Das Jesus-Business
Jedes Jahr um die Passazeit bzw. Ostern werden wir von einer Fülle von neuen religiösen Büchern, Artikeln und bisweilen sensationellen Filmen überschwemmt. Das Thema Jesus bringt gute Geschäfte. 2004 war es Mel Gibsons Die Passion Christi, ein Brennpunkt auf die letzten 12 Stunden von Jesu Christi Leiden. Dieses Jahr waren es zwei neue Bücher, die Jesus von Nazareth wieder ins Rampenlicht stellten.
Als Reaktion auf Gibson verspricht The Last Week einen gründlichen Bericht über Jesu letzte Tage, nicht nur über die letzten Stunden. Im Schutzumschlag heißt es, dass „zwei von den bekanntesten Jesus-Experten [Marcus J. Borg und John Dominic Crossan] offerieren, was sie als den wahren Evangelienbericht über Jesu letzte Woche in Jerusalem bezeichnen“. Des Weiteren, wegen der Probleme, die sie mit der gegenwärtigen Kirchenpraxis in Bezug auf Ostern sehen, versuchen Borg und Crossan „ein notwendiges Korrektiv und einen wahrheitsgetreuen Bericht als Basis für die Liturgie innerhalb der Kirche und für Geschichten, Theaterstücke und Filme innerhalb und außerhalb zur Verfügung zu stellen“.
Der Religionshistoriker James Tabor hat eine völlig andere Agenda: Die Jesus-Dynastie ist die persönliche Zusammenfassung der mehr als 30-jährigen Suche nach dem historischen Jesus. Wie er es in einem Schreiben an seine engen Freunde und einige jahrelange Bekannte ausgedrückt hat: „Das ist ziemlich anders als die Position, die ich einst als junger Mann vertreten habe, vor den Jahrzehnten ordentlicher Bildung und Recherche. Ich habe gelernt, andere nicht auf Grund theologischer Dogmen und Formulierungen zu beurteilen. Ich bin viel mehr daran interessiert, wie jemand zur Botschaft Jesu als dem messianischen Verkünder des Reiches Gottes auf Erden in seiner Zeit und in seinem Kontext steht. Es ist diese dynamische Botschaft, von Jesus verkündet und von der frühen Jerusalem-Kirche weitergetragen, dieser durch und durch jüdische Kontext, womit ich mich am meisten identifiziere. Die Person Jesus ist für mich nicht mehr so zentral wie die Botschaft, die Jesus verkündete. Ich habe das Gefühl, dass diese Botschaft, abgesehen von ein paar Ausnahmen, durch theologische Aussagen und Bekenntnisse über das, was Jesus war, verschleiert worden ist, und nicht durch das, was er gelehrt und worüber er selbst gepredigt hat.“
Beiden Büchern gelingt es, die Dinge zu erhellen und gleichzeitig auch zu verwirren.
„Nach zweitausend Jahren theologischem Anti-Judaismus und sogar rassistischem Anti-Semitismus, die von dieser Geschichte abgeleitet worden sind, ist es an der Zeit, sie wieder zu lesen und zwar richtig, sie genau zu beachten und ihre erzählerische Logik voll zu verstehen.“
KEIN KARFREITAG?
Indem sie den Mangel an Bereitschaft in den letzten fast zwei Jahrtausenden aufzeigen, Jesu jüdisches Milieu zu betrachten, schreiben Borg und Crossan ermutigend, dass: „die Wissenschaft des letzten halben Jahrhunderts, speziell der letzten 20 Jahre, richtigerweise betont hat, dass wir Jesus innerhalb des Judaismus verstehen müssen, nicht abseits davon. Jesus war Teil des Judentums, nicht außerhalb davon.“ Beide beklagen sich über die Verzerrungen der Vergangenheit und fügen hinzu, dass es „nach zweitausend Jahren theologischem Anti-Judaismus und sogar rassistischem Anti-Semitismus, die von dieser Geschichte abgeleitet worden sind, an der Zeit ist, sie wieder zu lesen und zwar richtig, sie genau zu beachten und ihre erzählerische Logik voll zu verstehen“.
