe ist die Korruption in den schwächsten Entwicklungsländern. Laut dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International, einer Organisation, die eine Rangordnung der weltweit wahrgenommenen Korruption veröffentlicht, erreichte Subsahara-Afrika die geringste Punktzahl aller Regionen – 33 von möglichen 100.

Die bekannte, aus Sambia stammende Wissenschaftlerin Dambisa Moyo ist der Meinung, dass die Mittel von Geldgebern wegen der weit verbreiteten und offenen Korruption in vielen der schwächsten Entwicklungsländer bestenfalls vergeudet werden. Ein besonders ungeheuerliches Beispiel zitiert Transparency International in seinem Global Corruption Report von 2004: Mobutu Sese Seko, ehemaliger Präsident von Zaire (der heutigen Demokratischen Republik Kongo), der in seiner Regierungszeit 1965–1997 auf schändliche Weise rund fünf Milliarden Dollar an öffentlichen Mitteln abgeschöpft hat. Zaire, mit einem jährlichen Pro-Kopf-BIP von nur 99 Dollar eines der ärmsten Länder der Erde, erhielt in derselben Zeit über zwölf Milliarden Dollar an Entwicklungshilfe.

Sekos Habgier war unfassbar, aber er war nicht allein damit. Und dadurch ist jeder, der versucht, Entwicklungshilfe in Länder zu bringen, wo die Führung (selbst auf lokaler Ebene) massiv korrupt ist, mit einem Dilemma konfrontiert: Ist es besser, die Entwicklungshilfe an Länder wie das frühere Zaire einfach einzustellen und die Ärmsten der Armen sich selbst zu überlassen, oder ist es besser, die Entwicklungshilfe an korrupte Regierungen fortzusetzen, obwohl man weiß, dass ein Teil davon verschwindet?

Diese Art Korruption fördert einen Teufelskreis der Ineffizienz. Die Regierungen von Geberländern müssen sich natürlich vor ihren Steuerzahlern verantworten. Und derart unfassbare Korruption führt zu Forderungen, ODA komplett einzustellen. Doch es ist nicht so einfach, einen Wirtschaftszweig zu zerschlagen, der (in den USA allein) 42 Milliarden Dollar umsetzt.

Die Alternative ist, zu versuchen, Korruption und Missmanagement durch detaillierte Verträge, Schichten komplizierter Genehmigungen und strikte Prüfungsanforderungen zu reduzieren. Diese Vorgehensweise bringt jedoch eigene Nachteile mit sich: Ein so hohes Maß an bürokratischer Mitsprache wirkt als Barriere für den Markteintritt. Infolgedessen werden die meisten Mittel über Organisationen in den Geberländern vergeben. In den USA fließt z. B. fast die Hälfte der ODA durch US-Behörden oder NGOs mit Sitz in den USA. Dies erhöht die Gesamtkosten, verringert die Effizienz, und da ein so hoher Anteil des Geldes in dem Geberland bleibt, fragen sich viele, ob die Entwicklungshilfe nicht vor allem diesem selbst zugutekommt.

Säcke mit Weizen von der United States Agency for International Development und Säcke mit Bohnen vom Welternährungsprogramm der UNO vor der Verteilung im Süden Äthiopiens.

Diese Komplikationen werden noch verstärkt durch die politische Natur von ODA. Wie bereits angemerkt, wurde historisch für Entwicklungshilfe als ein Mittel geworben, um den Interessen sowohl der Geber als auch der Empfänger zu nützen. Doch was geschieht, wenn diese Interessen einander unvermeidbar entgegenstehen?

Empfängerländer sind letztlich den politischen Zielen und Plänen der Geberländer ausgeliefert, weil es bei ODA eben nicht nur um weltweite Armutsbekämpfung geht.

Historisch bestand eine Methode der Einflussnahme durch Geberländer darin, Leistungen an die Anforderung zu binden, ihre eigenen Interessen in bestimmten heimischen Sektoren oder Branchen zu unterstützen. Nicht weniger als die Hälfte der gesamten ODA bestand aus solchen an Bedingungen geknüpften Hilfen. Seit sich die OECD 2001 des Problems annahm, sind viele Länder von dieser Praxis abgerückt, aber Aspekte des Systems haben sich gehalten.

