Eine Stadt in zwei Staaten

Afif Safieh ist Gesandter der PLO in Großbritannien und beim Heiligen Stuhl. Der Herausgeber von Vision, David Hulme, sprach in London mit ihm.

 

DH Herr Safieh, worauf stützt sich die Position der Palästinenser in der Jerusalem-Frage?

AS Ich bin überzeugt, dass wir in völliger Übereinstimmung mit der Position der internationalen Gemeinschaft sind. Sir Malcolm Rifkin, der konservative Außenminister des Vereinigten Königreichs (und übrigens Jude), hat 1996 die britische Position so zum Ausdruck gebracht: „Wir in Großbritannien sind wie der Rest der internationalen Gemeinschaft der Auffassung, dass Israel Ostjerusalem widerrechtlich besetzt hält und die Kontrolle über Westjerusalem nur de facto hat.“

Als wir im Jahr 1991 den Madrider Prozess in Gang brachten und über den endgültigen Status Jerusalems diskutierten, meinten wir Westjerusalem und Ostjerusalem. Beide sind auf dem Verhandlungstisch. Ich glaube, die Welt lebt seit 50 Jahren in einem Irrtum: Westjerusalem galt immer als historisch jüdisch und Ostjerusalem als historisch palästinensisch (muslimisch und christlich). Diese Sicht ist falsch. Viele Wohngebiete Westjerusalems waren vor 1948 palästinensisch. Ich stamme zufällig aus einer Familie, die vor ’48 in Westjerusalem wohnte und wegen der Kriegshandlungen ’48 von West nach Ost umziehen muss-te. Die Verhandlungen über den endgültigen Status Jerusalems müssen also für beide Teile der Stadt geführt werden.

Der Ausweg ist meiner Meinung nach, dass Westjerusalem die anerkannte Hauptstadt des israelischen Staates und Ostjerusalem die anerkannte Hauptstadt des palästinensischen Staates werden kann. Jerusalem ist so wichtig, dass es die Zwei-Botschaften-Lösung verdient, bei der die Länder zwei diplomatische Vertretungen in Jerusalem haben.

DH Für manche ist die palästinensische Hoheit über einen Teil Jerusalems eine Frage der Identität. Was denken Sie darüber?

AS Natürlich glaube ich das. Ich kann mir kein Palästina ohne Ostjerusalem als Hauptstadt vorstellen. Vergessen Sie nicht, dass wir, die Palästinenser, Vernunft bis zum Äußersten bewiesen haben. Wir akzeptieren als endgültigen Status, als permanente Lösung eine Aufteilung des Mandatsgebietes Palästina, bei der 78% unter israelische Souveränität gestellt werden und nur 22% von dem, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts rechtmäßig uns gehörte, an seine rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben werden – an das palästinensische Volk. Wir haben Vernunft bis zum Äußersten bewiesen. Verlangen Sie nicht, dass wir uns auch noch Ostjerusalem amputieren lassen. Ich kann mir Palästina ohne Ostjerusalem als Herzstück nicht vorstellen – weder politisch noch religiös noch wirtschaftlich noch kulturell.

Wir, die Palästinenser, haben eine Position eingenommen, die meiner Meinung nach für alle akzeptabel und einsehbar ist. An Jerusalem sind drei monotheistische Religionen gebunden, und wir sind stolz darauf. Wir sehen uns als Erben all der Zivilisationen, der Kulturen, der Religionen, die Palästina durchzogen haben. Und wir glauben, dass alle drei monotheistischen Religionen vor Männern, Frauen und vor Gott gleich sind. Wir teilen nicht die Überzeugung der anderen Seite, dass eine der Religionen den beiden anderen überlegen ist und Vorrang hat. Ich möchte Ihnen nicht verbergen, dass auf der israelischen Seite viele an die Überlegenheit der jüdischen Religion gegenüber den beiden anderen glauben. Ich glaube an ihre Gleichheit. Jerusalems Bedeutung ist universell. Und ich bin als Jerusalemer stolz darauf, dass viele über Flüsse, Meere und Ozeane hinweg in Jerusalem eine Quelle der Inspiration finden und dass sie der Stadt verbunden sind, die zufällig meine Stadt ist. Darauf bin ich stolz.

DH Die Altstadt ist eindeutig ein Teil Ostjerusalems. Welche Lösung sehen Sie für die Frage der Souveränität über Westjerusalem, die Altstadt und Ostjerusalem?

AS Yassir Arafat hat im Jahr 2000 in Camp David gesagt, dass die Klagemauer unter israelischer Souveränität bleiben kann. Darüber hinaus hat er gesagt, dass auch das jüdische Viertel innerhalb der Altstadt Jerusalems, obwohl es in muslimischem Besitz ist, unter israelischer Souveränität bleiben kann. Er dachte das Undenkbare und war sehr mutig und kühn. Leider hat all die Flexibilität, die wir, die palästinensische Seite, gezeigt haben, nie Anerkennung gefunden, und Clinton kam herüber und gab (in erster Linie aus innenpolitischen Gründen) Barak mit seiner Position den Segen und nannte ihn mutig, kühn, wagemutig, großzügig, großherzig, konstruktiv, kreativ, innovativ und einfallsreich. Nun ist Englisch nicht meine erste Sprache. Es ist nicht einmal meine zweite Sprache, aber ich habe nie eine so fragwürdige Verwendung von Bezeichnungen in diesem besonderen Kontext erlebt, mit dem ich sehr vertraut bin. Wir sind es, die einfallsreich, innovativ, kreativ und konstruktiv waren.