In Anbetracht dieser ehrgeizigen Ziele könnte man erwarten, dass die Autoren von The Last Week sich damit befassen, wie die Juden das Passafest gehalten haben. Immerhin fallen in die Woche, in der Jesus getötet worden ist und über die sie schreiben, zwei Festtage: Ein jährlicher Sabbat, genannt „Das Fest der Ungesäuerten Brote“, und der wöchentliche Sabbat des siebten Tages (siehe Johannes 19, 31 und Matthäus 28, 1). Die Autoren gehen darauf jedoch nicht ein, und somit ist ihre Abhandlung mangelhaft.
Sie meinen: „Wir versuchen in diesem Buch keine historische Rekonstruktion von Jesu letzter Woche auf Erden herzustellen. Unser Ziel ist nicht, das, was tatsächlich passiert ist, von dem, was in den vier Evangelien aufgezeichnet ist, abzuleiten, die es als 'Gute Nachricht' (d.h. Evangelium) verkünden.“
„Wir versuchen in diesem Buch keine historische Rekonstruktion von Jesu letzter Woche auf Erden herzustellen. Unser Ziel ist nicht, das was tatsächlich passiert ist, von dem, was in den vier Evangelien aufgezeichnet ist, abzuleiten . . .“
Mit anderen Worten: Diese Jesus-Experten glauben weder, dass der Bericht der Evangelien aufzeigt, was wirklich geschah, noch beabsichtigen die Autoren, uns in diesem Buch mitzuteilen, was ihrer Meinung nach passiert ist. Was ist dann ihr Hauptpunkt? Er scheint sich darum zu drehen, die liturgische Praxis der traditionellen Palmsonntag- bis Ostersonntagperiode zu verfestigen. Sie sind darüber besorgt, dass der „Passionssonntag“ mit „Palmsonntag“ ersetzt worden ist und nutzen dafür ausschließlich den Bericht im Markusevangelium, um für eine 8-tägige, sorgfältige Beachtung einzutreten.
Die Tatsache, dass es im Markusevangelium keinen Hinweis darauf gibt, dass es tatsächlich ein Sonntag war, an dem die Menschenmassen Jesus als König willkommen hießen, als er in die Stadt einzog, macht um so deutlicher, wie wichtig ihr eigener Kommentar ist, dass „es ungeheuer wichtig ist, wie diese Geschichte erzählt wird“. Dem stimmen wir mit Nachdruck zu. Es macht einen Unterschied, wie die Geschichte erzählt wird, besonders wenn wir verstehen sollen, welche Implikationen das Beispiel Jesu innerhalb des Judentums für uns hat. Das muss akkurat erzählt werden.
Die Instruktionen der Hebräischen Schriften (Altes Testament) bezüglich des Passafestes zeigen, dass es am 14. Nisan gefeiert werden soll. Im Hebräischen Kalender beginnt ein neuer Tag mit dem Sonnenuntergang. Das Neue Testament bezeichnet Jesus symbolisch als Passalamm (siehe Johannes 1, 29. 35-36; 1. Korinther 5, 7). Deshalb mussten sein letztes Passamahl und sein Tod während des 14. Nisan passieren, wie ein gründliches Studium der Evangelien zeigt.
Welcher Wochentag war der 14. Nisan im Jahr des Todes Jesu? War es ein Freitag? Wie schon angeführt, ein wichtiger Hinweis ergibt sich aus Johannes 19, Vers 31, wo angemerkt wird, dass Jesu Leichnam nach Sonnenuntergang nicht am Kreuzigungspfahl bleiben konnte, „denn dieser Sabbat war ein hoher Festtag“. Der neue Tag, der mit Sonnenuntergang nach dem Tod Jesu begann, war der 15. Nisan, ein spezieller jährlicher Sabbat, der im Hebräischen Kalender als der erste Tag des Festes der Ungesäuerten Brote bezeichnet wird (siehe 3. Mose 23, 6-7).