Außerdem wird Entwicklungshilfepolitik oft von Politikern und Amtsträgern der höchsten Ebenen ausgearbeitet. Daher können Politiker von Geberländern sowohl die Höhe als auch die Art der Zuwendungen so aushandeln, dass sie Interessen des eigenen Lands dienen, die mit Entwicklungshilfe absolut nichts zu tun haben. Eine Studie ließ erkennen, dass Empfängerländer bei UN-Wahlen eher in Einklang mit ihren Geldgebern stimmten. Mit anderen Worten, die Verteilung der Hilfen ist eher nach Wahlverhalten abgestimmt als mit der Wirtschaftspolitik oder den politischen Institutionen des Empfängerlands. Eine signifikante Begünstigung ist auch gegenüber ehemaligen Kolonien im Gegensatz zu anderen Ländern erkennbar, selbst wenn deren Institutionen stärker sind. Auch dies legt nahe, dass sich Empfängerländer genötigt fühlen, wie ihre Hauptgeldgeber und einstige Kolonialherren abzustimmen.

Weil über Projekte und Finanzierungsströme in den Empfängerländern oft von deren politischer Elite entschieden wird, entsprechen sie nicht immer dem, was der Bevölkerung wichtig ist. Tatsächlich repräsentieren sie selten die Prioritäten der Bevölkerung. Eine Analyse der US-Entwicklungshilfe zeigt, dass nur 16 Prozent dafür aufgewendet wurden, was Afrikaner als ihre obersten Prioritäten definieren: Arbeitsplätze und Infrastruktur. Dies dürfte daran liegen, dass es den Politikern der Geber- wie auch der Empfängerländer eher um ihre eigenen Interessen geht als um die Bedürfnisse der Ärmsten.

Es scheint klar, dass Finanzhilfen stark von den politischen und wirtschaftlichen Motivationen der Geberländer abhängen. Ist die ganze Idee von ODA nur Fassade? Interessiert es Geberländer tatsächlich, ob ihre Hilfe etwas bringt, oder ist sie nichts weiter als ein Kuhhandel?

Entwicklung wird unverhältnismäßig gefördert, wenn und wo sie den Interessen reicher Länder dient. Dies dürfte die Entwicklung in den Zielländern unterstützen, aber da die übrigen Länder noch weiter zurückbleiben, wird eine wachsende Kluft entstehen.“

Sarah Bermeo, „Development, Self-Interest, and the Countries Left Behind“

Schlussabrechnung

Der Erfolg der Entwicklungshilfe als Mittel der Armutsbekämpfung ist in der Tat durchwachsen. Angesichts solcher Schwierigkeiten wie mangelnder Vorausschau, weitverbreiteter Korruption und unübersichtlicher politischer Motivationen ist es ein Wunder, dass sie überhaupt funktioniert. Allerdings gibt es auch Erfolgsgeschichten. Mithilfe von USAID-Finanzierungen haben Kindo Aïssata und 55 Millionen andere Menschen seit 2008 Zugang zu sauberem Trinkwasser. Ein Beispiel größeren Maßstabs ist Südkorea, das etwa 50 Jahre lang Entwicklungshilfe erhielt und 2009 dann die dreizehntgrößte Volkswirtschaft der Welt war. Heute ist es ein Netto-Geberland. Dass es aus der Armut herauswachsen konnte, ist weitgehend der Entwicklungshilfe zu verdanken.

Einige Länder sind als direkte Folge der Entwicklungshilfe zum Erfolg gekommen, andere ohne Hilfe, aber wieder anderen scheint es mit ihr schlechter zu gehen. Die Weltbank schätzt, dass über 700 Millionen Menschen im Jahr 2020 in extremer Armut gelebt haben (d. h. nach ihrer Definition von unter 2,15 Dollar pro Kopf und Tag). Vor der Pandemie war diese Zahl rückläufig, aber allein 2020 ist sie um über 70 Millionen gestiegen. Wie zu Beginn angemerkt, fragen sich deshalb viele, wie wirksam Entwicklungshilfe gegen Armut überhaupt ist.