Englisch nicht meine erste Sprache. Es ist nicht einmal meine zweite Sprache, aber ich habe nie eine so fragwürdige Verwendung von Bezeichnungen in diesem besonderen Kontext erlebt, mit dem ich sehr vertraut bin.“

Afif Safiieh

DH Von außen betrachtet würden wir sagen, dass sowohl die palästinensische als auch die israelische Position zu Jerusalem mit der jeweiligen Identität zusammenhängen und deshalb in einem gewissen Ausmaß ideologisch sind. Wie löst man ein solches ideologisches Patt? Schließlich führt Ideologie meistens dazu, dass sich die Positionen verhärten.

AS Die internationale Gemeinschaft ist mitverantwortlich dafür, dieses Problem zu lösen. Erstens ist das palästinensische Problem das Ergebnis einer internationalen Krise, mit der die Palästinenser überhaupt nichts zu tun hatten. Man sollte nicht vergessen, dass die Schaffung Israels eine Lösung des jüdischen Problems sein sollte. Die Folge ist, dass heute wir das Problem sind und noch immer auf eine Lösung warten. In gewisser Weise sind die Palästinenser die „Juden“ der Israelis. Und unser Vorschlag der Zwei-Staaten-Lösung beweist, dass wir ein großherziges Opfer sind, das sie niemals zu den „Palästinensern“ der Palästinenser machen wollte. Wir wollten Schluss machen mit dieser ewigen Dialektik der Unterdrückung, wo der in einem Moment Unterdrückte in einem anderen Moment der Geschichte der Unterdrücker ist.

Jeder hat das Recht auf seine Glaubensüberzeugungen, Mythologien und Träume, aber was wir tun sollten, ist das Verhalten der Akteure in internationalen Beziehungen so zu qualifizieren, dass ihre Träume nicht mein Albtraum werden. Ich glaube also, dass eine Zwei-Staaten-Lösung und die Teilung Jerusalems bei freiem Zugang – alle können überall hin, und jede Religionsgemeinschaft verwaltet ihre eigenen heiligen Stätten – eine akzeptable Lösung ist. Sie ist rational, vernünftig, tragbar, machbar.

DH Beinhaltet Ihre Lösung eine Form der Internationalisierung oder eine internationale Truppe?

AS Ich meine, der Frieden, den wir erreichen werden, sollte durch die internationale Gemeinschaft gesichert werden. Und wir, die palästinensische Seite, haben bekanntlich gesagt, dass wir die Stationierung internationaler oder multinationaler Truppen auf palästinensischem Gebiet akzeptieren werden, sei es für eine begrenzte Zeit oder für relativ lange Zeit. Diese Friedenssicherung könnte eine historische Notwendigkeit sein, und wir sind nicht dagegen. Es ist bekannt, dass wir sie akzeptiert haben.

DH Welche Lösung würden Sie vorziehen?

AS Jerusalem sollte eine ungeteilte Stadt bleiben – ich bestehe auf das Wort ungeteilt und nicht vereinigt –, eine ungeteilte Stadt mit freiem Zugang für alle, überall, und wo jede heilige Stätte von der betreffenden Religionsgemeinschaft verwaltet wird. Westjerusalem kann die anerkannte Hauptstadt des Staates Israel werden und Ostjerusalem die anerkannte Hauptstadt des Staates Palästina. Ich halte diese Lösung für tragbar, machbar, wünschenswert, möglich. Alles, was wir brauchen, ist der politische Wille, sie durchzuführen. Wir brauchen keinen langwierigen Friedensprozess. Bis heute, 12 Jahre nach Madrid-Oslo, haben wir keinen dauerhaften Frieden erreicht, aber wir haben einen permanenten Friedensprozess. Das Gebiet, das in weniger als sechs Tagen besetzt wurde, kann auch in weniger als sechs Tagen geräumt werden, sodass die Israelis am siebten Tag ruhen können, und wir können unsere faszinierende Reise beginnen: die Nation aufbauen, den Staat aufbauen, die Institutionen aufbauen, die Wirtschaft wieder auf die Beine bringen.

Das Gebiet, das in weniger als sechs Tagen besetzt wurde, kann auch in weniger als sechs Tagen geräumt werden, sodass die Israelis am siebten Tag ruhen können.“

Afif Safiieh

DH Was ist Ihr Zeitrahmen?

AS Eine Woche! Wir könnten es schaffen, wenn die politische Bereitschaft da wäre. Es hat so viele Verhandlungen gegeben, so viele Seminare und Symposien in aller Welt, dass jede mögliche Lösung sowie ihr Gegenteil bis zum Erbrechen analysiert worden ist. Was wir jetzt brauchen, ist rasch auf das letztliche Ziel zuzugehen, dessen Umrisse jeder kennt. Wir brauchen kein besonderes Geschick oder Genie am Verhandlungstisch. Die Lösungen sind bekannt. Was von beiden Seiten erwartet wird, ist bekannt. Was fehlt, ist die politische Bereitschaft. Und ich glaube, dass der Westen zu viel Geduld mit dem Fehlverhalten des israelischen Akteurs gezeigt hat.