Johannes sagt ausdrücklich: „Sechs Tage vor dem Passafest kam Jesus nach Bethanien“, das außerhalb von Jerusalem liegt (Johannes 12, 1) - das war dann der 8. Nisan. Wenn wir vom anderen Ende der Passawoche, vom Sonnenuntergang am Beginn des ersten Tages der neuen Woche (d. h. Sabbatende - Samstagabend) drei Tage und drei Nächte zurückgehen - Jesus hatte ja gesagt, dass er so lange „im Schoß der Erde“ sein würde -, dann kommen wir zum Sonnenuntergang am Mittwoch als Zeitpunkt seiner Grablegung (Lukas 23, 53-54). Wenn wir dem Evangeliumsbericht vom 8. Nisan an vorwärts folgen (nicht rückwärts von einem angenommenen „Karfreitag“), dann kommen wir logischerweise auf den Samstag (Sabbat) als den Tag von Jesu Einzug auf dem Esel nach Jerusalem; auf Dienstagabend für das letzte Abendmahl und wiederum auf Mittwochnachmittag für seinen Tod. Am Abend dieses Tages war er bereits in der Grabstätte. Donnerstag war ein spezieller jährlicher Sabbat und der Tag, an dem Wachen vor der Grabstätte aufgestellt worden waren (Matthäus 27, 62-66). Freitag war der Rüsttag (Vorbereitungstag) für den wöchentlichen Sabbat, der mit Sonnenuntergang begann. Dann, gemäß dem Matthäusevangelium: „Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach“ (Matthäus 28, 1), kamen die Frauen zu Jesu Grabstätte und fanden sie leer. Der Grund dafür war natürlich, dass er schon vor 12 Stunden auferstanden war.
ETWAS NÄHER DRAN
Borg und Crossan sind nicht die Einzigen, die in wichtigen Details falsch liegen, aber einige Autoren kommen den Tatsachen etwas näher. In Die Jesus-Dynastie legt James Tabor die Kreuzigung in unkonventioneller Weise auf Donnerstag. Des Weiteren kombiniert er dass Passamahl und den Ersten Tag der Ungesäuerten Brote auf den 15. Nisan. Zweifellos tut er dies, weil die jüdische Tempelführung zurzeit Jesu die Passalämmer spät am 14. Nisan schlachten ließ - Mittwochabend nach römischer Zeitrechnung -, und wie die Juden heute feierten sie dann das Passa am Beginn des 15. Nisan. Kommentatoren fragen sich manchmal, ob das letzte Abendmahl mit seinen Jüngern, wie es in Matthäus, Markus und Lukas beschrieben wird, wirklich ein Passamahl war, oder ganz einfach ein Abendessen, wie es Johannes zu beschreiben scheint. Zu jener Zeit, muss man bedenken, hatten die Juden nicht eine einheitliche Sicht über das Passa, wie sie das heute haben. Einige, wie Jesus und seine Jünger, hielten es am Beginn des 14. gemäß der Thora - in diesem Falle am Dienstagabend. Andere, so wie die Pharisäer, hielten es am Ende des 14. und am Beginn des 15. Dies erklärt den offensichtlichen Widerspruch in den Evangelien zwischen dem Verhalten Jesu und seiner Jünger und dem der Pharisäer.
Die Basis für Jesu Halten des Passas am Abend zum Beginn des 14. Nisan finden wir in 2. Mose 12. Dort lesen wir, dass die Israeliten die Lämmer bis zum 14. aufbewahren und sie dann „gegen Abend“ (Vers 6) schlachten sollten und dann bis zum Morgen das Haus nicht verlassen durften (Vers 22). Am folgenden Tage bereiteten sie sich auf ihren Aufbruch aus Ägypten vor und verließen es am 15. (vergleiche 2. Mose 13, 3-4. 7 und 3. Mose 23, 6). Sie aßen das Passa nicht am 15. Nisan. Jesus folgte also dem originalen Muster nach 2. Mose.