Vielleicht wegen dieser durchwachsenen Erfolge können sich führende Denker und Denkerinnen unserer Zeit nicht über die Lösungen einigen, und selbst über die Fakten gelingt ihnen ein Konsens kaum. Manche argumentieren leidenschaftlich, das Hauptproblem mit der Entwicklungshilfe sei, dass sie nicht ausreiche – unter ihnen der renommierte Wirtschaftwissenschaftler Jeffrey Sachs von der Columbia University. Sein Standpunkt ist: „Zum Geldverdienen braucht man Geld“, und wenn die Entwicklungshilfe unterhalb einer gewissen Schwelle bleibe, könnten Entwicklungsländer nicht stabil genug werden, um die Armut zu bekämpfen. Sachs schätzt, wir (die USA) könnten die Armut beenden, wenn wir uns entschlössen, die ODA auf 0,7 Prozent des BIP zu erhöhen (jährlich 235 Milliarden US-Dollar in konstanten Dollar von 2003). Andere, z. B. der Wirtschaftswissenschaftler William Easterly von der New York University und Dambisa Moyo, vertreten den Standpunkt, noch mehr Investitionen in das derzeitige System würden vor allem noch mehr Verschwendung bewirken. Sie alle sind hoch qualifizierte Wirtschaftswissenschaftler, und dennoch sind sie zu äußerst unterschiedlichen Schlüssen gekommen.

Hoffnung auf eine Lösung

Nahrung, Wasser, medizinische Grundversorgung – das sind die Herausforderungen, mit denen die Menschheit seit Urzeiten ringt. Warum bekommen wir das nicht hin? Was macht die Vorstellung von nachhaltiger Entwicklung grundlegender sozialer Systeme so komplex? Wie kann es sein, dass führende Denker und Denkerinnen in der Entwicklungshilfe so enorm verschiedene Meinungen darüber haben, was funktioniert und was nicht? Gibt es etwas im Wesen des Menschen, das den Fortschritt erstickt? Und wenn das Grundproblem im Wesen des Menschen liegt, heißt das, dass es immer Armut geben wird?

Die letzten beiden Fragen werden seit Menschengedenken gestellt. Tatsächlich klingt im Titel dieses Artikels eine Bibelstelle an – „Arme wird es immer bei euch geben; aber mich habt ihr nicht mehr lange bei euch“ (Matthäus 26, 11, Gute Nachricht Bibel) –, die die Vermutung nahelegt, dass Armut ein allgegenwärtiges Problem sein wird. Doch die Bibel spricht auch von der allgemeinen menschlichen Tendenz zu Egoismus statt Nächstenliebe.

Der Zusammenhang ist nicht schwer zu finden. Wir haben gesehen, wie Korruption sowie private und nationale Interessen Brüche in der Dynamik zwischen Gebern und Empfängern verursachen können, ohne dass wirklich auf die Begünstigten geachtet wird. Und so bleibt es bei der Armut.

Aber wenn das Wesen des Menschen das Problem ist, gibt es dann überhaupt Hoffnung auf eine Lösung?

Das extreme Leid der Armen der Welt […] ist absolut die Folge unseres Verhaltens – und jeder Versuch, dieser Krise zu begegnen, muss mit Verstehen, Selbstprüfung und dann Änderungen unserer Einstellung und Handlungsweise beginnen.“

Colin Alexander, „Foreign Aid: Less About Helping Poor Countries Than Maintaining a Power Imbalance“

Das Prinzip, echte Fürsorge für andere zu zeigen, steht oft hinter erfolgreichen Entwicklungshilfeprojekten. Jonathan Glennie schreibt: „Hilfe funktioniert am besten, wenn Hilfegeber mit den Menschen, denen sie helfen wollen, in Beziehung treten und Vertrauen aufbauen, statt zu versuchen, Pläne durchzuziehen.“

Die Bibel bietet auch hier Erkenntnis. Sie spricht nicht nur von einer Zeit, in der Hunger, Durst und Korruption die Gesellschaft nicht länger plagen werden, sondern gibt auch einen praktischen Rat für die Gegenwart. Sie erkennt an, dass Armut ein allgegenwärtiges Problem sein wird, und mahnt uns, Bedürftigen immer etwas abzugeben und andere Menschen so zu lieben wie uns selbst – die oft zitierte „Goldene Regel“.

Wie würde Entwicklungshilfe aussehen, wenn diejenigen, die sie leisten, mehr Wert auf die Stärkung von Beziehungen legten? Das wäre ein Kennzeichen für die Pflege einer Weltgemeinschaft, die alles menschliche Leben als gleichwertig behandelt. Und anfangen muss das damit, dass wir daran arbeiten, die Goldene Regel in unserem eigenen Leben, unseren Beziehungen und Gemeinschaften umzusetzen – etwas, das wir alle tun können, hier und jetzt.