Diese zwei unterschiedlichen Daten, an denen die Juden zurzeit Jesu das Passa hielten, führten zu einer bemerkenswerten Situation: Als Jesus um drei Uhr nachmittags starb, wurden im Tempel die Passalämmer geschlachtet. Als die Leute ihre toten Lämmer nach Hause trugen, um sie an diesem Abend zu braten, wurde Jesus, das zurückgewiesene Lamm Gottes, in seine Grabstätte gelegt.
EINE BEKANNTE ALTERNATIVE
Jemand, der das Neue Testament in dieser Hinsicht sehr genau beachtete, war R.A. Torrey. Er war Absolvent der Yale Divinity School und Nachfolger von Dwight L. Moody am Moody Bible Institute. Er schrieb 1907 über die Chronologie der Kreuzigungswoche: „Um es zusammenzufassen, Jesus starb ungefähr zum Sonnenuntergang am Mittwoch. Zweiundsiebzig Stunden später, genau drei Tage und drei Nächte, am Beginn des ersten Tages der Woche, zum Sonnenuntergang am Samstag, stand er wieder vom Grab auf. Als die Frauen die Grabstätte kurz vor Anbruch des Tages aufsuchten, fanden sie das Grab leer . . . Es gibt nichts, was für eine Kreuzigung am Freitag spricht, aber alles in der Schrift harmonisiert perfekt mit einer Kreuzigung am Mittwoch. Es ist erstaunlich, wie viele prophetische und andere typische Passagen des Alten Testaments dadurch erfüllt werden und wie viele scheinbare Widersprüche in der Evangeliumsgeschichte sich auflösen, wenn man einmal zum Verständnis gekommen ist, dass Jesus am Mittwoch gestorben ist und nicht am Freitag“ (Difficulties in the Bible, 1907, 1964).
Der englische Geistliche Leonard Pearson kam 1939 zu derselben Schlussfolgerung. Er schrieb: „War Christus drei Tage und drei Nächte im Grab? Karfreitag ist normalerweise der Tag, an dem man seines kostbaren Todes und der Grab-legung gedenkt, wenn er jedoch tatsächlich am Freitag beerdigt worden war und am Sonntagmorgen auferstanden ist, dann war sein Leichnam nicht mehr als 37 Stunden im Grab. Nirgendwo sagt die Bibel, dass Christus am Freitag starb, sondern dass er sein Leiden als wahres Passa erduldet hatte und das war deshalb am 14. Nisan. Im Jahre des Opfers unseres Herrn fiel der 14. Nisan auf einen Mittwoch. Im Osten wird die Zeit von Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang gerechnet. Vom Sonnenuntergang Mittwoch zum Sonnenuntergang Donnerstag ist es ein Tag, vom Sonnenuntergang Donnerstag zum Sonnenuntergang Freitag ebenfalls ein Tag, vom Sonnenuntergang Freitag zum Sonnenuntergang Samstag auch ein Tag. So kommen wir zur vollen Zeitspanne von drei Tagen und drei Nächten. Vor dem Tagesanbruch war das Grab leer - unser Herr war schon auferstanden. Halleluja!
. . . Im Evangeliumsbericht wird ein Sabbat erwähnt und dies wurde als der wöchentliche Sabbat gesehen, obwohl es der Passa-Sabbat ist. Mit anderen Worten: In der Passawoche gibt es zwei Sabbate“ (Through the Land of Babylonia, 1939, 1951).
Vielleicht folgte Pearson dem Beispiel von Torrey oder von E.W. Bullinger (Abkömmling des Schweizer Reformers Heinrich Bullinger), der 1922 eine Ausgabe der King James Bible veröffentlichte. In dieser mit extensiven Erklärungen ausgestatteten Ausgabe erklärt er die Gründe für die Schwierigkeiten Vieler in Bezug auf eine genaue Chronologie der letzten Woche Jesu. Bullinger schrieb: „Die Schwierigkeiten ... stammen (1) davon, dass man [gewisse biblische] Fixpunkte nicht beachtet hat; (2) von der Tatsache, dass Heiden nicht vertraut waren mit dem Gesetz über die drei großen Feste des HERRN; und (3) davon, dass man die Tage nicht von Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang berechnet hat, sondern von Mitternacht zu Mitternacht“ (Companion Bible [1974 edition], Appendix 156).
Wenn man die Schlussfolgerungen von Torrey, Pearson und Bullinger mit vielen der heute populären Bücher, Dokumentationen und Artikeln über Jesu letzte Woche vergleicht, sieht man sehr leicht, was fehlt. Diese Männer waren nicht von Zweifeln und Skeptizismus durchdrungen.
GESCHICHTSSCHREIBUNG ODER EIGENE STORY?
Obwohl James Tabor sein Buch als Beitrag zur Debatte über den „historischen Jesus“ sehen möchte, adressiert es tatsächlich etwas anderes. Es ist ein Versuch, das wiederzuentdecken, was der Autor als die originalen Lehren des Christentums sieht - ein lobenswertes Unterfangen und eine Sache, die wir von Vision durchaus unterstützen. Erreicht Tabor aber dieses Ziel?
Das Buch richtet sich an die Allgemeinheit und nicht an die akademischen Kollegen des Autors. Er benutzt die persönliche Anrede, um einen gewissen Dialog mit dem Leser einzugehen, den er dann eigentlich auf seine eigene persönliche Pilgerreise mitnimmt. Im Verlauf greift Tabor eine Reihe von Ideen an, die im traditionellen Christentum verankert sind. Weil er jedoch nicht alle Aspekte einer Sache so untersucht, wie es in einer Abhandlung für Kollegen erwartet würde, wird man das Gefühl nicht los, dass es sich eher um persönliche Ansichten handelt und nicht um eine professionelle Arbeit.
Seine Suche nach dem historischen Jesus beginnt mit einer Vorstellung seiner Prämissen. Regelmäßig werden wir daran erinnert, dass er ein Historiker ist, der bestrebt ist, die heutigen Methoden der kritischen Historiografie auf das Neue Testament anzuwenden, inklusive der Prämisse, dass die Schreiber der Evangelien weder Augenzeugen waren, noch in der Zeit der originalen Apostel gelebt haben. Tabor vergisst, welche Konsequenzen eine solche Vorgehensweise hat. Wenn die Evangelien, wie er behauptet, gegen Ende des ersten Jahrhunderts von Leuten, die nicht Augenzeugen waren, geschrieben wurden, dann sind sie nichts mehr als bloße sekundäre Quellen - wie kann er sich dann auf sie stützen, um auch nur irgendwelche seiner Fakten dadurch zu untermauern? Und doch, „als Historiker“ hat er diese als gültige historische Berichte anerkannt, da ja sonst seine ganze These zusammenbrechen würde. Am meisten wird dies offenbar, wenn wir seine Behandlung von Lukas' Werken, dem Evangelium, das seinen Namen trägt, und der Apostelgeschichte, betrachten.
Wunder haben in Tabors Sicht der Geschichte keinen Platz. Viele in den religiösen Kreisen, für die eine Ablehnung der Wunder als Häresie anzusehen ist, werden deshalb sein Buch verwerfen, ohne einiges zu schätzen, was Tabor sonst noch zur Diskussion stellt.
Die Leugnung der Wunder ist allerdings nichts Neues. Das Neue Testament selbst zeigt, dass Berichte über eine jungfräuliche Geburt und eine Auferstehung von frühester Zeit an angegriffen und zurückgewiesen wurden. Trotz Tabors Vorliebe, über die Ereignisse zurzeit Christi zu spekulieren, bleibt er schlussendlich doch seiner Methode treu: Was kann bewiesen werden und was ist eine Sache von Theologie, Glauben oder Dogma? In Tabors Welt haben die Dinge entweder eine rationale Erklärung oder sie sind nicht passiert. Das bedeutet, er befasst sich mit menschlichen Berichten und nicht mit göttlichen Ereignissen.
Wenn er also die Frage aufwirft, wer Jesu Vater war, kommt für ihn nur eine menschliche Vaterschaft in Betracht. Obwohl Tabor nicht ausdrücklich angibt, dass der römisch-jüdische Soldat Pantera der Vater Jesu war, wirft seine einseitige Behandlung dieser alten Spekulation Fragen zu seiner Seriosität als Historiker auf, auch angesichts seines Versäumnisses, Alternativen zu betrachten. Immerhin ist auch postuliert worden, dass der Name „Pantera“ aus einer verächtlichen Erwiderung gegen jene entstanden ist, die an eine jungfräuliche Geburt glauben. Paterna könnte ein Wortspiel mit dem Terminus Jungfrau (griechisch pantheros) sein. Insofern könnte aus „Sohn einer Jungfrau“ in zynischer Weise „Sohn Panteras“ entstanden sein.
PAULUS GEGEN JAKOBUS
Wie Tabor die Apostelgeschichte in Bezug auf die Frage der Nachfolge in der Führung innerhalb der so genannten Jesusbewegung behandelt, ist vielleicht der schwächste Punkt in seiner Präsentation. Es ist dies jedoch eine Sache, die man beachten sollte. Seine Idee, dass Lukas den Paulus als Führer gegen Jakobus ins Spiel bringt, ist ähnlich unbegründet wie der im 19. Jahrhundert von der Tübinger Schule aufgeworfene Petrus-Paulus-Konflikt. Wenn man seine eigene Datierung der Evangelien zu Grunde legt, muss Tabor akzeptieren, dass die Apostelgeschichte von Lukas nach dem Tod von Paulus und Jakobus geschrieben wurde. Insofern ist die Idee von einer geheimen Absprache zwischen Lukas und Paulus sofort suspekt.
Und wenn Jakobus so gegensätzlich zu Paulus war, warum würden Paulus oder Lukas überhaupt auf ihn Bezug genommen haben? Es wäre Lukas ein Leichtes gewesen, alle Gegner einfach in seinen Schriften auszulassen oder ihnen dieselbe literarische Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, wie der Mehrheit der Apostel - nämlich gar keine. Im Gegenteil, er beschreibt Jakobus als einen, der eine prominente Rolle in der Jerusalem-Kirche spielt und der den Vorsitz der entscheidenden Jerusalem-Konferenz (Apostelgeschichte 15) innehat, an der auch Paulus teilnimmt. Paulus selbst schreibt über Jakobus, dass dieser einer der Säulen der Kirche sei (Galater 2, 9). Gewiss würden wir gerne mehr über Jakobus erfahren, als vorhanden ist, aber das trifft auch auf fast alle biblischen Gestalten zu, inklusive Jesus. Die Häufigkeit, mit der Tabor in Spekulationen über historische Ereignisse im Zusammenhang mit Jesus verfällt, zeigt, wie wenige außerbiblische Fakten wir über die zentrale Gestalt haben.
In Bezug auf das angebliche Primat des Paulus ist es wichtig, die Anordnung der Bücher des Neuen Testaments zu betrachten. Die Bevorzugung der Paulinischen Schriften über die der anderen apostolischen Epistel wurde von Jerome vorgenommen, der im 4. Jahrhundert die Vulgata (die Bibelübersetzung ins Lateinische) zusammenstellte. Sie gab Rom nicht nur die Vorherrschaft über jüdische Dinge, die es wünschte, sondern lieferte auch das, was man als passende Fortsetzung der Apostelgeschichte ansah, die ja in Rom geendet hatte. Jerome war nicht der Einzige, der darüber entschied, die Vulgata in dieser Weise zu strukturieren. Es war schon lange darüber debattiert worden, aber nicht über die Sache Paulus oder Lukas. Wenn, wie der Syriac und einige andere griechische Texte und frühe Zeugen belegen, das Buch Jakobus und die anderen allgemeinen Epistel (Petrus, Johannes und Judas) der Apostelgeschichte folgten, dann bricht Tabors Argument einer Privilegierung Paulus' zusammen. Die Urkirche sah die Beziehung zwischen Jakobus und Paulus nicht als widersprüchlich oder die beiden im Wettbewerb stehend.
Tatsächlich hängt Tabors These nicht an Lukas oder Paulus, sondern eher an den Aktionen anderer Protagonisten, die später versucht haben, das „Jüdische“ im Neuen Testament zu minimieren. In Bezug auf die weitere Kirchengeschichte sollte Tabor vielleicht Petrus' Warnung beachten, dass einige Leute schon zu seiner Zeit Paulus' Schriften zu ihrem eigenen Schaden verdreht hatten (2. Petrus 3, 15-16).
HILFREICHE PUNKTE
Es ist zweifellos immer eine Herausforderung, in einem Buch, das eine solch lange Zeitspanne und verschiedenste Disziplinen der Geschichte und Studien des Neuen Testaments behandelt, durchweg einen hohen Grad an Wissenschaftlichkeit aufrechtzuerhalten. Es gibt deshalb einige Gebiete, die mehr hervorstechen. Der Archäologie zum Beispiel gilt James Tabors wirkliches Interesse. Insofern stellt er einige neue Entdeckungen in Bezug auf das Neue Testament vor und gibt einige nützliche Hinweise auf die Geschichte, die er vorstellen will. Dafür verdient er Anerkennung.
Er schreckt auch nicht davor zurück, jahrhundertealten populären Vorstellungen über die Zeit Jesu zu widersprechen, die mehr auf Mythen als auf Realität beruhen. Zum Beispiel, in den Landkarten, die am Anfang des Buches platziert sind, listet er ein „alternatives Golgota“ im Osten Jerusalems auf dem Ölberg. Die Illustration der Kreuzigung auf der Innenseite des Umschlags am Ende des Buches zeigt diese Perspektive. Dieser revolutionäre Ansatz verdient mehr Beachtung seinerseits als die zwei Seiten, die er dafür aufwendet, speziell, wenn die archäologischen Beweise diese Darstellung unterstützen. (Siehe auch „Grundlose Behauptungen“ in der Ausgabe Frühjahr 2001 von Vision.)
Wie bereits im Zusammenhang mit Jesu letztem Passa angeführt, datiert Tabor es auf 30 n.Chr. und nicht auf das traditionelle Jahr 33 n.Chr. Die Diskussion ist wichtig, weil sie etwas klarmacht, was wir schon gezeigt haben, nämlich dass es in der Kreuzigungswoche zwei Sabbate gab, etwas, was sehr leicht übersehen wird. Aber wie kommt Tabor auf Donnerstag für den 15. Nisan? Tabor führt in seinen Fußnoten Referenzen, Tabellen und Computerprogramme auf, aber es ist nicht feststellbar, welche Programme das sind - und alle angegebenen geben keine Hinweise auf seine Berechnungen. Dies ist eines der Probleme, die dieses Buch hat - häufig sind die Notizen inkomplett oder sie fehlen in Gebieten größten Interesses.
BROT UND WEIN
Gründliche Exegese des Neuen Testaments scheint bei Tabor nicht auf dasselbe Interesse zu stoßen wie Archäologie. Nicht, dass er nicht des Hebräischen oder Griechischen mächtig wäre. Er ist in beiden Sprachen sehr versiert, das bedeutet aber nicht, dass er so gründlich liest, wie es notwendig wäre, und dass er die richtigen Fragen zum Text stellt.
Zum Beispiel bespricht er das Brot, das Jesus an seinem letzten Mahl mit seinen 12 Jüngern aß. Das griechische Wort dafür ist artos, daraus schließt Tabor, dass es ein normales Brot gewesen sei und deshalb das Mahl nicht das Passa gewesen sein könne, da man dafür ungesäuertes Brot verwendet hat. Artos wird jedoch im Neuen Testament in einer sehr allgemeinen Weise für Brot verwendet. Wenn das Brot ungesäuert ist, wird das klar gemacht, entweder durch das Akjektiv azuma oder aus dem Kontext. Angaben des Neuen Testaments über das geweihte Brot, das im Tempel zu Jerusalem aufbewahrt wurde, benützen das Wort artos, und wir wissen aus der Thora, das dieses Brot ungesäuert war. Auch wurde das Manna, das Israel in der Wüste bekam, als artos, das Brot, bezeichnet, obwohl es weder aus Getreide noch mit Hefe hergestellt worden war. Gründlichkeit ist also notwendig, um zu einer richtigen Aussage über das Brot zu gelangen, das Jesus an diesem Abend benutzte.
Beachten Sie auch den Kontext dieses Abendmahls, das Jesus hielt. In den synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) wird das Mahl in die Zeit der Ungesäuerten Brote gelegt. In der Beschreibung der Vorbereitungen auf dieses Mahl werden diese schon in diese Zeit gelegt (Markus 14, 12-17; Matthäus 26, 17-20; Lukas 22, 7-14). Die Bäcker hörten schon vor dem Passa damit auf, reguläres Brot zu backen, damit sie einen Vorrat an ungesäuertem Brot für alle Besucher, die für das Fest nach Jerusalem kamen, bereit hatten.
Interessanterweise bezieht sich Paulus in 1. Korinther 10, 1-17 auf Brot und Wein dieses Mahles, er beschreibt den Kelch mit Wein als „gesegneten Kelch“ - das ist derselbe Begriff, den man für einen der Weinkelche, die am jüdischen Passafest verwendet werden, bis auf den heutigen Tag verwendet. Wenn Paulus über den Kelch spricht, der zum Passa verwendet wird, würde der Kontext erfordern, dass auch das artos ungesäuert ist. Das heißt, im Gegensatz zu Tabor, hätte Paulus das Mahl, das Jesus mit seinen Jüngern hielt, als Passamahl betrachtet, und die Zeremonie, die er den Korinthern beschreibt, als Feier des Passas. Wenn Paulus für Tabor nicht so ein Problem darstellte, wäre er vielleicht auch auf diese Gedanken gekommen.
Tabor glänzt noch auf einem anderen Gebiet. Unabsichtlich bringt er eine frühe christliche Bewegung wieder ans Licht, die uns aus der Geschichte der ersten drei Jahrhunderte nach Christus als Ebioniten bekannt sind. Diese akzeptierten Jesus als Messias und blieben dem Gesetz treu, wiesen aber Behauptungen seiner Auferstehung und Göttlichkeit zurück. Vielleicht sollte man Professor Tabor als Neo-Ebioniten sehen.
RICHTIGSTELLUNG DER GESCHICHTE
Als Gesellschaft lieben wir einfache Antworten auf die Fragen, denen wir gegenüberstehen. Tabors einfache Antworten auf die dynastische Nachfolge als Grund für die Unterschiede zwischen dem „Christentum“ Jesu und dem, was heute üblich ist, halten den Tatsachen nicht Stand. Alle Versuche, die Unterschiede durch Zitate der Autoren des Neuen Testaments zu erklären, gehen schlussendlich schief, wie überzeugend die Argumente auch anfangs klingen mögen. Und zwar deshalb, weil die Antworten in der Kirchen- und Staatspolitik innerhalb des Römischen Reiches liegen und nicht im Neuen Testament.
In ähnlicher Weise gehen die Schlussfolgerungen von Borg und Crossan am Kern vorbei, weil sie die Bibel selbst als Beweis für den Tod und die Auferstehung Jesu ablehnen. Männer wie Bullinger, Pearson und Torrey andererseits nahmen ganz einfach die Bibel beim Wort und versuchten die Details in Bezug auf diese Berichte in ihrem jüdischen Milieu zu sehen. Ihre Kommentare sollte man in Betracht ziehen, wenn man die Geschichte und ihre Implikationen richtig sehen will.